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Deutsche Behördensprache für FlüchtlingeVerloren im Paragrafendschungel

Bana Ghebrehiwet ist neu in Deutschland. Die Eritreerin erhält viel Post von Behörden, die sie nicht versteht. Über Paragrafen und schlaflose Nächte.

Bana Ghebrehiwet in ihrem Zimmer in Berlin. Sie möchte nicht erkannt werden Foto: Amélie Losier

Berlin taz | Die Geste kommt häufig: Mit der rechten Hand fegt Bana Ghebrehiwet durch die Luft, genervt, verzweifelt. Dazu ein „tss tss, Jobcenter“ und ein Augenrollen. Ghebrehiwet sitzt auf dem Bett in ihrem Zimmer in Berlin, wo sie seit einigen Monaten bei einer deutschen Familie wohnt. In ihrer Hand hält sie einen Umschlag mit einem amtlichen Stempel. Sie zittert und sagt: „Ich habe Angst. Was wollen die schon wieder?“

Mit „die“ meint die junge Frau das Jobcenter. Das Amt schickt der jungen Frau regelmäßig Briefe – so wie das üblich ist in Deutschland, wenn man von staatlichen Transferleistungen lebt.

Die Augen der jungen Frau huschen unruhig hin und her. Ghebrehiwet ist 19 oder 20 Jahre alt, so genau weiß sie das nicht. In Eritrea, wo sie herkommt, gibt es kaum Melde- und Standesämter, die Geburten registrieren. Eine Geburtsurkunde hat sie nie besessen, sie hat keine Ahnung, an welchem Tag genau sie geboren ist.

Die Gegenwart indes, ihr Leben in den vergangenen Jahren, ihre Wünsche, davon hat sie mehr als nur eine Ahnung, das kann sie genau beschreiben. Seit gut einem Jahr ist sie in Deutschland und froh darüber. „Ich will bleiben“, sagt sie. „Hier ist Frieden, ich kann zur Schule gehen und einen Beruf lernen.“ Bis ins Jahr 2022 hat sie einen sogenannten subsidiären Schutzstatus. Sie hat Freunde gefunden, migrantische und deutsche. Ihr Zimmer in der Wohnung der Deutschen in einem gutbürgerlichen Berliner Viertel ist 28 Quadratmeter groß, hat ein weiches Bett, Schränke, einen Schreibtisch, Bilder an den Wänden, eine Topfpflanze. „Luxus“, sagt Ghebrehiwet.

Schlaflose Nächte vor dem Besuch des Jobcenters

Trotzdem kann Bana Ghebrehiwet an manchen Tagen nicht aufstehen. Dann plagen sie fürchterliche Schmerzen, in den Beinen, im Kopf. Sie krallt die Decke über ihrem schmalen Körper zusammen und sagt: „Mein Kopf ist kaputt.“ Der Grund sind Alpträume, die in jeder Nacht wiederkommen: Bilder vom Krieg, von den Übergriffen auf der Flucht. Und es ist die ständige Angst vor den deutschen Behörden. Wenn sie, so wie morgen, einen Termin beim Jobcenter hat, liegt sie die ganze Nacht wach.

Die deutschen Behörden, das sind im Fall von Ghebrehiwet vor allem das Jobcenter und die Familienkasse. Die schicken regelmäßig Post: Die Ämter fragen nach Formularen und Anträgen, nach Kopien von Unterlagen, Bestätigungen von der Schule und ihren Vermietern. Vor allem aber enthalten die Umschläge Bescheide über die staatlichen Zuwendungen, die die junge Frau bekommt oder bekommen soll. Schreiben, in denen Sätze stehen wie dieser: „Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“

Ich brauche nicht viel Geld. Aber ich brauche Ruhe

Bana Ghebrehiwet

Was fängt eine Geflüchtete damit an? Eine junge Frau aus Eritrea, die gerade Deutsch lernt, und der „deutsche Bürokratie“ kaum zu vermitteln ist? Ghebrehiwet kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe der eritreischen Hauptstadt Asmara, dort ist sie zur Schule gegangen, hat Lesen, Schreiben und ein wenig Englisch gelernt. Was man so braucht, um klarzukommen in Eritrea. Ein Leben aber, das sich stark über Rechtsnormen, Vorschriften und Anträge entfaltet, so wie das in Deutschland der Fall ist, das kennt Ghebrehiwet nicht.

