: Was sich alles so finden lässt
Zum ersten Mal ist eine Original-Geschichte von Wilhelm Busch entdeckt worden. Für die Fachwelt kommt das völlig überraschend. Für uns nicht. Denn schon so mancher kurioser Fund, von dem die Welt nichts weiß oder nichts wissen will, ist bei der taz nord eingegangen. Ein kurzer Überblick
VON MAXIMILIAN PROBST
„Einszweidrei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit“ dichtete Wilhelm Busch. Glücklicherweise gibt es aber auch Menschen, die nicht mit, sondern gegen die Zeit gehen und sich mehr für verstaubte Archive interessieren. Diesem Menschenschlag ist es zu danken, dass jetzt eine Original-Bildergeschichte des berühmten Zeichners und Schriftstellers aufgetaucht ist. Im Archiv eines ehemaligen Verlages in der Oberpfälzischen Stadt Sulzbach-Rosenberg fand man zehn Zeichnungen mit dem Titel „Der Kuchenteig“.
Wie es scheint, hat Busch ihn im August 1863 für das süddeutsche Verlagshaus Seidel gezeichnet. Die Bildergeschichte sollte vermutlich in einem Volkskalender für 1864 erscheinen, wurde aber nie gedruckt. So verschwanden die Skizzen im Archiv des Verlags. Busch lebte damals in München, wo auch die Kalenderredaktion von Seidel war. Ein Jahr nach der Auftragsarbeit für den Verlag verwendete Busch das Motiv erneut, es wurde die Bäckerszene aus „Max und Moritz“.
Das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover meint, dass es sich bei dem Vorläufer von „Max und Moritz“ um einen einmaligen Fund handle. Bislang seien nur einzelne neue Busch-Bilder bekannt geworden, nie eine komplette Bildergeschichte. „Wir dachten, wir würden alles von Wilhelm Busch kennen, aber das ist wirklich neu“, sagte Brunngraber-Malottke, Kunsthistorikerin des Museums.
Die taz nord nimmt diesen Fund zum Anlass, weitere, der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte kulturgeschichtlich relevante Funde aus dem Norden vorzustellen. Wer zum Beispiel hat schon mal vom sechsten Beatle gehört? Oder von den für den Autor wenig schmeichelhaften Blättern Arno Schmidts? Nur auf eines wartet die interessierte Öffentlichkeit bislang vergeblich: Das filmische Frühwerk unseres Autors Dietrich zur Nedden blieb unauffindbar. Wer eine Apfelsinenkiste mit Super 8-Filmen in seinem Keller entdecken sollte, zögere nicht, sich mit ihm in Verbindung zu setzen.
schottelius liebling
Das Ur-Semikolon
Ein Obdachloser stolperte vor dem Schloss in Wolfenbüttel, schlug lang hin und brach sich die Nase. Der unscheinbare Gegenstand, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte, entpuppte sich als Weltsensation und brachte dem Trebegänger einen Finderlohn der Dudengesellschaft in Höhe von 10.000 Euro ein. Er fiel über ein Beistrichlein, heute besser bekannt als Semikolon, welches der Grammatikprofessor und fürstliche Präzeptor des Braunschweig-Lüneburger Herrscherhauses Justus Georg Schottelius dort Ende des 17. Jahrhunderts verloren hatte. Das Ur-Semikolon ist aus Elfenbein und wurde von seinem Erfinder Schottelius handgeschnitzt. „Wir fahnden seit 300 Jahren nach dem Ding“, sagte Kurator Otto Wilke von der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek, wo das Stück im Herbst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. MQ
noch verschollen:
Film-Frühwerk
