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Kolumne SchlaglochButterbrezeln und #MeTwo

Die Integrationsdebatte zeigt, wie wenig Verständnis für ein multikulturelles Leben besteht. Das Problem sind besonders die Alteingessenen.

Forderungen nach dem Bekenntnis zum „Heimatland“ sind uns Migranti geläufig wie die Brezel zum Frühstück Foto: Clay Banks/Unsplash

I n den letzten zwölf Monaten habe ich bei Dutzenden von Veranstaltungen mein Buch „Nach der Flucht“ vorgestellt, in dem es um das Leben als Geflüchteter in diesem Land geht. Um dynamische, multiple Identitäten. Um die Reaktionen der Alteingesessenen auf einen vermeintlich Fremden. Kaum eine Lesung ging ohne Diskussionen vorüber. Die allabendliche Begegnung zwischen einem Autor mit „Migrationshintergrund“ und literaturinteressierten Bürgerinnen offenbarte einen beachtlichen Gesprächsbedarf. In Bibliotheken und Buchhandlungen wiederholte sich Mal um Mal, was nun in der „Causa Özil“ hochkocht.

Mir wurde im Laufe dieser Gespräche klar, dass der Diskurs über Integration erheblich weiter fortgeschritten ist als die Selbstverständlichkeit im täglichen Umgang. Selbst interessierte und nachdenkliche Mitmenschen geben manchmal erstaunliche Klöpse von sich. Sätze wie jener des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, Özil müsse sich zu seinem „neuen Heimatland“ bekennen, obwohl dieser bekanntlich in Gelsenkirchen geboren wurde, sind uns Migranti so geläufig wie die Butterbrezel zum Frühstück, die Currywurst zum Mittagessen und der Sauerbraten zum Abendbrot. „Wieso schreiben Sie nicht in Ihrer Muttersprache?“, „Wo sind Ihre Wurzeln?“ oder das penetrante Schmierenkompliment: „Wie haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?“ – Das sind nur einige Beispiele der tagtäglichen Zumutungen.

Neulich saß ich mit einer fernöstlich aussehenden Frau zusammen, die in diesem Land geboren ist und daher mit breitem süddeutschen Akzent spricht. Sie ist erfolgreich, gebildet, charmant. Und doch muss sie sich selbst am laufenden Dummheitsmeter erklären, wie ein Exponat in einer Freak Show – das Aussehen entspricht halt nicht ihrem Deutschtum. Die größte Illusion der Integrationsdebatte ist nämlich, dass Assimilierung ein Allheilmittel sei. Es ist bequem, mit dem anklagenden Finger auf den reaktionären Muslim zu zeigen, der sich und seine Familie völlig abkapselt. Die Realität ist aber, dass selbst jene, die bei der kulturellen Selbstverwandlung außergewöhnlich erfolgreich waren, immer wieder verbale Ausgrenzung erfahren und diese als symbolische Abschiebung empfinden.

Nützlich im Bürgeramt, ansonsten gefährlich

Dies ist schmerzhaft, insbesondere, wenn es durch Altdeutsche erfolgt, die ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Sprache haben: Hasserfüllte Leserbriefe sind meist gespickt mit grammatikalischen und stilistischen Fehlern, von der willkürlichen Rechtschreibung ganz zu schweigen. Dass manchmal ein „Ausländer“ besser Deutsch schreibt als ein „Einheimischer“, das geht den meisten immer noch nicht in den DIN-genormten Quadratschädel. Solche Reaktionen und Verhaltensweisen sind nicht einem halbversteckten Rassismus geschuldet, sondern eher der Ignoranz sowie einer jahrhundertelangen Zurichtung durch dumpfe Ideologien wie dem Nationalismus und der Zugehörigkeit durch Blutsverwandtschaft.

„Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst“, steht im „Sachsenspiegel“, dem ältesten Rechtsbuch deutscher Sprache, immerhin bald achthundert Jahre alt. So ein Diktum mag nützlich sein, wenn man im Bürgeramt eine Nummer zieht und sich in die lange Warteschlange einreiht, es ist aber geradezu gefährlich als grundsätzliche Haltung. Soziale Kohäsion entsteht nicht durch die Wahrung von nebulösen kulturellen Besitzständen.

Was mich bei den emotionalen Reaktionen auf das Buch besonders berührte, waren Aussagen von ehemals Vertriebenen. In Darmstadt kam eine alte Frau auf mich zu und erzählte mir, sie lebe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in dieser Stadt und fühle sich als Schlesierin immer noch fremd. Die Einheimischen hätten ihr immer wieder zu verstehen gegeben, sie gehöre nicht dazu.

Eine latente Xenophobie fließt durch die geschlossenen Adern dieser Gesellschaft

Mehrmals berichteten Deutsche aus dem Osten über ihr Fremdeln im westlichen Deutschland. Das zeigt auf, dass sich Feindseligkeiten nicht nur an religiöser oder sprachlicher Differenz entzünden. Nein, eine latente Xenophobie fließt durch die geschlossenen Adern dieser Gesellschaft. Sie offenbart sich in jeder Aussage à la „Multikulti ist gescheitert“, obwohl alle Studien und Statistiken beweisen, dass die Migranti dieses Land materiell, aber auch kulturell enorm bereichert haben. Ein Scheitern auf höchstem Niveau also, besser als monokulturelles Gelingen.

Manchmal ist das Eigene fremd

Eine meiner frühesten Erinnerungen an die deutsche Leitkultur betrifft den Sänger Roberto Blanco. Ich sitze als Flüchtlingskind vor dem Fernseher. Es singt ein lustiger Mann und alle johlen und jubeln, nur ist der Sänger schwarz und alle im Publikum sind weiß: „Ein bisschen Spaß muss sein“, und die Mehrheitsgesellschaft erlaubt sich ein wenig Spaß. Wenn der Fremde das Nichteinwanderungsland Deutschland zum Tänzchen bittet, dann hätten es die Alteingesessenen gern, dass die Neuankömmlinge sich führen lassen, am besten wie hübsche Marionetten. Das Problem dabei ist nur, dass jene, die dazugehören wollen, nicht völlig akzeptiert, und jene, die nicht dazugehören wollen, stigmatisiert werden.

Die Diskussion über das Fußballfoto mit Diktator zeigt auf, wie wenig Verständnis in unserer Gesellschaft für die Komplexität eines multikulturellen Lebens besteht. Für Aspekte wie Nostalgie, Sehnsucht, Entfernung und Annäherung. Manchmal ist die Heimkehr ein Kulturschock, manchmal ist einem das Eigene fremd.

Am Ende des Tages basiert Fremdenfeindlichkeit stets auf einer Schieflage: Es gelten nicht gleiche Rechte für alle!

Zudem ist es unerträglich, einem Kicker mehr Haltung abzuverlangen als der politischen und wirtschaftlichen Elite, die mit Diktatoren viel mehr verbindet als nur ein Foto. Der deutsche Anstand sollte es verbieten, dass deutsche Automobilhersteller, die seit Jahren das deutsche Volk betrügen und vergiften, sich als moralische Instanz aufbauen, oder dass Kriminelle wie Herr Hoeneß, die das deutsche Volk um Millionen betrogen haben, sich abfällige Urteile erlauben. Denn am Ende des Tages basiert Fremdenfeindlichkeit stets auf einer Schieflage: Es gelten nicht gleiche Rechte für alle!

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10 Kommentare

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  • Zitat: "...alle Studien und Statistiken beweisen, dass die Migranti dieses Land materiell, aber auch kulturell enorm bereichert haben."



    Ich habe nun lange überlegt, aber "enorm viel" ist mir nicht eingefallen. Diese durch nichts belegte Pauschalaussage hätte ich doch gerne bei Gelegenheit von ihnen Mal erläutert.



    Definition "enorm" lt. Duden: "über alle Maßen". Die Migranti haben also, anders formuliert, einen verarmten und kulturlosen Landstrich in eine blühende Landschaft verwandelt.

  • Danke für diesen Artikel. Ich habe hier ähnliche Erfahrungen gemacht – und ich bin keine Einwanderin. Wir alle, nehmen wie selbstverständlich für uns das Recht in Anspruch auszuwandern – ohne je ein Wort der Sprache des Gastlandes zu sprechen. Erwarten aber unmenschliches von den Einwanderern.

    • @cat:

      Wieso 'wir alle'? Woher wissen Sie das und wer ist 'wir'?

  • 9G
    90634 (Profil gelöscht)

    "Die Diskussion über das Fußballfoto mit Diktator zeigt auf, wie wenig Verständnis in unserer Gesellschaft für die Komplexität eines multikulturellen Lebens besteht. Für Aspekte wie Nostalgie, Sehnsucht, Entfernung und Annäherung."

    Na klaro. Ob sich der Ami-Deutsche jetzt mit Trump, der Russland-Deutsche mit Putin oder Micky Maus mit dem Schwarzen Phantom fotografieren lässt, die haben doch alle nur Sehnsucht nach Hause ...

  • Das Problem wird immer sichtbar, wenn Erwartung auf divergierende Realität trifft. Die Erwartungen entstehen aus früh-kindlicher Prägung, initiatischen Erfahrungen und kultureller Tradierung. Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.

    Ich habe lange in Frankreich gelebt und aus dieser Zeit stammt meine Grundkonditionierung, dass ich von Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder sog. 'arabischem' Aussehen erstmal erwarte, dass sie Französisch sprechen.

    Man sollte Neugier bzw. eine auf Grundlage der nicht-erfüllten Erwartung (vlg. Vor-Urteil) formulierte Frage erstmal wohlwollend bewerten. Die meisten Menschen sind nett, und freundlich. Leider sprechen wir in erster Linie immer von den 10%-Arschlöchern, die in jeder grösseren Population vorhanden sind.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Beispiel radfahren: 30% der Autofahrer behandeln Radfahrer schlecht und 30% der Radfahrer Fußgänger.



    Also sind 30% jeder Gruppe temporäre oder dauerhafte Ekelpakete.

    Da muss ich jetzt nicht drüber jammern. Wichtig ist es, die Psychopathen aus dem Verkehr zu ziehen, die z.B. Rettungswagenfahrer angreifen.

    Und, die Alteingesessenen bestimmen nun mal, wenn sie die Mehrheit haben, die Regeln des Zusammenlebens. Und in kultureller Hinsicht sind die Deutschen ziemlich tolerant.

    Wenn Sie sich allerdings an Schnitzelessenden und Eimersangriasaufenden abarbeiten wollen - viel Spaß.

  • 9G
    90634 (Profil gelöscht)

    Manchmal geben Autoren in der taz auch "ganz schöne Klöpse" von sich:

    "dass deutsche Automobilhersteller, die seit Jahren das deutsche Volk betrügen und vergiften, sich als moralische Instanz aufbauen"

    Ist das jetzt okay in der taz, derart unreflektiert das "deutsche Volk" als positive Projektionsfläche zu benutzen? Welches deutsche Volk denn bitte? Gehören die Automobilhersteller also nicht zu diesem "deutschen Volk", weil sie miese Kapitalisten sind? Sind die also "Volksverräter"? Wer gehört denn dann nach Meinung des Autors noch nicht zu diesem "deutschen Volk"? Vielleicht diejenigen, die etwas tun das der Autor moralisch nicht gut heißt? Oder einfach per se mehr Geld als andere haben"?

    In diesem Kontext das Wort "Volk" auszupacken und jenem angebliche menschliche Antagonisten gegenüber zu stellen - da wird einem übel. Da waren wir auch schonmal weiter.

    Solche Patzer sollte als jemand, der sich anmaßt über "nachdenkliche Mitmenschen" zu urteilen, nicht erlauben. Schon gar nicht in der taz.

  • "...dann hätten es die Alteingesessenen gern, dass die Neuankömmlinge sich führen lassen, am besten wie hübsche Marionetten."

    Genau das. Trifft auch bei anderen "Minderheiten" zu, denen immer wieder implizit oder explizit "Solidarität" abverlangt wird, anstatt ihnen zuzubilligen, einen wie auch immer gearteten eigenen Weg zu gehen.

    • 9G
      90634 (Profil gelöscht)
      @Wurstprofessor:

      Was hat denn das mit Solidarität zu tun?

      Solidarität ist nicht nur dieses immer wieder hochgespülte Schlagwort, sondern von der Grundidee etwas wechselseitiges, das garantieren soll, dass sich Menschen in einer Gesellschaft aufeinander verlassen können. Ganz früher nur im kleinen Kreis der Familie gepflegt, kam mit dem Gedanken einer sozialen Gesellschaft die Idee auf, diese Form des Umgangs auszuweiten. Wenn also eine Minderheit Solidarität (zb. für ihren Lebensstil) fordert, dann funktioniert dass nur, wenn sich umgekehrt die Mehrheit auch auf diese verlassen kann (zb. in der gemeinsamen Zustimmung zur demokratischen Grundordnung).

      Das war und ist das Gesellschaftskonzept der Solidarität. Dieses jetzt nur in eine Richtung laufen lassen zu wollen wird nicht funktionieren bzw hat dann auch nichts mehr mit Solidarität zu tun.

  • "Der deutsche Anstand sollte es verbieten, dass deutsche Automobilhersteller, die seit Jahren das deutsche Volk betrügen und vergiften, sich als moralische Instanz aufbauen, oder dass Kriminelle wie Herr Hoeneß, die das deutsche Volk um Millionen betrogen haben, sich abfällige Urteile erlauben."



    Ach wenn doch nur die (nicht nur deutsche) Allgemeinheit in der Lage wäre, so zu denken und zu handeln.