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Kollegin in Bordell geschickt

Ein Pärchen aus Bremen wird verurteilt, weil es seine minderjährige Mitbewohnerin zur Prostitution drängte – und anschließend von deren Verdienst lebte. Keine Konsequenzen gab es für das Bordell

Von Christian Jakob

Wer schon einmal eine neue Wohngemeinschaft gegründet hat, der weiß: Das kostet. Der Umzug, Kaution, neue Möbel – Tausend Euro sind da schnell weg. Wenn dann zwei der drei neuen Hausgenossen keine Einkünfte haben, ist Einfallsreichtum gefragt. Eine, nun, „WG“, aus Huchting ersonn im Sommer 2006 folgenden arbeitsteiligen Ausweg: Die ungelernte Altenpflegerin Sara B. ging im „Serail“-Club am Philosophenweg anschaffen. Ihre „Mitbewohner“, der arbeitslose Kfz-Mechaniker Christian A., damals 26 und mit guten Kontakten ins Rotlichtmilieu, und seine damalige Freundin Nicole L., damals 28 und arbeitslos, kümmerten sich dafür um den Haushalt.

Problem Nummer eins: Sara B. war damals erst Siebzehn.

Problem Nummer zwei: B. war von dem Plan nicht angetan und wehrte sich nach Darstellung der Bremer Staatsanwaltschaft „vehement“ gegen die ihr zugedachte Tätigkeit.

Erfolglos: Als sie von L., ihrer ehemaligen Kollegin in einer Altenwohneinrichtung, in die Wohngemeinschaft aufgenommen wurde, war sie gerade von ihrem Freund getrennt. Ihr Freiwilliges Soziales Jahr war beendet, sie stand auf der Straße, kannte niemand in Bremen – kurz, sie war in einer Zwangslage. A. und L. nutzten dies aus und setzten sie, so die Staatsanwaltschaft weiter, so lange psychisch unter Druck, bis sie einknickte und im „Serail“ anfing.

Problem Nummer drei: A.s und L.s Dankbarkeit hielt sich in Grenzen. Weil Sara B. nicht genug verdiente, setzten sie sie weiter unter Druck, durchsuchten sie sie jeden Tag nach Bargeld – und nahmen ihr sämtliche Einnahmen ab. Nicht nur Mietkaution, Möbel und laufende Kosten für die von den dreien neu bezogene Wohnung bezahlten sie damit, sondern ihren eigenen Lebensunterhalt gleich mit. Zur Aufbesserung von Hartz IV-Bezügen könnte es gereicht haben: In der Zeit von Juni bis August 2006 will B. nach Angaben einer der Anwälte insgesamt 4.000 Euro verdient und wieder abgeknöpft bekommen haben – zuerst im „Serail“, später „wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten“ auch in einer Bar im niedersächsischen Wittorf nahe Lüneburg.

So schildert es Sara B., so sieht es auch die Bremer Staatsanwaltschaft. Und weil dies für sie zusammengenommen den Vorwurf der Zuhälterei sowie des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ergibt, sah sich die kleine Finanz-Coop gestern vor dem Amtsgericht Bremen wieder.

Zu Beginn der Verhandlung räumten die beiden Angeklagten ein, „moralischen Druck“ auf Sara B. ausgeübt zu haben, damit diese der Prostitution nachgehe. Gericht und Staatsanwaltschaft werteten dies als strafmilderndes Geständnis. In den Forderungen nach Strafzumessung waren sich Staatsanwaltschaft, die als Nebenklägerin auftretende Sara B. und selbst die Verteidiger einig: Sieben Monate auf Bewährung für Nicole L. sollten es sein und neun Monate für Christian A. Das Gericht folgte dem Antrag.

Das Verhältnis zwischen dem ehemaligen Pärchen hat sich in der Zwischenzeit deutlich eingetrübt: Aus Angst vor Christian A. mochte seine Ex-Freundin Nicole L. nicht vor Gericht aussagen. Wohl um ihr dies zu ersparen, verständigten sich die Prozessbeteiligten vor Verhandlungsbeginn weitgehend über den Urteilsspruch. Hintergrund der Rücksichtnahme: Nicole L. ist nicht vorbestraft, umfassende Einlassungen hätten sich für sie weiter strafmildernd ausgewirkt. Anders für Christian A.: Wegen seines umfassenden Vorstrafenregisters bedeutete eine Verurteilung in jedem Fall Gefängnis. Nach Aussagen eines Anwalts bedrohte er Nicole L. vor Prozessbeginn „ganz massiv“. Am Ende der Verhandlung warnte Nicole L.s Verteidiger den Mechaniker eindringlich vor Racheakten: „Wenn hier noch irgendwas aus Ihrer Richtung kommt, wissen wir, was zu tun ist.“

Fürs Erste würde dies A. ohnehin schwer fallen: Zwei Haftstrafen von insgesamt acht Monaten, die zum Tatzeitpunkt zur Bewährung ausgesetzt waren, musste er gestern unmittelbar antreten. Die neun Monate aus dem gestrigen Verfahren schließen sich an.

Ob gegen die Betreiber des „Serail“ Sanktionen wegen Förderung der Prostitution Minderjähriger ergriffen werden, ist unklar. Das hierfür zuständige Stadtamt wurde nach Angaben von dessen stellvertretenden Leiter, Joachim Becker, von der Staatsanwaltschaft bisher „leider“ nicht auf den Fall aufmerksam gemacht. Die Staatsanwaltschaft konnte hierzu gestern keine Angaben machen. Die Akte befinde sich noch beim Gericht, die zuständige Staatsanwältin nicht mehr in Bremen. Ein Anwalt der Angeklagten sagte, ein Ermittlungsverfahren gegen die „Serail“-Betreiberin sei eingestellt worden, weil diese glaubhaft gemacht habe, Sara B. für volljährig gehalten zu haben.

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