: Bissige Pastoren
Christival beginnt mit Gebet und Party. Bei der Demo gegen Sexismus versuchen Jungmänner das Christival-Gelände zu stürmen. Neuer Martini-Pastor bekennt sich zu sündhafter Vergangenheit
von Christian Jakob und Teresa Havlicek
Mit Slogans wie „Masturbieren statt Missionieren“ und „Evas Genitale statt Evangelikale“ demonstrierten am Mittwoch Abend rund 800 Menschen gegen die evangelikale Großveranstaltung „Christival“. Während auf der Bürgerweide rund 16.000 BesucherInnen die Eröffnung des dreitägigen Jugendfestivals mit gemeinsamen Beten und Musik feierten, kritisierten Demo-Rednerinnen homophobe Positionen der Christival-Organisatoren. Auf dem Festival werde „in einem modernen Gewand mit viel jugendlicher Popkultur ein extrem rechtes Weltbild vertreten“, sagte eine Frau.
Ausdrücklich prangerten die DemonstrantInnen nicht nur Homophobie und Frauenfeindlichkeit des Christivals an, sondern den „alltäglichen Sexismus“ sowie die „herrschende zweiwertige Geschlechteridentität“. Dass auch Linke von letzterer nicht befreit sind, wurde deutlich, als die Demo-Leitung darum bitten musste, dass „die Männer sich etwas zurückhalten“, damit der Charakter als traditionell feministische Walpurgisnacht gewahrt bleibe. Zuvor waren zwei junge Männer vorübergehend fest genommen worden, nachdem sie in einer Gruppe von rund 40 Personen einen Zaun umgerissen hatten und auf das Christival-Gelände gestürmt waren. Der Aufruf der Demo-Anmelderin, sich zurückzuhalten, blieb ungehört, ein Feuerwerkskörper wurde gezündet, ein Polizist beim Versuch einer Festnahme verletzt. Ein Sprecher des Bündnisses „NoChristival“ begründete die Gewalt gestern damit, dass die Polizei eine Kundgebung am Eingang des Christivals verboten hatte: „Vermutlich wollten die DemoteilnehmerInnen, die sich aus dem Demozug in Richtung Christival entfernten, ihrem Unmut darüber Luft machen und ihren Protest auch für ChristivalteilnehmerInnen hör- und sichtbar machen.“
Während dieser am Mittwoch Abend mangels Gegner weitgehend verpuffte, wurde am Dienstag auf einer Podiumsdiskussion deutlich, dass die evangelikale Homophobie und Intoleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen keine Medien-Erfindung war. Hatten sich die Christival-Organisatoren in den vergangenen Wochen um ein tolerantes Image bemüht, gab sich der neue Pastor der Sankt-Martini-Gemeinde keine Mühe, seine Ansichten zu verschleiern. „Als Nachfolger Christi“ sei er gekommen, „um die Sache Jesu zu vertreten“, sagte Olaf Latzel. Homosexualität sei „eine Sünde“ und „nicht zielorientiert“, eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften könne es deshalb nicht geben. Latzel kritisierte außerdem die Schwangerschaftskonfliktberatungen der evangelischen Kirche. Anders als der Verein „Die Birke“, der auf dem Christival ein Seminar gibt und Schwangerschaftsabbrüche auch bei Vergewaltigungen ablehnt, beraten die vom Staat anerkannten evangelischen Stellen nach dem Gesetz, nämlich ergebnisoffen. Sie stellen auch Beratungsscheine aus, wenn sich eine Frau für einen Abbruch entschieden hat. Latzel hält dieses für einen Fehler. Die evangelische Kirche, der seine Gemeinde angehört, habe sich beim Versuch, sich in die Gesellschaft zu integrieren von ihrer Grundlage, der Bibel, entfernt und solle ihren Kurs korrigieren, indem sie sich aus der Schwangerschaftsberatung zurückziehen, so Latzel. Und: „Wir haben Millionen von Menschen nicht das Leben gegeben und jetzt fragen wir uns, wer die Rente bezahlen soll.“
Für derlei Thesen erhielt Latzel großen Applaus. Seine MitdiskutantInnen – die Geschäftsführerin von Pro Familia Bremen, Annegret Siebe, und der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck – hingegen wurden nieder gebuht. Der Grund: Der Saal war überwiegend mit älteren Menschen – aus Latzels und ähnlich gesinnten Gemeinden – besetzt. Jüngere, die erst zu Beginn der von der grünen Jugend organisierten Veranstaltung gekommen waren, fanden keinen Platz mehr. Beck kritisierte die Vorstellung, Homosexualität sei „heilbar“. Er treffe immer wieder Menschen, die nach einer vermeintlichen Homo-Heilung unter psychischen Problemen litten. Latzel hatte dem „Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft“ seine Gemeinderäume angeboten, nachdem sie ihr Homosexualitäts-Seminar auf dem Christival wegen des öffentlichen Drucks zurück ziehen mussten.
Er selbst sei allerdings auch „ein Sünder“, bekannte Latzel. So sei er jähzornig und habe schon einmal einer Frau hinterher geschaut, laut Bibel „ein Ehebruch“. Außerdem wurde Latzel, der einen Jagdschein besitzt, wegen Tiermisshandlung verurteilt. Er hatte 2003 seinen Schäferhund erschossen, weil dieser bissig war und er sich nicht anders zu helfen wusste. Während er damals versucht hatte, die Tat zu verbergen, wolle er jetzt „offensiv damit umgehen“, so Latzel. Er sei nicht glücklich darüber und habe heute noch Probleme mit dieser Erfahrung. Er halte seitdem keine Hunde mehr.
Das vom Bundesfamilienministerium mit 250.000 Euro geförderte Christival endet am Samstag Abend. Am Mittwoch empfing Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) die Kuratoriumsmitglieder im Rathaus. Es sei eine Freude, wenn tausende junger Menschen nach Bremen kämen, um zu beten, singen und zu diskutieren, so Böhrnsen. Gleichwohl forderte er mit Blick auf Homosexualität und Schwangerschaftsabbrüche, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu achten.
Kundgebung des Bündnis „Freiheit für Vielfalt“: Samstag, 14 Uhr, Domshof.
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