piwik no script img

Archiv für Street Art zu verkaufen„Eben Kunst auf Zeit“

Seit 48 Jahren dokumentiert Norbert Martins Street Art in Berlin. Erst im Westen, dann im Osten. Ein Gespräch über die Vergänglichkeit von Wandbildern.

Großflächiges Mural vom Berliner Künstler Tank an der Manteuffelstraße aus dem Jahr 2018 Foto: Norbert Martins
Edith Kresta
Interview von Edith Kresta

taz: Herr Martins, wie sind Sie zur Fotografie von Wandmalerei gekommen?

Norbert Martins: Ich habe bei einem Spaziergang, das war 1975, das erste Wandbild von Ben Wagin gesehen. „Weltbaum I – Grün ist Leben“ – ein Bild, das er 1975 am S-Bahnhof Tiergarten gemalt hat. Es hat mich sehr beeindruckt. Ich habe dann an den damaligen Bausenator geschrieben und er hat mir ein Liste von Malern geschickt, denn es gab einen Wettbewerb zur Wandmalerei. Ich habe eine Liste mit zwölf Adressen bekommen. Dadurch habe ich die Künstler kennengelernt und sie bei der Arbeit fotografiert. Und bin immer mehr in die Szene hineingewachsen.

Was ist ihr Lieblingsbild?

Von Gert Neuhaus die gebrochene Fassade in Kreuzberg in der Obentrautstraße 30. Weil es für mich die perfekte Illusionsmalerei ist.

Bild: privat
Im Interview: Norbert Martins

Der Elektroniker im Ruhestand hat in 48 Jahren auf rund 20.500 Fotos die Geschichte der Berliner Giebelmalerei und Street Art festgehalten und 2.000 Seiten Dokumentation angefertigt. Martins hat die Entstehung der Wandbilder und ihren Verfall dokumentiert. Er hat zahlreiche Bücher zu dem Thema verfasst, zuletzt auch mit seiner Tochter Melanie (siehe Foto). Jetzt, mit 75 Jahren, ist er enttäuscht, dass Berlin diesen Kunstschatz nicht angemessen würdigt und sein Archiv nicht übernehmen will.

Was ist Ihr Beruf?

Ich bin Elektroniker und war bei der Bewag (Berliner Städtische Elektrizitätswerke, heute Vattenfall; Anm. d. Red.) beschäftigt.

Also Westberliner?

Ja.

Die Fotografie der Wandbilder wurde dann mehr und mehr Ihre Leidenschaft?

Ja. Die Künstler riefen mich mit der Zeit rechtzeitig an, wenn sie wieder einen Auftrag ausführten. Ich war immer bestens informiert. Und so bin ich in diese Szene hineingekommen. 1989 kam dann mein erstes Buch „Giebelphantasien“ über Wandmalerei in Berlin heraus. Dann fiel die Mauer.

Und Sie entdeckten Ostberlin neu. Gab es dort viele Wandbilder?

Dort war es so, dass immer, wenn öffentliche Gebäude errichtet wurden, drei Prozent der Bausumme für Künstler gedacht waren. Das heißt für Mosaike, Plastiken, Wandmalereien. Und dadurch gab es dort sehr viele Wandbilder.

„Butterfly“, von Michele Tombolino 2015 in Friedrichshain ausgeführt, existiert nicht mehr Foto: Norbert Martins

Gibt es einen Unterschied zwischen der Wandmalerei Ost und West?

Den gibt es. Im Osten wurden nicht – wie ich zunächst dachte – sehr viele politische Bilder gemalt, sondern es sind dort viele grafische Wandbilder zu sehen. Das lag auch daran, dass die Künstler nicht so viele Farben bekamen. Also sagen wir mal im Jahr fünf Farben und die haben sie dann in grafischen Elementen umgesetzt. Es gab kaum politische Bilder. Im Westen waren mehr politische Bilder zu sehen.

Street Art hat ja einen Touch von Illegalität, Kunst von unten. Bei Ihren Fotografien zur Wandmalerei geht es allerdings sehr ordentlich zu.

In meinen Büchern sind keine illegalen Malereien zu sehen.

Warum?

Da ich eine Datenbank angelegt habe, um zu wissen, wer was gemalt hat, ist es schwierig, illegale Künstler zu finden, die dazu stehen, was sie gemalt haben. In meiner Datenbank ist immer zu lesen, wer ist der Künstler, wer hat mitgewirkt, wer war der Auftraggeber.

Das war Ihnen wichtig?

Mich hat interessiert, wo kommt diese Wandmalerei überhaupt her. Es war ja am Anfang Protestmalerei und dann kamen die politischen Bilder, also die der Berliner Hausbesetzerszene. Diese Bilder waren nicht staatlich gefördert. Aber wenn ich wusste, wer das Bild gemalt hat, wurde es in mein Archiv aufgenommen. Viele Künstler wohnten damals im Kulturzentrum Kuckuck am Anhalter Bahnhof.

Und wo kommt die Wandmalerei her?

Diego Rivera war der erste, der politische Wandbilder in Mexiko außen an Wände malte. Er war Kommunist. Diese Malerei ist dann nach 1972 über die USA (Rockfeller Center) und England nach Deutschland gekommen. Bremen war die erste deutsche Stadt, die anfing, Wände zu bemalen. Dort wurden Zivilschutzbunker, die man schwer weg sprengen konnte, von Künstlern als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bemalt.

Haben Sie Sympathie für die politische Wandmalerei?

Ich mache da keinen Unterschied. Hauptsache ich bekomme die Information und es ist eine Auftragsarbeit. Ich freue mich über jedes Wandbild. Ich dokumentiere alles. Manche Bilder passen allerdings nicht ins Stadtbild. Manches fand auch die Bevölkerung nicht so gut.

Wie umfangreich ist Ihr Archiv mittlerweile?

Mein Archiv umfasst ungefähr 1.100 Wandbilder und 20.500 Fotos. Ich habe auch dokumentiert, wenn die Bilder wieder verschwunden sind.

Gibt es Stadtbezirke mit besonders viel Wandmalerei?

Kreuzberg. Dort mache ich auch Führungen. In den letzten Jahren hat sich auch Marzahn hervorgetan. Aber da muss man sehr weite Wege laufen. Und jetzt wurden in der Bülowstraße in Schöneberg, wo das Urban Nation Museum ist, eine ganze Menge Wandbilder neu erstellt.

Von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag gefördert.

Die Gewobag gründete die Stiftung Berliner Leben und hatte dadurch die Möglichkeit, unabhängig von den Mieteinnahmen Künstler zu bezahlen.

Warum fördert die Gewobag Wandmalerei?

Die Wohnungsbaugesellschaften haben deshalb Interesse, weil sie bemalte Häuser auch in schlechteren Lagen besser vermieten können. Sie wollen auch das Umfeld verbessern, die Nachbarschaft fördern.

Hat sich die Street Art Szene verändert?

Ja. Das liegt daran, dass am Anfang, also 1975, mit einem Gerüst gearbeitet wurde und man hat dann sehr genau gemalt. Da dauerte ein Bild circa anderthalb Monate. Das war Illusionsmalerei wie der Reißverschluss in der Zillestraße oder die Gebrochene Fassade in der Obentrautstraße, beide von Gert Neuhaus.

Und heute?

Heute arbeiten die Künstler überwiegend mit Spraydosen. Sie brauchen für ein Wandbild nur noch sieben bis zehn Tage. Sie brauchen auch kein Gerüst, weil sie Hebebühnen verwenden. Durch die Sprayer sind die Wandbilder zu Graffiti-Malerei geworden. Die Künstlergruppe die Dixons und einige andere Künstler haben so 2019 ihr Wandbild, die riesige Mona Lisa, an der Giebelwand des East Side Hotel an der Mühlenstraße, Ecke Warschauer Straße angebracht. Das Bild verschwand leider nach nur zwei Monaten.

Ihr Archiv, das Sie seit 48 Jahren führen, wollen Sie nun aber verkaufen?

Es gestaltet sich schwierig. Vor fünf Jahren hatte sich das Denkmalamt dafür interessiert. Wir hatten verhandelt. Der neue Chef wollte es dann nicht haben. Dann war ich mit dem Kultursenator Klaus Lederer in Kontakt. Er hat das Grußwort für mein 2020 veröffentlichtes Buch „Street Art Galery“ geschrieben. Ich suche immer noch jemanden, der sagt, wir nehmen Ihr Archiv. Aber überall fehlt es anscheinend an Leuten, die mein Archiv in ihre Datenbank einpflegen könnten.

Was ist mit dem Urban Nation Museum oder der Stiftung Berliner Leben? Dort passt Ihr Archiv doch hervorragend hin.

Natürlich habe ich schon lange dort vorgesprochen. Ich mache dort ja auch Führungen. Doch auch hier scheitert es nach deren Angaben an Leuten, die es betreuen könnten – und am Geld.

Tut es Ihnen weh, wenn der Senat eine Baulücke schließt und ein Bild verschwindet?

Hundertprozentig tut es mir nicht weh, weil diese Malerei nicht unter Denkmalschutz steht. Wenn so ein Bild 15 oder 18 Jahre da ist, dann kommen woanders neue Wandbilder.

Eine vergängliche Kunst?

Kunst auf Zeit eben. So ein Wandbild geht auch kaputt. Und die fortschreitende Wärmedämmung der Häuser trägt ihres dazu bei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!