Die Film-Archäologen sind sich einig: Die Geschichte der Lichtspielkunst muss umgeschrieben werden, wenn meine verschollenen Werke auf Super 8 endlich erneut zum Vorschein kommen. So mancher erinnert sich an die umjubelte Szene ruckenden Himmelsgewölks überm Hochhausensemble. Eines Nachts brachen Schurken in den Keller ein und stahlen die Apfelsinenkiste mit Schmalfilmen samt Projektor und Kamera. Meisterwerke wie „Der Bildermensch“, der Erotikthriller „Bis an die Grenze“, meine siebenminütige „Lenz“-Verfilmung nach Büchner und auch das SciFi-Dokudrama ohne Titel, das Elemente einer Seifenoper mit denen einer romantischen Komödienfarce und eines behutsamen Splatter-Slapsticks verband – sie sind dahin, enfin perdu. Und doch: Ein Körnchen Hoffnung, dass sie irgendwo der Vergänglichkeit trotzen, lebt. DZN
kurt schwitters
Ein Probelauf
Unerwartet neues Licht in die Kurt-Schwitters-Forschung hat der Fund von Katalogsammler Tiemo K. Rührenzumpf gebracht. In einem Füllfeder-Katalog der Firma Pelikan entdeckte er eine befremdliche Handschrift: Eine Liste von Namen. „Ich hatte zuerst gedacht, es seien Schreibproben eines Schülers, und wollte sie schon entsorgen“, so Rührenzumpf zur taz, „Es waren ja nur die paar Namen.“ Für ihn habe sich das gelesen wie eine Liste, „als hätte derjenige für eine Geburtstagsparty geplant und überlegt, wen er einlädt, und wen nicht.“ Dann sah Rührenzumpf jedoch genauer hin und entdeckte ein System: Der da noch unbekannte Schreiber hatte ausschließlich vorwärts und rückwärts lesbare Namen gesucht: „Otto, Anna, Lulu“ werden aufgeführt – wobei Lulu mehrfach durchgestrichen, Anna jedoch mit einem Häckchen hervorgehoben ist. „Da dämmerte mir etwas“, so der Sammler. Eine Handschriften-Expertise brachte Klarheit. Die Kurt Schwitters Gesellschaft, der Rührenzumpf seine Trouvaille vermacht hat, weiß sich überglücklich: „Damit ist bewiesen, was wir schon lange vermutet hatten“, sagte ihr Vorsitzender Helmut Zacharowski: „Schwitters Gedicht Anna Blume geht nicht von der im Namen aufgefundenen Symmetrie, sondern von der Suche nach Symmetrie in Namen aus.“ Das mache ihn zu einem wahrhaft Großen der deutschen Literatur. Zacharowski bezeichnete das Blatt als „Bestätigung von 40 Jahren kritischer Schwitters-Forschung“. BES
arno schmidt
asdf asdf – jkljkljkl
Der Bau einer Putenmastanlage in Bargfeld/Heide muss wegen eines überraschend aufgefundenen Kulturdenkmals von nationalem Rang gestoppt werden. Bei Schachtungen entdeckten Bauarbeiter eine Feuerstelle. Landesarchäologe Hubert Klinkermann hatte auf den ersten Blick ins Loch nur einen müdes Lächeln übrig: Keine 70 Jahre alt. Dann aber entdeckte er in der Asche mehrere Bögen eng betipptes Schreibpapier. Könnte es…? Tatsächlich, so war es: „Das schadhafte a und das nach oben verrutschte l sind Charakteristika von Arno Schmidts Kugelkopf-Maschine gewesen“, so Klinkermann. Zudem ist bekannt, dass Experimental-Romancier Schmidt gelegentlich Typoskripte verbrannte. „Im Garten“, so Klinkermann, „hat er sich dabei sogar fotografiert.“ Inhaltlich blieben die Fundstücke bislang rätselhaft: Ein Blatt ist mit der wiederkehrenden Buchstabenfolge „asdf asdf asdf asdf“, ein anderes mit „jkljkljkljkl“–Wiederholungen betippt. bes
hans albers
Steppenpoesie
„Swantje Tosen“ heißt das Schiff, auf dem der erste Maat Yang Li das Notizbuch fand. Von Ratten angeknabbert, von der salzigen Seeluft zerfressen in der Schublade einer alten Komode. Das war im Sommer 1982. Erst als Yang im Dezember 2007 in gebrochenem Deutsch bei einer Karaokeparty in Hamburg aus dem Notizbuch vorlas, kam ans Licht, was besser im Dunkeln verborgen geblieben wäre: Das Notizbuch gehörte offensichtlich Hans Albers – der darin frühe Songtexte und Gedichte verewigte. „Bezaubernde Dürre“, „Staub über der Steppe“ und „Die schöne Indianerin“ heißen einige der Stücke. Lange bevor Albers zum Film- und Radio-Seemann wurde, träumte er vom Landgang. „Mutter Erde spielte in seinem Werk schon immer eine große Rolle“, sagte sein Neffe zweiten Grades, Hein Jakobsky, der taz. PHI
hinnerk hansen
Der sechste Beatle
Hinnerk Hansen ist der sechste, bisher unbekannte Beatle: Wiederentdeckt hat ihn Streetworkerin Sybilla Kleinschmidt beim Besuch einer Seemannsmission auf Sankt Pauli. „Ich öffnete die Tür zu einer unscheinbaren Abstellkammer“, sagte Kleinschmidt der taz, „da ist er mir praktisch entgegen gefallen“. Hansen ist unseren Recherchen zufolge 1943 in Stade geboren, extrem virtuoser Panflötist und hatte sich aus Angst vor einer Razzia seit Sommer 1960 in der Abstellkammer verborgen gehalten: „It’s you John?“, stammelte er bei der Entdeckung durch Kleinschmidt. Aus seinen konfusen Erzählungen ließ sich rekonstruieren, dass er sich bei einem Konzert spontan zu fünf anderen, ihm unbekannten Musikern auf die Bühne gestellt habe. Daraufhin habe ihn die Band adoptiert, und das, so Hansen, mit einer „derben Sauf- und Drogen-Orgie“ gefeiert. Auf dem Weg ins Indra habe ihm jedoch jemand gesteckt, dass die Polizei den Laden im Visier hatte, „und ich war doch erst 17, ich durfte da gar nicht sein“. BES
kieferdynastie
Die Albrechtsche Lächelklemme
Bei der Erschließung eines Gewerbegebietes in Burgdorf stießen Archäologen des Landesamtes für Denkmalspflege auf einen prähistorischen Abdruck des Gebisses der Familie Albrecht. Ursprünglich wurden die hufeisenförmigen Palisaden für Spuren einer frühmittelalterlichen Ringwallanlage gehalten, die auf historischen Karten mit dem Eintrag Heidenwall verzeichnet ist. Nähere Untersuchungen ergaben jedoch, dass es sich um dentales Material handelt, genauer um den sogenannten „gefrorenen Kantenbiss“, der sich bis heute in den Mundhöhlen der Albrecht-Dynastie nachweisen lässt. Charakteristisch für diesen Gebisstypus ist ein gähnendes Celler Loch oben rechts, fehlende Weisheitszähne und die „Lächelklemme“, eine abnormale Verknöcherung des Kiefers, wie Dr. Möbus, Zahnarzt von Ministerin Ursula von der Leyen, der Landespressekonferenz erläuterte. Der Oldenburger Abdruck stammt wahrscheinlich von einem truthahngroßen Exemplar des Velociraptors. Dieser agile, bipede Fleischfresser mit langem Kopf und Schwanz und der für Dromaeosaurier typischen sichelförmigen Klaue an der inneren Zehe zum Attackieren der Beute, zeichnet sich durch seinen langen, flachen Schädel sowie durch eine hochragende Schnauze aus. MQ
Buxthehudes os humeri
Reliquie in Lübeck
Es war ein Schock für die Kanalarbeiter in Lübecks Altstadt: Bei der Sanierung des Abwasseranschlusses der Sankt Marien-Sakristei entdeckten sie einen menschlichen Oberarmknochen. Nach Einschätzung des renommierten Volkskundlers Jonas Vitus Wambßgans handelt es sich dabei aber „im wahrsten Sinne des Wortes um ein Stück Musikgeschichte“: Nachdem Kriminaltechnikern gelungen war, die Lagerungszeit des Knochens auf zwischen 298 und 301 Jahre zu bestimmen ist Wambßgans überzeugt, dass es sich um einen Teil des rechten Arms von Dietrich Buxtehude handelt. Die Gebeine des bedeutendsten norddeutschen Komponisten waren in St. Marien bestattet, sind aber seit Kriegsende verschollen. Auch über die nachgewiesene Bestattungszeit hinaus – Buxtehude starb 1707 – gebe es starke Indizien für seine Annahme. Besonders eine „fast fünf Millimeter tiefe Einkerbung, die sich den gesamten Knochen entlang von der Innenseite bis zum Ellenbogenhöcker zieht“ rechnet Wambßgans dazu: „Das ist die Spur eines weit überdurchschnittlich ausgeprägten Nervus ulnearis“, so der Volkskundler. Und der heiße nicht umsonst im allgemeinen Sprachgebrauch Musikantenknochen. BES
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