2015 ist Ghebrehiwet aus Eritrea geflohen. Gerade rechtzeitig, wenig später hätten Söldner vor der Haustür ihrer Familie gestanden, um das Mädchen mitzunehmen. Weil Eritrea und Äthiopien jahrelang miteinander verfeindet waren, müssen in Eritrea alle Frauen zur Armee. Gewöhnlich, wenn sie 18 Jahre alt sind, in der jüngeren Vergangenheit aber auch schon früher. Ghebrehiwet ist das mittlere von fünf Kindern, die älteste Schwester ist vor Jahren von der Armee geholt worden. Niemand weiß, wo die Schwester ist, keiner in der Familie hat seit Jahren mit ihr gesprochen. Ihren Vater kennt Ghebrehiwet nur als Zaungast, auch er ist bei der Armee.

Berechnungsbögen und Änderungsbescheide

Ihre Flucht ist eine Leidensgeschichte wie so viele: Flüchtlingslager in Äthiopien und Sudan, Gefängnis in Libyen, Boot übers Mittelmeer nach Italien, Ankunft in Deutschland. Hunger, Durst, Gewalt, Vergewaltigungen. „Ich will das alles vergessen“, sagt sie. Psycholog*innen wissen, dass Geflüchtete Monate brauchen, um zur Ruhe zu kommen. Viel schlafen, Zuwendung, so was. Stattdessen werden sie bei Behörden unfreundlich empfangen, wenn sie zum Termin zu spät kommen. Sie müssen Amtsschreiben entziffern und zeitnah reagieren. Viele sind damit überfordert.

Manchmal liegt jeden zweiten Tag ein Schreiben für Ghebrehiwet im Briefkasten. Mal ein „Berechnungsbogen“, der mitteilt, wie viel Geld ihr das Jobcenter gewährt. Wenig später ist es ein „Bescheid zur Aufhebung“ dieser Summe. Kurz danach ein „Änderungsbescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“. Die Erklärungen dazu lesen sich so: „Führt eine einmalige Einnahme nicht zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit, ist sie vollständig im Zufluss- oder im Folgemonat unter Berücksichtigung der Absetzbeträge nach § 11b zu berücksichtigen.“ Oder: „Soweit durch die Anrechnung in einem Monat die Hilfebedürftigkeit entfallen würde, ist eine einmalige Einnahme gleichmäßig auf einen Zeitraum von sechs Monaten aufzuteilen, unabhängig davon, ob dann für diesen Zeitraum Hilfebedürftigkeit entfällt oder nicht.“

Ghebrehiwet sagt: „Bis zu meiner Flucht habe ich ohne Papiere gelebt. Ich bin ein Jahr in Deutschland und habe schon einen vollen Aktenordner.“ Ein schwarze Ablagemappe mit Trennblättern, ihr „deutsches Leben“ streng sortiert nach Ausländerbehörde, Jobcenter, Wohnen, Schule, Kindergeld.

Ghebrehiwet schüttelt verständnislos den Kopf, wenn man versucht, ihr zu erklären, dass in Deutschland alles seine Ordnung haben muss, was durchaus von Vorteil sein kann. Wie viele Geflüchtete versteht sie nicht, dass es hierzulande ohne Anträge, vollständige Papiere, Kopien von Kontoauszügen und Schulbescheinigungen niemals geht. Auch für die Deutschen nicht. Sonst gibt es kein Geld.

Berechnungen, die unerklärlich bleiben

Wie aber erklärt man einer Eritreerin, was sich auch den meisten Deutschen kaum vermittelt? Eine Behördensprache, deren kryptische Botschaften und Berechnungen selbst deutsche Akademiker*innen kaum entziffern dürften. Wer – außer Juristen und den Behördenmitarbeiter*innen – versteht schon Sätze wie: „Die Entscheidung zur Aufhebung beruht auf 3 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 zehntes Sozialgesetzbuch – SGB X in Verbindung mit § 330 Absatz 3 Satz 1 drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III in Verbindung mit 3 40 Absatz 2 Nummer 3 SGB II“?

Häufig stimmen die Summen, die in den Schreiben angegeben sind, nicht mit denen überein, die auf Ghebrehi­wets Konto landen. Beispielsweise im Juli: Ein Schreiben verspricht 394,57 Euro. Wenig später korrigiert ein „Änderungsbescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ diese Summe. Dann teilt ein weiterer Bescheid mit, dass sie ein „zu berücksichtigendes Gesamteinkommen von 453,66 Euro“ und einen Leistungsanspruch von 1.286,64 Euro habe. Bekommen hat Ghebrehiwet indes nichts.

Nachfragen beim Jobcenter. Die Erläuterungen klären kaum auf. Da ist die Rede vom „Zuflussmoment“, von „Verrechnungen und späterer Nachzahlung des Kindergeldes, die sich aufteilt auf mehrere Monate“, von „Einmalzahlungen, die verrechnet werden“ und „Vorauszahlungen, die berücksichtigt werden“. Manche der Summen, die bei der Erklärung durch den Raum fliegen, tauchen in älteren Schreiben des Jobcenters an die junge Frau auf. Andere wiederum nicht. Diese sind nur in der „Akte Ghebrehiwet“ verzeichnet, die als dicker Ordner in einem Schrank im Jobcenter steht.

Es ist ein Wirrwarr aus Zahlen, Summen und Kosten, gewiss alles rechtsstaatlich geprüft, in Ordnung und allen Vorschriften entsprechend, aber bisweilen selbst von Mitarbeiter*innen des Jobcenters nicht zu verstehen. Ein Mitarbeiter antwortete am Telefon auf Nachfrage zu den Berechnungen für den Juli: „Das kann ich Ihnen nicht erklären.“

Ich will bleiben. Hier ist Frieden, ich kann lernen

Bana Ghebrehiwet

In einem Schreiben, das Ghebrehi­wet Anfang August als Korrektur für den Juli bekam, taucht zudem ein großer Posten auf: 924,30 Euro, Heimkosten aus einer Zeit, als sie noch in der Flüchtlingsunterkunft wohnte. Das Geld hat das Jobcenter direkt an das zuständige Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten überwiesen. Damit hat Ghebrehiwet also überhaupt nichts zu tun. Wieso muss sie das wissen? Der Gesetzgeber schreibe das so vor, erklärt eine Jobcentermitarbeiterin: „Damit die Geflüchtete weiß, dass ihre Wohnheimkosten beglichen sind.“

„Ich will doch einfach nur zur Schule gehen“

Ghebrehiwet blättert in ihren Kontoauszügen, die vollständig und ordentlich abgeheftet sind. Morgen ein neuer Termin beim Jobcenter. Sie weiß jetzt schon, dass sie in der Nacht nicht schlafen wird. Seit Montag geht sie in eine neue Schule, ein Oberstufenzentrum Gesundheit, Ghebrehiwet will einmal Krankenschwester werden. Auf ihrem Konto hat sie 4,32 Euro. Das Schulmaterial für den Start in der neuen Bildungseinrichtung haben ihr ihre deutschen Vermieter gekauft. „Ich will einfach nur zur Schule gehen und lernen“, sagt Ghebrehiwet: „Dafür brauche ich nicht viel Geld. Aber ich brauche Ruhe.“

Bana Ghebrehiwet wohnt bei der Autorin zur Untermiete.

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17 Kommentare

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  • Das ist für unser Land typisch. Nicht nur für Behörden, sondern überall. Die hierzulande unfaßbar verbreitete Mischung aus Minderwertigkeitsgefühlen und Eitelkeit äußert sich in Wichtigtuerei und Angeberei, angewandte Herrschaftssprache. Wenn Fußballer heutzutage nach einem schlechten Spiel gefragt werden, ob es denn ein gutes Spiel gewesen wäre, kann man Antorten wie diese erwarten: "Bei Ihrer Frage nach der spielerischen Qualität möchte ich subjektiv meinen, daß möglicherweise durch negative leistungsbezogene Trainingseinheiten eine sportliche Situation generiert wurde, die es uns psychologisch und mental unmöglich machte, unsere Leistungsbereitschaft abzurufen." So oder so ähnlich schon tausendmal gehört. Noch vor zwanzig Jahren hätte ein normaler Spieleer einfach geantwortet: "Nein". Und das geht heute überall so. Die Wichtigtuerei kommt aus dem Autoradio, wo der aktuellste (?) Verkehrsbericht gesendet wird, im Fernsehen extremste (?) Wetterlagen gemeldet werden, beides Adjektive, die weder Komparativ noch Superlativ haben können. Diese "Superlativitis" ist nur ein Zeichen, wie alle zurzeit verdrahtet sind. Alle rufen unentwegt „ich, ich, ich“. Dazu kommt noch die Substantivitis und die Fremdwörterei und schon kommt sich der untergeordnete Sachbearbeiter fast vor wie ein Professor Dr. Wichtig. Damit kopiert er aber nur seine Vorgesetzen, die – immer nach oben schielend – ähnlichen verbalen Dünnpfiff absondern. Am schlimmsten sind die sog. TV-Eliten, bzw. die, die sich dafür halten. Und alle, alle machen mit. So eine Art sprachpsychologisches „des Kaisers neue Kleider“. Die Ärmsten und die, die keine Möglichkeiten zur Bildung bekommen haben, läßt man so hilflos auf der Straße zurück. Scheiß Angeberei.

  • Die Geflüchtete ist im Ergebnis priviligiert, im vgl. zum Otto-Normal-Hartzer!

    Die Maße der ALG-2-Bezieher/innen versteht die Bescheide auch nicht. Mit oftmals erheblichen Folgen, wie Leistungskürzungen usw. Bei der Entschlüsselung hilft diesen jedoch kaum keiner.







    Den Flüchtlingen stehen hingegen unzählige proffesionele und ehrenamtliche Helfer zur Verfügung, Manche Ämter halten sogar Dolmetscher vor, um bei der Erstantragstellung zu unterstützen.

    Im Gegensatz zu Deutschen (mit oder Migrationshintergrund) erhalten diese Hilfe. Der Weg in den Sozialstaat wird ihnen vergleichsweise sehr einfach gemacht.

    Die Autorin sollte mal mit Mitarbeitern/innen der Obdachlosenhilfe sprechen. Dann könnte sie erfahren, wie Menschen auf der Straße landen, keine Krankenversicherung mehr haben, von der Hand in den Mund leben, weil sie nicht in der Lage waren die Briefe und deren Bedeutung zu verstehen.

    Diese Menschen haben keinen Bonus, weil sie aus Krisengebieten kommen und mit einem Opfertitel förmlich geadelt werden. Sie sind der vollen geselschaftlichen Ächtung ausgesetzt. Denn eine Traumatisierung aufgrund eines durch Alkohol, Gewalt, Missbrauch und Perspektivlosigkeit geprägten deutschen Haushaltes, wird den Betroffnen indirekt selbst angelastet.



    Auch diese Menschen habe erheblich (psychische) Probleme, welche sie z. B. nicht schlafen lassen. Diesen wird jedoch automatisch untestellt, dass sie Termine nicht wahrnehmen, weil sie faul usw. sind.

    • @rujex:

      Beratungsstellen und Hilfe gibt es aber auch für nicht Geflüchtete, die die deutsche Sprache beherrschen. Man muss sie nur aufsuchen.

    • @rujex:

      Jeder, der mit Jobcenter und Sozialamt zu tun hat, bekommt irgendwann Angst den Briefkasten aufzumachen, weil es irgendwann einfach zu viel wird, egal, wie korrekt man alles erledigt und vor allem auch versteht. Irgendwann regiert das Herzklopfen und die Überlebensangst, wenn wieder unrechtens angekündigt/gedroht wird, dass was versagt oder gekürzt wird.

      Der Hinweis auf die nötige RUHE ist der wichtigste, das gilt ebenso für deutsche Arbeitslose, die sich nicht in RUHE einen neuen Job suchen können und auch für "deutsche" chronisch Kranke, die nicht zur Genesung kommen können aufgrund des bürokratischen Terrors. Der muss sein, selbst wenn man im Koma liegt. Und vor allem, wenn man keinen Partner hat, der das dann im Fall der Fälle mit erledigt. Ansonsten ist z.B. die Wohnung nach dem Krankenhausaufenthalt gekündigt.

    • @rujex:

      Das ist für jeden Betroffenen gleich skandalös, die Flüchtlinge können am allerwenigsten dafür. Der Versuch, den Ärger über das Hartz-Abschreckungssystem auf sie zu übertragen, ist schlicht schäbig.

  • Es ist manchmal nicht nur die Sprache, sondern auch der Inhalt.



    In einem von mir begleiteten Fall ging es um den Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer (grauer Pass) im Rahmen der Passbeschaffungpflicht bei der Ausländerbehörde. In einem Schreiben wurde der Antragsteller angewiesen, eine Gebühr von immerhin 97 EUR in weniger als einer Woche Frist zu überweisen, damit der Antrag überhaupt bearbeitet wird. Gleichzeitig aber wurde darauf hingewiesen, dass die Behörde das Geld auf jeden Fall behält, ganz egal, ob dem Antrag stattgegeben wird oder nicht.



    Auf gut deutsch: wenn er nicht zahlt, hat er überhaupt keine Aussicht auf ein Reisedokument. Wenn er zahlt, kann es sein, dass er auch kein Dokument bekommt, aber das Geld (immerhin ein Viertel seines Monatsbudgets) ist dann trotzdem weg.



    Das Geld wurde fristgerecht überwiesen, das ganze ist jetzt drei Monate her, seither ist genau NICHTS passiert.

    • @Kolyma:

      Vielleicht hilft hier P. 75 VwGO weiter.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Viele, die schon lange hier leben, etwa seit ihrer Geburt, können die Behördensprache auch nicht verstehen.



    Sie wollen ebenfalls nur ihre Ruhe und ihrer Arbeit nachgehen.



    Ein Blick auf den Kontoauszug läßt auch nichts gutes ahnen und schlaflose Nächte kennen sie auch.



    Was Sie hier beschreiben, Frau Schellack, kenne ich von vielen Alleinerziehenden.



    Leider haben diese keinen Vermieter, der für die Schulsachen ihrer Kinder die Geldbörse öffnet.



    Es gibt nie nur eine Seite der Medaille .



    Es gibt viele Facetten der Not!

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Das Ministerium für den öffentlichen Dienst in Frankreich hat nachstehende Broschüre behufs eines besseren Verständnis der Behöredensprache herausgegeben.



    www.modernisation....taches/lexique.pdf

  • Mal anstelle der Behörde der Rechtssprechung, sprich der geehrten Richterschaft, gedenken, dort klärt sich die objektive Rechtslage, sprachlich aber natürlich völlig verständlich für jeden, es sind eben nur diese blöden Behörden tztztztz ;-).

  • Ich habe vor zwei Jahren beim Warten an einer Bushaltestelle dort ein paar Stück haften sehen und es aus Neugier gelesen. Ich brauchte einige Zeit, um das dortige Behördendeutsch richtig zu deuten. Es handelte sich um die Kopie eined amtlichen Bescheids für einen Asylbewerber aus Mogadischu, dass er in ein Lager in knapp 80 km Entfernung umgesiedelt werde und sich dort zu melden habe. Mit Widerspruchsbelehrung usw. Ich kann verstehen, wenn die Asylbewerber schlaflose Nächte nur wegen unserer Ämter verbringen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Nicht nur Flüchtlinge haben Probleme mit deutscher Behördensprache. Sie wahrscheinlich besonders. Aber auch Menschen mit höherem Bildungsabschluss kommen schnell an ihre Grenzen.

    Man kann also sagen, Deutsche Behörden arbeiten effektiv und funktional. Sie schrecken ab. Und das ist so gewollt. Ein Blick in die Deutsche Geschichte spricht eine deutliche Sprache. Ob unter den Schergen des Dritten Reiches oder den scheinbar geläuterten Demokraten der Nachkriegszeit bis hin zur kalten Effektivität heutiger Behördenvertreter.

    Wer Humanismus sucht, sollte dies woanders tun. "Hier bin ich sowieso, schön ist es anderswo." (Wilhelm Busch)

  • Guter, überfälliger Artikel! Ich bin indes nicht so sicher, dass es sich alles um Rechtsstaatlichkeit und beste Administration handelt! Wenn es derart kryptisch wird, dass ein durchschnittlicher Abiturient die Mitteilungen nicht mehr verstehen (und erklären) kann, hat die Behörde einen Fehler gemacht. Außerdem wird damit dem Leistungsbezieher die Planbarkeit genommen. Teilweise konterkariert die Behörde ihre eigentliche Aufgabe, Schilda lässt grüßen. Hier ein Beispiel aus Österreich: Das Sozialamt kann eine Not- oder Überbrückungshilfe für eine Familie (alles Staatsbürger), die diese auch zurückzahlen könnte, nicht bearbeiten, da die Kinder zwar Geburtsurkunden haben, aber keine Personalausweise (die Eltern schon). Schnell welche anfertigen lassen, geht auch nicht, da dies Geld kosten würde...

    • @EricB:

      Juristen für Juristen! "Behörden" tragen daran, dass Bürger nicht genau verstehen, systemisch keine, ggf nur geringste Schuld.



      Das zweite, Achtung, Spass mit ernsthaftem Hintergrund, "Staatsgeheimnis" neben "Jura" sind die Wirtschaftswissenschaften. Meinen Sie, Sie sollen Geld, Alternative Wirtschaft oder Bankprodukte verstehen?!

      Unverständnis liegt, wie gesagt, jedoch nicht am "Kleinen" (Behörden vollziehen in der Regel nur, was ihnen aufgetragen wurde). Mit dem bashing auf Behörden, wo überwiegend der s.g. einfache Mensch tätig ist, bauen Sie durch Ungenauigkeit bzw mangelnde Differenzierung Feindbilder auf, wenn Sie nicht ausreichend deutlich machen, dass Sie nicht die durchschnittlichen Bediensteten meinen - falls. Der Weg ist Dialog.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @EricB:

      Es handelt sich leider nicht um Fehler, sondern um System.

      Verschwurbelte Behördensprache hat eine einzige Aufgabe: abzuschrecken und zu entmutigen. In langen Jahren meiner Berufstätigkeit bin ich vielen Menschen begegnet, bei denen die erwünschte Wirkung eingetreten ist. Umso lieber helfe ich Freunden und Nachbarn dabei, dieser Wirkung entgegenzuarbeiten.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Kann sein.



        Manchmal kann man aber komplizierte Sachverhalte auch nur kompliziert ausdrücken



        Und wenn man Gesetze und Regeln vereinfacht führt das dazu, daß nicht mehr so stark auf individuelle Lebenssituationen Rücksicht genommen werden kann.

  • Nach § 23 Abs. 1 VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz) und nach entsprechenden Normen in den meisten Landesverwaltungsgesetzen ist Deutsch in Deutschland Amtssprache.

    In sachlichen Bereichen, in denen das VwVfG nicht oder nicht hinreichend greift, bedarf es für die zuständigen Behörden oder Einrichtungen zur Festlegung der Amtssprache spezieller Regelungen in anderen Gesetzen (beispielsweise § 87 Abs. 1 AO (Abgabenordnung) für die Steuerverwaltung und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB X (Sozialgesetzbuch) für das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren. Entsprechendes gilt bei den Landesgesetzen.

    Das im Januar 1877 in Kraft getretene Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) legt Deutsch schon vorkonstitutionell als Gerichtssprache fest (§ 184 GVG), was präjudizierend für weitere Sprachfestlegungen in Deutschland wirkte.

    Dazu entschied im August 1974 das Bundesverwaltungsgericht, dass ein Ausländer keinen Anspruch darauf hat, dass an ihn gerichtete amtliche Schriftstücke in seiner Heimatsprache abgefasst werden. Er (und nicht die Behörde) müsse sich vielmehr, wenn er der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei, über den Inhalt des Schriftstücks mit Hilfe eines Dolmetschers Klarheit verschaffen - BVerwG, Beschluss vom 14. August 1974, Az: I B 3.74, DÖV 1974 S. 788.

    Das alles hindert aber nicht daran, auch vermeintlich schwierige Sachverhalte so einfach auszudrücken, dass normale Menschen sie auch verstehen können. Vielleicht sollte man die Formulierung behördlicher Schreiben nicht nur den Juristen überlassen, sondern Germanisten mit einer Zusatzausbildung für "einfache Sprache" beteiligen.