Armuts- und Reichtumsbericht: Berichtslifting vor dem Parlament
Der Wirtschaftsminister will Hinweise auf wachsende Ungleichheit aus dem Armutsbericht tilgen. Die Opposition fordert genauere Daten.
BERLIN taz | An diesem Donnerstag befasst sich noch einmal das Parlament mit dem von der Bundesregierung bislang zurückgehaltenen Armuts- und Reichtumsbericht. Die Grünen haben eine große Anfrage eingebracht: Schwarz-Gelb möge im noch zu verabschiedenden Bericht endlich offenlegen, wie weit sich Einkommen, Armutsrisikoquote und Nettovermögen seit dem Jahr 2000 in Deutschland entwickelt haben.
In der Entwurfsfassung vom 21. Dezember 2012 werde nämlich erst im Anhang, quasi in den Fußnoten, deutlich, dass sich das Armutsrisiko über die Jahre verfestigt habe. Galten 2006 noch 14 Prozent der Bundesbürger als armutsgefährdet, ist deren Zahl trotz guter Konjunktur und niedriger Erwerbslosenzahlen leicht auf 15 Prozent gestiegen. Vor allem Alleinerziehende, Arbeitslose und Kinder seien betroffen. Andererseits belegten die verwendeten Statistiken einen Anstieg des Einkommensreichtums. Der Begriff wird verwandt, wenn jemand mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens bezieht.
Ursprünglich war die Verabschiedung des Armutsberichts für den 14. November 2012 geplant gewesen, dann für Ende Januar. Nach einem Treffen der Staatssekretäre aus dem Arbeits- und dem Wirtschaftsministerium war die Vorlage für das Kabinett erneut verschoben worden, weil Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) Aussagen wie „die Privatvermögen in Deutschland sind höchst ungleich verteilt“ streichen lassen wollte.
Auch schmeckte ihm nicht, dass sich Passagen stellenweise so interpretieren ließen, als plädiere die Regierung dafür, Reiche stärker zu besteuern. Bundesarbeitsministerium Ursula von der Leyen (CDU) hatte jedoch rasch erklärt, es geht nur um freiwillige Spenden- oder Stiftertätigkeiten. Laut Bundesinnenministerium will das Kabinett den Bericht nun am 6. März beschließen.
Methodik optimieren
SPD und Linkspartei wollen zuvor ihre Anträge in den Bundestag einbringen. Die Sozialdemokraten fordern von der Bundesregierung, die Methodik der Datenerhebung zu optimieren, denn die bisherige führe zu ungenauen Ergebnissen. Zudem sollten Immobilienvermögen, Betriebs- und Geldvermögen detailliert im Bericht berücksichtigt werden. Das reichste Zehntel in Deutschland besitze zwei Drittel des gesamten Volksvermögens, hatte kürzlich SPD-Parteichef Sigmar Gabriel kritisiert. Er bezieht sich dabei auf Daten, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelt hatte.
Auch die Linke-Fraktion fordert eine bessere und aussagekräftigere Datenerhebung. Ihr fehlt zudem eine Analyse der sozialen Kosten, die durch Armut verursacht würden. Zusätzlich verlangt die Partei „ein umfassendes Programm zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung und der gesundheitlichen Folgen“.
Mit ihrer Kritik ist die Opposition nicht allein. Armutsforscher und Sozialverbände beanstanden etwa, dass der Bericht nicht realistisch die Situation von Migranten wiedergibt. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung erklärte, im Entwurf werde die Armutsquote migrantischer Kinder mit knapp 18 Prozent angegeben – diese Datengrundlage sei aber schon einige Jahre alt. Aktuelle Daten der statistischen Ämter zeigten, dass mittlerweile 30 Prozent dieser Kinder armutsgefährdet seien.
Doch Aussicht auf Erfolg hat die Opposition mit ihrem Ansinnen nicht. Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt, die Anträge alle abzulehnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland