piwik no script img

Sie lächelt ihn weg

ALTERNATIVE Anfangs war sie die attraktive Frau unter nicht mehr ganz jungen Professoren. Jetzt plant Frauke Petry, AfD-Chef Bernd Lucke von der Spitze zu verdrängen. Ist sie wirklich so rechts, wie alle immer sagen?

Der Machtkampf

■ Das Treffen: Am ersten Juliwochenende tagt der Bundesparteitag der AfD in der Essener Grugahalle. Dort soll ein neuer Bundesvorstand gewählt werden – und erstmals auch ein einziger Vorsitzender. Das ist der aktuelle Stand. Es wird ein Duell zwischen Bernd Lucke und Frauke Petry erwartet.

■ Die Kandidaten: Lucke, Gründungsfigur der AfD, steht vor allem für den eurokritischen Kurs. Er sitzt im Europaparlament und gilt als konservativ-wirtschaftsliberal. Petry ist sächsische Fraktionschefin und wird dem rechten Flügel zugerechnet. Inhaltlich aber sind die beiden gar nicht so weit voneinander entfernt. Derzeit führen sie die Partei gemeinsam mit dem Publizisten Konrad Adam.

■ Die Satzung: Auf dem Parteitag könnte noch einmal abgestimmt werden, ob es künftig wirklich nur einen Vorsitzenden geben soll, wie es die neue Satzung vorsieht. Selbst wenn eine Doppelspitze kommt: Petry und Lucke haben ausgeschlossen, weiter zusammenzuarbeiten.

■ Die Prognose: Die Partei ist gespalten. Es gibt keine Delegierten, alle angemeldeten Mitglieder dürfen abstimmen. Die Spitze rechnet mit mehreren tausend Teilnehmern. Das gilt als Vorteil für Lucke, der bei den Mitgliedern beliebter ist als bei den Delegierten, die eher Petry unterstützen.

AUS GÖTTINGEN UND BERLIN SABINE AM ORDE

Frauke Petry eilt über den Göttinger Marktplatz auf den Gänselieselbrunnen zu. Sie lacht, sie winkt. Petry, 40 Jahre alt, die Haare kurz, eine schmale Gestalt im dunkelblauen Kurzmantel, hat den Brunnen als Treffpunkt vorgeschlagen. „Kennen Sie die Gänseliesel?“, fragt sie und sprudelt los. Jeder, der in Göttingen promoviere, müsse ihr Blumen bringen und ihr einen Kuss geben, sagt Petry und deutet auf die Bronzefigur. Auch sie und ihr Mann haben hier ihren Doktor gemacht, sie in Chemie, er in Theologie. Petry erzählt vom Sekt und blauem Himmel, an dem Tag, an dem sie die Gänseliesel küsste, vom Doktorhut, der nicht ins Wasser fallen dürfe, und dass die Göttinger an diesem Tag auf den Beinen seien. „Volksfeststimmung“ sei dann. „Das ist schön.“

Keine fünf Minuten sind vergangen, schon hat Frauke Petry Nähe hergestellt.

Zwei Stunden später erzählt sie einem anderen Journalisten exakt dieselbe Geschichte.

Frauke Petry, Bundessprecherin, eine von dreien, und sächsische Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland, der AfD, hat viele Termine in diesen Tagen, noch mehr als sonst. Sie trifft Journalisten, berät sich mit ihren Vertrauten, reist durch die Landesverbände, spricht mit Funktionären und vor der Parteibasis. Vor gut zwei Jahren war sie eine unbekannte, politisch unerfahrene Frau inmitten nicht mehr ganz junger Professoren, die eine neue Partei gründen und die alten aufmischen wollten. Jetzt will sie Bernd Lucke, die Führungsfigur, stürzen. Und die Macht in der AfD übernehmen.

Ihre Chancen stehen nicht schlecht. Für eine Anfängerin macht sie erstaunlich wenige Fehler.

Das ist eine Linie im Machtkampf dieser Partei: Auf der einen Seite eine Frau mit politischem Talent, starkem Machtbewusstsein und der Fähigkeit, Menschen zu erreichen. Auf der anderen ein Mann, der in die Politik gegangen und doch Professor geblieben ist.

Lucke deutet den Konflikt als Richtungsstreit. Er warnt, dass die Partei nach rechts abdrifte, zum deutschen Front National werde. In dieser Erzählung hat Petry die Rolle der Marine Le Pen.

Wie rechts ist Frauke Petry?

Auf dem Göttinger Marktplatz steuert sie auf das Eiscafé an der Ecke zu, ruft dem Mann hinter der Theke freundlich, aber bestimmt „Hier bekommen wir sicher auch nur einen Kaffee“ zu, und wählt den Tisch in der Ecke. „Front National?“, sie lacht auf. „Das glaubt er doch selbst nicht.“

Der Front National, in Frankreich längst dritte politische Kraft, fordert: „Franzosen zuerst“, einen strikten Einwanderungsstopp und die Einführung der Todesstrafe. Das würde Frauke Petry nie tun.

Noch Mitte April habe Lucke ihr bestätigt, es gebe inhaltlich keine großen Differenzen zwischen ihnen, sagt sie. „Und das sehe ich auch so.“

Frauke Petry ist gut darin, die Dinge beiläufig wegzuwischen. Sie hat dafür ihre nette Art. Ihr Lächeln.

Petrys Deutung des Machtkampfes geht so: Lucke, ein Kontrollfreak mit autoritärem Führungsstil, unfähig zur offenen Diskussion und zum Kompromiss, sei schlicht nicht in der Lage, die Partei zusammenzuhalten. „Er denkt: Ich bin die Partei. Ich, ich, ich. Das ist das Problem.“ Weil die Partei ihm entgleite, male er jetzt ein Angstgespenst an die Wand.

Dabei hat er doch selbst Signale nach rechts gesendet, von „entarteter Demokratie“ gesprochen und Einwanderern als „sozialen Bodensatz“.

Klebt an Petry also ein Etikett, das gar nicht zu ihr passt?

„Ich bin konservativ und liberal“, sagt sie über sich selbst. Die Zuschreibung als „rein konservativ“ stamme nicht von ihr. Das Wort „rechts“ nimmt sie erst gar nicht in den Mund. Dann erzählt sie von ihrer Kindheit in der DDR, dass sie mit acht Wochen in die Krippe kam. Auch ihre Kinder seien alle vier in der Krippe gewesen. „Diese Zwangsjacke, zu Hause bei den Kindern bleiben zu müssen, die würde ich keiner Frau mehr anziehen.“ Das sei in der AfD eine liberale Position.

Am Abend in Northeim, ein kleines Städtchen mit vielen Fachwerkhäusern, 20 Kilometer nördlich von Göttingen. Im ersten Stock eines kleinen Hotels löffelt Petry eine Suppe und trinkt stilles Wasser. Um sie herum sitzen Männer, meist hinter großen Biergläsern und Schnitzeln, die über den Tellerrand lappen: die Spitze der lokalen AfD.

Bei dieser Szene kommt einem weniger Marine Le Pen als Ursula von der Leyen in den Sinn. Auch so eine schmale, smarte, extrem disziplinierte Frau, christlich geprägt, mit vielen Kindern und großem Machtbewusstsein.

„Quo vadis AfD?“ heißt der Titel der Veranstaltung. Knapp 50 Leute sitzen im Saal, wie immer wenige Frauen. Petry steht in dunkelblauem Hosenanzug und weißer Bluse vorn. Sie erzählt, dass Göttingen auch ihre Heimat sei, zehn Jahre habe sie hier gelebt, ihren Doktor gemacht, Kinder bekommen, sie sei ein „deutsch-deutscher Hybrid“.

Dann redet sie über den Mittelstand, das Ideal der Vater-Mutter-Kind-Familie und fordert, dass das Asylrecht eingehalten wird. Sie sagt: „Es ist das breite Themenspektrum, das uns stark macht.“ Petry spricht gegen das Image der rechten Sächsin an. Am Ende fragt man sich: Könnte diese Frau nicht auch in der CDU Karriere machen?

Wie viel von der Leyen, wie viel Le Pen stecken in Frauke Petry? Fragt man sie selbst, wie rechts sie sei, lacht sie wieder. Woran mache man das denn überhaupt fest?

Vielleicht daran, dass sie sich für eine Volksabstimmung zum Abtreibungsparagrafen 218 aussprach? „Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen.“ Wünschenswert sei deshalb die Drei-Kind-Familie.

„Dazu stehe ich“, sagt Petry, „Einwanderung wird den Bevölkerungsmangel nicht ausgleichen, also finden wir uns entweder mit der Schrumpfung ab, was ich nicht will, oder wir müssen aktive Bevölkerungspolitik betreiben.“ Das sei keine Position, für die sie sich schäme.

Ein völkisches Verständnis von Nation, das kann man als extrem rechts betrachten.

Sie hat außerdem Mitglieder der islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“ in die AfD geholt.

Jetzt muss Frauke Petry ausholen. Gerade zehn bis zwölf ehemalige Mitglieder der Freiheit gebe es in ihrem Landesverband. Alles Einzelentscheidungen, „eine Unterwanderung war das nicht“. Ein Exfunktionär der „Freiheit“ ist Mitglied im AfD-Landesvorstand, ein anderer der Pressereferent des Landesverbands. „Meinen Sie Julien Wiesemann? Der ist kein Pressereferent. Er hat uns nur kurzzeitig unterstützt.“ Klickt man auf der Website der Sachsen AfD den Presseverteiler an, steht da „Pressekontakt: Julien Wiesemann“.

Der bayerische Verfassungsschutz hat für Organisationen wie die „Freiheit“ ein eigenes Beobachtungsfeld geschaffen: die verfassungschutzrelevante Islamfeindlichkeit.

So kann man fortfahren. Kann nach ihrem Gespräch mit den Pegida-Organisatoren fragen. Nach ihren Aussagen zum „Genderwahnsinn“. Kann sie mit der Forderung im sächsischen Wahlprogramm konfrontieren, über den Bau von Moscheen mit Minarett Volksabstimmungen durchzuführen, was bislang nur Parteien am rechten Rand verlangten. Petry pariert. Jeden Vorwurf. Und lächelt dabei.

Ihr viertes Kind bekam Frauke Petry im Auto

Es fällt schwer, sich eine Frau mit diesen Ansichten auf einer Spitzenposition in der Merkel-CDU von heute vorzustellen. In den achtziger und neunziger Jahren, als in der CDU noch die Dreggers und Kanthers den Ton angaben, die mitunter selbst in der Grauzone zwischen Konservativen und extrem Rechten unterwegs waren, hätte das noch anders ausgesehen.

Frauke Petry ist in Dresden geboren, kurz nach dem Mauerfall zog die Familie ins Ruhrgebiet, Petry war 14. Sie machte Abitur, Schnitt 1,1. Als politisch engagiert fiel sie niemandem auf. An der Schule lernte sie auch Sven Petry, ihren Mann, kennen. Sie zog nach England, um Chemie zu studieren. Er wartete in Göttingen. Dort folgten Einserdiplom, Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes, Heirat, Promotion.

Während der Doktorarbeit kam ihre erste Tochter auf die Welt, heute haben die Petrys vier Kinder, der Jüngste ist vier. Ihn hat sie im Auto bekommen. Der Weg zum Geburtshaus war zu weit.

Als ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Humangenetik der Göttinger Universität von ihrer Politik-Karriere hörten, waren sie überrascht. „Ich hatte sie nicht so hardcore-konservativ in Erinnerung“, sagt eine, die mit ihr zusammengearbeitet hat. Petry, wissenschaftliche Mitarbeiterin damals, 29, sei sozial gewesen, habe sich um Doktoranden aus unterschiedlichsten Ländern gekümmert. Eine Teamplayerin.

Mit einem neuen Reifendichtmittel gründete Petry in Leipzig ein Unternehmen, sie bekam etliche Preise. Ihr Mann wurde Pfarrer in Frohburg, einer Kleinstadt zwischen Leipzig und Chemnitz, die Familie zog ins Pfarrhaus. Ende 2013 ging die Firma pleite, dann: Privatinsolvenz. Weil sie vor der Bundestagswahl nicht Insolvenz anmelden wollte, ermittelt die Leipziger Staatsanwalt wegen Insolvenzverschleppung. „Ich gehe davon aus, dass die Ermittlungen bald eingestellt werden werden“, sagt sie.

Gleich beim ersten Parteitag der AfD im April 2013 wurde Petry zu einer von drei Sprechern – neben Lucke und dem pensionierten Publizisten Konrad Adam. Eine attraktive junge Frau, dazu aus dem Osten. Meist ungeschminkt. Das machte sich gut in einer Partei, die anders sein will als die anderen.

Hätte Lucke damals geahnt, wie talentiert Petry als Politikerin ist, er hätte sich wohl eine andere Co-Sprecherin geholt.

Die Partei, anfangs ganz auf ihn und seine Eurokritik zugeschnitten, scheitert 2013 knapp bei der Bundestagswahl, im Mai 2014 zieht sie mit 7 Abgeordneten ins Europaparlament ein.

Ende August im Landtagswahlkampf in Sachsen tritt Petry, die Spitzenkandidatin, mit Lucke in Bautzen auf. Er bringt ein langes Redemanuskript mit, sie einen Korb mit Äpfeln aus ihrem Garten, so hat es ein Reporter aufgeschrieben. Sie merkt: Sie kann nicht nur den Kopf der Zuhörer ansprechen, sondern auch ihren Bauch. Eine Fähigkeit, die Lucke fehlt.

Petry setzt im Wahlkampf auf Islamkritik, sie thematisiert Grenzkriminalität und steigende Flüchtlingszahlen, gibt konservative Familienpolitik dazu und etwas „Das wird man wohl noch sagen dürfen“. Doch sie weiß um die Grenze, die sie nicht überschreiten darf. Nie würde sie Pegida als „natürliche Verbündete“ bezeichnen oder die AfD als Partei für diejenigen, „die kein Asylbewerberheim in ihrer Nähe wollen“, wie Alexander Gauland, der Brandenburger Landeschef. Sie beherrscht die Kunst der Andeutung. Wenn es brenzlig wird, reagiert sie. Als sich ihr Vize im Landtagswahlkampf abfällig über Behinderte äußert, ist er weg. „Ich kann auch streng sein“, sagt sie.

Mit fast zehn Prozent zieht die AfD in den sächsischen Landtag ein, Brandenburg und Thüringen folgen zwei Wochen später. In Dresden hat Petry jetzt einen Stab, bezahlte Mitarbeiter – und viel Aufmerksamkeit. Bernd Lucke sitzt in Brüssel, Hunderte Kilometer entfernt.

Er setzt jetzt alles daran, alleiniger Parteichef zu werden. Vor dem Parteitag Ende Januar stemmt Petry sich mit ihren Getreuen dagegen. Manche hat Lucke mit seinem autoritären Führungsstil vergrätzt, andere wollen noch stärker an die Stammtische ran. Lucke gewinnt. Er hatte gedroht auszusteigen. Noch glauben seine Gegner, ohne ihn gehe es nicht. „Die Chance der AfD liegt in ihrer programmatischen Breite“, sagt Petry im Moment ihrer Niederlage. „Wir wollten nie ohne Bernd Lucke, wir haben uns deswegen aufeinander zubewegt.“

Meint sie das damals ernst?

„Eine Unterstellung. Das weise ich zurück“

Kritiker erzählen nun von einer ganz anderen Frauke Petry. Von einer Intrigantin, die sich öffentlich für Kompromisse ausspricht und diese dann hintertreibt. Bernd Kölmel, Landeschef in Baden-Württemberg und Europaabgeordneter der Partei, gehört zu Luckes Gefolgsleuten. „Fakt ist“, sagt er, „dass Frauke Petry sich für die Einerspitze ausgesprochen hat. In den Bussen, die aus Sachsen zum Parteitag nach Bremen gefahren sind, aber wurden Handzettel verteilt, auf denen stand: Bitte stimmen Sie gegen den Kompromiss.“ Nicht nur Kölmel erzählt diese Geschichte. Er sagt: „Bis dahin habe ich sie sehr geschätzt.“

Im Eiscafé am Göttinger Markt zerrt Petry an der Verpackung des Kekses, den die Kellnerin mit dem Latte macchiato gebracht hat. Auf die Handzettel angesprochen, sagt sie: „Das ist eine Unterstellung, das weise ich zurück.“ Auch andere Geschichten, wie jene, dass sie bereits bei einem Parteitreffen im März 2013 in Nürnberg hinter einem Abwahlantrag gegen Lucke gesteckt habe, seien schlicht falsch.

Ende Januar ist Parteitag in Bremen, im Congress Centrum hält Petry die Eingangsrede. Sie fordert offene, konstruktive Diskussionen statt öffentlicher Schlammschlachten. Das trifft die Stimmung vieler. Lucke kritisiert die Arbeit des Bundesvorstands in seiner Rede als „stümperhaft“ und beschreibt sich allein als Motor der Partei. Er setzt sich mit seinem Plan noch einmal durch. Die Herzen der Mitglieder aber hat Petry erreicht.

Sie spricht sich eng mit ihren Vertrauten ab: dem Nationalkonservativen Gauland, der radikalen Lebensschützerin Beatrix von Storch und mit Markus Pretzell, den beiden Europaparlamentariern. Seit Bremen ist Pretzell, ein Intimfeind Luckes, ihr engster Verbündeter. „Ich habe ein paar Menschen in der AfD, denen ich hundertprozentig vertraue“, sagt Petry. „Bernd Lucke hat dieses Vertrauensverhältnis zu niemandem.“ Soll heißen: Lucke ist ein politischer Autist.

Petry und Pretzell ziehen durch die Landesverbände, bei den Delegiertenwahlen für den Parteitag, der Mitte Juni in Kassel geplant ist, fallen Luckes Leute zunehmend durch. Der Professor merkt, dass ihm die Partei entgleitet. Er initiiert den „Weckruf 2015“ und fordert die Parteimitglieder auf, beizutreten – zur Rettung der AfD vor dem rechten Rand. Indirekt droht er damit auch, eine neue Partei zu gründen. Bisher haben sich allerdings nur knapp 4.000 der 22.000 AfD-Mitglieder seinem Weckruf angeschlossen.

Petry sieht ihre Chance.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bernd Lucke nach dem Parteitag weiter an der Spitze der AfD steht.“ Es ist ein Dienstag Mitte Mai, morgens hat Lucke den Weckruf in Straßburg offiziell vorgestellt. Am Abend läuft ihr Satz über die Nachrichtenagenturen. Das ist die offene Kampfansage.

Von allzu Rechten grenzt sie sich nun ab. Sie weiß: Will sie die Partei führen, darf sie nicht zu extrem wirken. Björn Höcke fehle es an politischem Urteilsvermögen, er sei für Funktionen in der AfD ungeeignet, sagt sie dann. Höcke, der Thüringer Landeschef, ganz rechter Rand der AfD, hatte bezweifelt, ob jedes NPD-Mitglied extremistisch sei.

Petry passe sich ihrem Gegenüber an, sagt Alexander Häusler, der ihr den Mittekurs nicht abnimmt. Der Sozialwissenschaftler aus Düsseldorf beobachtet die Entwicklung der AfD, seit es sie gibt. In einem Interview mit Blu-News, einem von Islamkritikern und Rechtspopulisten geschätzten Internetportal, spreche Petry auch mal von „Antifanten“, wenn es um antifaschistische Gruppen geht. „Das ist rechtsextremer Szenejargon, den kein Normalsterblicher kennt“, sagt Häusler. Seine Diagnose: Petry steht „für die inhaltliche Öffnung der AfD zum Rechtspopulismus“.

In Göttingen ist es Mittag geworden, Petry sitzt mit dem nächsten Journalisten in einer Crêperie. Zwei Vermummte erscheinen, brüllen „Scheiß-Nazi“ und bespritzen sie mit Flüssigkeit. Petrys Bluse ist ganz nass danach. „Ich bin Chemikerin, das ist nicht gefährlich“, sagt sie und lässt sich von der Kellnerin ein Handtuch geben. Ausgesprochen cool habe sie reagiert, erinnert sich der Journalist.

Am Abend in Northeim erntet Petry Applaus. Er könne fast alles unterschreiben, was sie gesagt habe, sagt der Moderator – doch das gehe ihm bei Lucke auch immer so. Die Zuhörer wollen, dass der Streit an der Parteispitze aufhört. Am liebsten wäre ihm, sagt einer, wenn sie es mit Lucke noch mal gemeinsam versuche.

2. Juni, Europaparlament. Petry steht neben einem Kamerastativ auf einem Flur, ihre Hände hat sie hinter dem Rücken verschränkt. Lucke läuft an ihr vorbei: „Was machst du denn hier?“ „Arbeiten“, antwortet sie knapp, der Mund schmal, die Hände bleiben hinterm Rücken. 22 Sekunden, die zeigen, wie kalt Frauke Petry sein kann. Der Clip steht noch auf Spiegel Online.

Längst scheint es, als hätten Petry und ihre Leute die Mehrheiten für den Parteitag organisiert, doch dann geht es hin und her. Große und kleine Parteitage werden angesetzt und abgesagt. Aktueller Stand: Am 3. und 4. Juli soll in Essen der AfD-Vorsitzende gewählt werden.

Frau Petry, treten Sie gegen Bernd Lucke an? „Ich habe immer gesagt, ich trete an, und das werde ich auch“, sagt Petry in dem Göttinger Eiscafé.

Der Showdown naht. Sie lächelt.

Sabine am Orde, 49, ist innenpolitische Korrespondentin der taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen