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Mosche, Ursula und der Elefant im Raum

BESUCH Zum 50. Jahrestag des Beginns der deutsch-israelischen Beziehungen reist Ursula von der Leyen nach Israel. Der diplomatische Akt verläuft routiniert. Nur die Palästinenserfrage ist kein Thema

AUS TEL AVIV UND JERUSALEM MARTIN REEH

Ursula von der Leyen war nicht zum ersten Mal in Jad Vaschem. Dennoch ging sie beim Staatsbesuch am Dienstag ergriffen durch die Holocaust-Gedenkstätte auf dem Herzlberg in Jerusalem. Meist schwieg sie, während eine Mitarbeiterin die Ausstellung erklärte: die Zeugnisse der Ermordeten, die Geschichte von den Nürnberger Rassegesetzen bis hin zum Massenmord.

Jad Vaschem ist Pflichtprogramm für deutsche Politiker auf Israelbesuch. Für von der Leyen, das war ihr anzusehen, war es mehr. Ihr Eintrag ins Gedenkbuch dauerte lange, zwischenzeitlich setzte sie den Stift ab. „Wir dürfen nicht vergessen, und wir dürfen nicht schweigen. Vor 50 Jahren haben die Menschen Israels Deutschland die Hand gereicht. Heute verbindet uns ein tiefes Vertrauen, das seinesgleichen sucht, und wir wissen, dass wir uns aufeinander unbedingt verlassen können“, schrieb sie.

Vergangene Woche jährte sich der Beginn der deutsch-israelischen Beziehungen zum 50. Mal. Israels Staatspräsident Reuven Rivlin flog nach Berlin, von der Leyen zum Gegenbesuch nach Israel. Der Beginn war kompliziert: Noch in den 50er Jahren lehnte die Bundesregierung den Austausch von Botschaftern ab, weil sie fürchtete, die arabischen Staaten würden im Gegenzug die DDR anerkennen. Als ersten Botschafter schickte Bonn 1965 mit Rolf Pauls einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier. Die Israelis protestierten. Seitdem hat Deutschland viel dafür getan, dass sich das Verhältnis normalisiert. Daraus hat sich eine Routine entwickelt, die auch etwas Beruhigendes hat.

Von der Leyen traf sich mit Holocaust-Überlebenden, besuchte ein Zentrum für posttraumatische Belastungsstörungen und bestieg ein deutsches Kriegsschiff, das in Haifa vor Anker liegt. Die Marinesoldaten sprachen freundliche Sätze über ihre Aufnahme bei israelischen Familien in die Fernsehkameras, berichteten verlegen über ein Fußballspiel, das sie gegen die Israelis deutlich verloren hatten.

Von der Leyen besuchte den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und ihren israelischen Amtskollegen Mosche Jaalon. Zusammen mit dem bulligen Verteidigungsminister lief sie über den roten Teppich, die israelische Militärkapelle spielte das Deutschlandlied und die israelische Nationalhymne.

Im Zweifel für die Sicherheit

Israelbesuche sind ein politisches Minenfeld, gerade für Deutsche. Bei von der Leyen muss man schon deshalb keine diplomatischen Peinlichkeiten befürchten, weil ihr die deutschen Verbrechen nahegehen. Und dennoch gibt es bei all den Treffen etwas, was im Englischen gerne als elephant in the room bezeichnet wird, eine offensichtliche Wahrheit, die niemand wirklich aussprechen will: Die Zweistaatenlösung ist tot.

Israel hat seit dieser Woche eine neue, ultrarechte Regierung – aus dem Likud, der Siedlerpartei und den Ultraorthodoxen –, mit der es keine Zweistaatenlösung geben wird. Netanjahu hatte sich im Wahlkampf gegen einen Palästinenserstaat ausgesprochen, Jaalon hält das Oslo-Abkommen heute für einen Fehler. Eine Reihe von Hinterbänklern des Likud ist radikaler, die Siedlerpartei sowieso.

Die deutsche Politik ist ratlos, wie sie darauf reagieren soll. Mehr, als Israel in bilateralen Gesprächen auf die deutsche Haltung zur Zweistaatenlösung hinzuweisen, ist aufgrund der Geschichte nicht drin, heißt die Berliner Haltung.

„Mosche“, spricht von der Leyen ihren Amtskollegen Jaalon auf der gemeinsamen Pressekonferenz an. Sie sagt, Jaalon und sie hätten ein „warmherziges und aufrichtiges Gespräch“ geführt. Rund 20 Journalisten aus Deutschland begleiten die Ministerin. Natürlich stellen sie Fragen nach den „Fortschritten im Friedensprozess“. „Wir wollen nicht Herren über die Palästinenser sein“, antwortet Jaalon. „Aber wer in Judäa und Samarien lebt, muss sein Leben in Ruhe weiterführen können.“ Heißt: Die Siedler müssen bleiben können. Und natürlich sagt Jaalon „Judäa und Samarien“, nicht „Westbank“. Es ist der Begriff, mit dem die israelische Rechte ihren historischen Anspruch auf das Gebiet unterstreicht. Von der Leyen steht neben ihm und schweigt.

Jaalon kennt den inoffiziellen Deal: Die israelische Regierung wird sich nicht gegen eine Zweistaatenlösung aussprechen, jedenfalls nicht für alle Zeit. Sie wird aber auch nichts dafür tun. Netanjahu hat seine Äußerung vor der Wahl inzwischen relativiert und redet davon, dass sich dafür die Umstände, sprich die Palästinenser, ändern müssten. Dadurch ermöglicht er dem Westen, den „Elefanten im Raum“ weiterhin zu ignorieren – während Israel Siedlungen ausbaut und so eine Lösung erschwert.

Deutschland und Israel hat die Geschichte unterschiedlich geprägt: Die Deutschen sind auf der Suche nach internationalen Kompromissen, die Israelis fordern militärische Härte im Umgang mit äußeren Feinden. Seit der Zweiten Intifada wurde die israelische Rechte wieder populär, weil die Israelis das Vertrauen verloren haben, dass eine Zweistaatenlösung ihnen mehr Sicherheit bringen würde.

Sicherheit, so scheint es vielen Israelis, garantiert die Rechte besser. Aber zugleich sind die rechten Parteien Israels in den letzten Jahren nationalistischer geworden, große Teile stehen ohne Einschränkungen hinter dem Siedlungsprojekt. „Der neue Likud folgt der Logik von Chaos und Gewalt, wie man sie nur allzu gut aus der Geschichte der europäischen extremen Rechten kennt“, schreibt die Soziologin Eva Illouz in ihrem gerade auf Deutsch erschienenen Buch „Israel“. Die israelische Rechte verrate die universalistischen Werte des Westens und betreibe eine einseitige Politik für Ultraorthodoxe und Siedler, während Araber und säkulare Juden diskriminiert würden. „Links“ und „liberal“ sind in Israel zu Schimpfwörtern geworden. Deutschland lässt die Liberalen im Stich – indem es so tut, als sei die Koalition Netanjahus eine ganz normale Regierung.

Manche linksliberale Israelis hoffen in einem Akt der Verzweiflung daher geradezu auf die neue Regierung. Ihre Siedlungspolitik, ihr Kniefall vor den Orthodoxen würde Washington, Europa und die jüdischen Gemeinden in der Diaspora alarmieren und die antiisraelischen Boykotte stärken – und damit den Israelis die Augen öffnen. Am Tag, als von der Leyen in Israel eintraf, kritisierte der Kolumnist Chemi Shalev diese Haltung in der linksliberalen Haaretz: Es sei nicht typisch für Israelis, die eigene Regierung für eine zunehmende internationale Isolation verantwortlich zu machen, sie suchten im Fall der Fälle lieber Sündenböcke: „Araber, illoyale Linke, fehlgeleitete amerikanische Juden und schließlich alle die Muslime liebenden, den Holocaust ignorierenden Liberalen in der Welt.“

Als Geschenk gibt es Kriegsschiffe

Vielleicht bleiben harte internationale Reaktionen auf die neue Regierung auch einfach aus. Zumindest bei Deutschland ist das wahrscheinlich.

Am Montag unterzeichnete ein Vertreter von ThyssenKrupp im israelischen Verteidigungsministerium einen Vertrag über die Lieferung von vier Korvetten an die israelische Marine. Die Kriegsschiffe sollen die Gasfelder vor der Küste schützen. Deutschland wird ein Drittel der Kosten, rund 115 Millionen Euro, übernehmen. Es war von der Leyens Geschenk zum 50. Jahrestag des Beginns der deutsch-israelischen Beziehungen. Jaalon – „Ursula, wir treffen uns zum dritten Mal“ – bedankte sich bei der Verteidigungsministerin. „Israel ist für Deutschland der wichtigste Partner im Nahen Osten“, sagte von der Leyen.

Dann fuhr sie in den Mittagsstau von Tel Aviv: in einem Land, das entdeckt hat, dass man Nationalfähnchen auch an Autos befestigen kann. Es erinnerte auf den ersten Blick an Deutschland zu WM-Zeiten. Aber als die Autos mit ihren Fahnen stillstehen, wirken sie wie ein Symbol.

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