Kolumne Schlagloch: Butterbrezeln und #MeTwo
Die Integrationsdebatte zeigt, wie wenig Verständnis für ein multikulturelles Leben besteht. Das Problem sind besonders die Alteingessenen.
I n den letzten zwölf Monaten habe ich bei Dutzenden von Veranstaltungen mein Buch „Nach der Flucht“ vorgestellt, in dem es um das Leben als Geflüchteter in diesem Land geht. Um dynamische, multiple Identitäten. Um die Reaktionen der Alteingesessenen auf einen vermeintlich Fremden. Kaum eine Lesung ging ohne Diskussionen vorüber. Die allabendliche Begegnung zwischen einem Autor mit „Migrationshintergrund“ und literaturinteressierten Bürgerinnen offenbarte einen beachtlichen Gesprächsbedarf. In Bibliotheken und Buchhandlungen wiederholte sich Mal um Mal, was nun in der „Causa Özil“ hochkocht.
Mir wurde im Laufe dieser Gespräche klar, dass der Diskurs über Integration erheblich weiter fortgeschritten ist als die Selbstverständlichkeit im täglichen Umgang. Selbst interessierte und nachdenkliche Mitmenschen geben manchmal erstaunliche Klöpse von sich. Sätze wie jener des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, Özil müsse sich zu seinem „neuen Heimatland“ bekennen, obwohl dieser bekanntlich in Gelsenkirchen geboren wurde, sind uns Migranti so geläufig wie die Butterbrezel zum Frühstück, die Currywurst zum Mittagessen und der Sauerbraten zum Abendbrot. „Wieso schreiben Sie nicht in Ihrer Muttersprache?“, „Wo sind Ihre Wurzeln?“ oder das penetrante Schmierenkompliment: „Wie haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?“ – Das sind nur einige Beispiele der tagtäglichen Zumutungen.
Neulich saß ich mit einer fernöstlich aussehenden Frau zusammen, die in diesem Land geboren ist und daher mit breitem süddeutschen Akzent spricht. Sie ist erfolgreich, gebildet, charmant. Und doch muss sie sich selbst am laufenden Dummheitsmeter erklären, wie ein Exponat in einer Freak Show – das Aussehen entspricht halt nicht ihrem Deutschtum. Die größte Illusion der Integrationsdebatte ist nämlich, dass Assimilierung ein Allheilmittel sei. Es ist bequem, mit dem anklagenden Finger auf den reaktionären Muslim zu zeigen, der sich und seine Familie völlig abkapselt. Die Realität ist aber, dass selbst jene, die bei der kulturellen Selbstverwandlung außergewöhnlich erfolgreich waren, immer wieder verbale Ausgrenzung erfahren und diese als symbolische Abschiebung empfinden.
Nützlich im Bürgeramt, ansonsten gefährlich
Dies ist schmerzhaft, insbesondere, wenn es durch Altdeutsche erfolgt, die ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Sprache haben: Hasserfüllte Leserbriefe sind meist gespickt mit grammatikalischen und stilistischen Fehlern, von der willkürlichen Rechtschreibung ganz zu schweigen. Dass manchmal ein „Ausländer“ besser Deutsch schreibt als ein „Einheimischer“, das geht den meisten immer noch nicht in den DIN-genormten Quadratschädel. Solche Reaktionen und Verhaltensweisen sind nicht einem halbversteckten Rassismus geschuldet, sondern eher der Ignoranz sowie einer jahrhundertelangen Zurichtung durch dumpfe Ideologien wie dem Nationalismus und der Zugehörigkeit durch Blutsverwandtschaft.
„Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst“, steht im „Sachsenspiegel“, dem ältesten Rechtsbuch deutscher Sprache, immerhin bald achthundert Jahre alt. So ein Diktum mag nützlich sein, wenn man im Bürgeramt eine Nummer zieht und sich in die lange Warteschlange einreiht, es ist aber geradezu gefährlich als grundsätzliche Haltung. Soziale Kohäsion entsteht nicht durch die Wahrung von nebulösen kulturellen Besitzständen.
Was mich bei den emotionalen Reaktionen auf das Buch besonders berührte, waren Aussagen von ehemals Vertriebenen. In Darmstadt kam eine alte Frau auf mich zu und erzählte mir, sie lebe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in dieser Stadt und fühle sich als Schlesierin immer noch fremd. Die Einheimischen hätten ihr immer wieder zu verstehen gegeben, sie gehöre nicht dazu.
Mehrmals berichteten Deutsche aus dem Osten über ihr Fremdeln im westlichen Deutschland. Das zeigt auf, dass sich Feindseligkeiten nicht nur an religiöser oder sprachlicher Differenz entzünden. Nein, eine latente Xenophobie fließt durch die geschlossenen Adern dieser Gesellschaft. Sie offenbart sich in jeder Aussage à la „Multikulti ist gescheitert“, obwohl alle Studien und Statistiken beweisen, dass die Migranti dieses Land materiell, aber auch kulturell enorm bereichert haben. Ein Scheitern auf höchstem Niveau also, besser als monokulturelles Gelingen.
Manchmal ist das Eigene fremd
Eine meiner frühesten Erinnerungen an die deutsche Leitkultur betrifft den Sänger Roberto Blanco. Ich sitze als Flüchtlingskind vor dem Fernseher. Es singt ein lustiger Mann und alle johlen und jubeln, nur ist der Sänger schwarz und alle im Publikum sind weiß: „Ein bisschen Spaß muss sein“, und die Mehrheitsgesellschaft erlaubt sich ein wenig Spaß. Wenn der Fremde das Nichteinwanderungsland Deutschland zum Tänzchen bittet, dann hätten es die Alteingesessenen gern, dass die Neuankömmlinge sich führen lassen, am besten wie hübsche Marionetten. Das Problem dabei ist nur, dass jene, die dazugehören wollen, nicht völlig akzeptiert, und jene, die nicht dazugehören wollen, stigmatisiert werden.
Die Diskussion über das Fußballfoto mit Diktator zeigt auf, wie wenig Verständnis in unserer Gesellschaft für die Komplexität eines multikulturellen Lebens besteht. Für Aspekte wie Nostalgie, Sehnsucht, Entfernung und Annäherung. Manchmal ist die Heimkehr ein Kulturschock, manchmal ist einem das Eigene fremd.
Zudem ist es unerträglich, einem Kicker mehr Haltung abzuverlangen als der politischen und wirtschaftlichen Elite, die mit Diktatoren viel mehr verbindet als nur ein Foto. Der deutsche Anstand sollte es verbieten, dass deutsche Automobilhersteller, die seit Jahren das deutsche Volk betrügen und vergiften, sich als moralische Instanz aufbauen, oder dass Kriminelle wie Herr Hoeneß, die das deutsche Volk um Millionen betrogen haben, sich abfällige Urteile erlauben. Denn am Ende des Tages basiert Fremdenfeindlichkeit stets auf einer Schieflage: Es gelten nicht gleiche Rechte für alle!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen