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Weggesperrt in der Außenstelle

Jahrzehnte lang wohnten in der psychiatrischen Klinik „Kloster Blankenburg“ psychisch Kranke Menschen unter miserablen Umständen. Jetzt erinnert eine Ausstellung an die Auflösung der Außenstelle des Klinikums Bremen Ost

VON ULRIKE BENDRAT

Paula Kleine hatte Jahrzehnte ihres Lebens keine Chance, ihr schauspielerisches Talent zu zeigen. Heute kennen sie nicht nur BremerInnen, sondern auch ein überregionales Publikum als Hilde in Eike Besudens Film „Verrückt nach Paris“. Paula Kleine hat Jahre lang in der psychiatrischen Langzeitklinik „Kloster Blankenburg“ bei Oldenburg gelebt. In der Außenstelle des Klinikums Bremen Ost wohnten Menschen mit psychischen Erkrankungen, mit geistiger Behinderung, mit mehrfacher Behinderung und Menschen mit Suchtkrankheiten. Sie alle galten als „therapieresistent“ und „unheilbar“.

Die Klinik Blankenburg wurde vor 20 Jahren endgültig aufgelöst. Der Weg dahin war lang. Der Deutsche Ärztetag beispielsweise beschäftigte sich 1970 erstmals in seiner Geschichte mit der psychiatrischen Versorgung. 1975 wurde die „Psychiatrie-Enquête“, beendet. Schon ein Zwischenbericht 1973 monierte schwerwiegende Mängel: „Eine sehr große Anzahl psychisch Kranker und Behinderter in den stationären Einrichtungen [müssen] unter elenden, zum Teil als menschenunwürdig zu bezeichnenden Umständen leben…“ Das bestätigt der damalige Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Bremen Ost, Professor Peter Kruckenberg: „Blankenburg bestand aus zehn Stationen, die meisten davon geschlossen. Durchschnittlich lebten die mehr als 300 Patientinnen und Patienten 18 Jahre lang dort.“ Die Personalsituation sei „katastrophal“ gewesen, das Pflegepersonal zum Teil schlecht ausgebildet. So genannte „schwierige“ PatientInnen wurden fixiert, entwickelten Hospitalismus, die übrigen hatten als Beschäftigungsmöglichkeit die „Klammerbude“. Dort produzierten sie Wäscheklammern.

Mit einem Bürgerschaftsbeschluss von 1980 nahm in Bremen die Psychiatriereform ihren Anfang. Als die damaligen Senatoren Herbert Brückner für Gesundheit und Henning Scherf für Soziales die Blankenburgauflösung zu ihrem politischen Projekt machten, wurde es konkret: Bremen wurde Förderregion im Bundesmodellprogramm und bekam vom Bund 23 Millionen Mark, um heutige Selbstverständlichkeiten aufzubauen, etwa den Sozialpsychiatrischen Dienst, Wohnmöglichkeiten, eine Werkstatt für psychisch Behinderte und eine Enthospitalisierungsstation in Blankenburg. Herbert Brückner erinnert sich: „Überraschenderweise hatte sich herausgestellt, dass Bremen die einzige Stadt war, die so einen weitreichenden Plan, nämlich die Auflösung einer kompletten langzeitpsychiatrischen Klinik, entwickelt hatte. Auf einmal guckte alles auf uns, auf einmal waren wir berühmt, waren Leute, die sich was trauten, was man eigentlich gar nicht machen darf.“ Aber es gab auch Widerstände: „Viele der Klinik-Angestellten konnten sich nicht vorstellen, dass man die Menschen entlassen konnte“, erinnert sich Kruckenberg.

„Enthospitalisierung hieß, dass manche PatientInnen erst einmal wieder selbst essen lernen mussten, andere unternahmen mit Betreuern Ausflüge nach Bremen“, erklärt der Psychiater. „Grundsätzlich ging es darum, die Dinge des täglichen Lebens möglichst selbst geregelt zu bekommen.“ Viele PatientInnen zogen in betreute Wohngemeinschaften, einige in Altersheime. „Damit betraten die PsychiatriereformerInnen vollkommenes Neuland“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht. Sie hat die Geschichte der Bremer Psychiatrie wissenschaftlich aufgearbeitet. Für eine Ausstellung im Bremer Krankenhaus-Museum hat sie Kommentare von damals Beteiligten zusammengetragen, etwa von Wolfgang Nitsch, Sozialarbeiter und von 1982-84 einer der ersten Betreuer einer WG für ehemalige BlankenburgerInnen: „Als ich 1982 in der allerersten WG [...] anfing, wusste ja keiner wie es geht. Unser Rechtsstatus war unklar und die Bewohner haben ihre eigene Welt dagegengesetzt. Die Frage war z.B.: Dürfen wir Schlüssel haben, um in Krisensituationen in die Wohnung reinzukommen? Es war ja ihre eigene Wohnung und wir als Betreuer waren ja Gäste.“

In der Zeit der Psychiatriereform hat auch das heute über Bremens Grenzen hinaus bekannte Blaumeier-Projekt seine Wurzeln: durch kreatives Arbeiten lernten die PatientInnen erstmalig eigene Ausdrucksformen kennen. Ab 1986 begleiteten die heute noch im Blaumeier-Atelier verwirklichten Künste Malerei, Maskenbau und -spiel, Theater und Musik die Klinik-Auflösung. Am Herzen liegt den Blaumeiern, dass ihre Kunst keinem Therapiezweck dient, sondern Kunst als Kunst ist. Eine weitere Form des neuen Selbstausdrucks eröffnete sich den ehemaligen BlankenburgerInnen 1988 mit der bis heute einmal jährlich in einer Auflage von 1.100 Exemplaren erscheinenden Zeitschrift Irrtu(r)m, worin Menschen mit Psychiatrieerfahrung eigene Texte veröffentlichen. Der erste Irrtu(r)m-Titel „Wege aus dem Dunkeln“ lässt erahnen, was diese Ausdrucksmöglichkeit bedeutet haben mag und bis heute bedeutet. Heute gehören etwa 60 Menschen zur Redaktion. Der Irrtu(r)m ist ein Projekt der „Initiative zur sozialen Rehabilitation“, die ebenfalls maßgeblich an der Auflösung Blankenburgs beteiligt war.

Ein eigenes Bild von Blankenburg und der Klinik-Auflösung kann man sich ab dem morgigen Freitag machen. Dann eröffnet die Ausstellung „Zurück ins Leben. Psychiatrie, Reform, Kunst und Gesellschaft“ im Bremer Krankenhaus-Museum: Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen Tristesse und Vereinsamung. Die Fotografen gehörten zu den ersten, denen solche Aufnahmen auf psychiatrischen Stationen gestattet wurden. Demgegenüber sind Werke aus dem Blaumeier-Atelier zu sehen – auch von Paula Kleine. Am 25.6. beginnt eine Veranstaltungsreihe: Bis Mitte Oktober wollen Lesungen, Filmvorführungen, Exkursionen, Vorträge und Diskussionen sowohl kritische Bestandsaufnahme des Erreichten sein, als auch Gedanken über die Zukunft der Psychiatrie aufzeigen. Gerda Engelbracht und Krankenhaus-Museumsleiter Achim Tischer haben beides zum 20. Jahrestag der Klinikauflösung auf die Beine gestellt.

Und Paula Kleine? Die lebt heute in ihrer Bremer Wohngemeinschaft und hat sich mittlerweile so oft über Blankenburg interviewen lassen, jetzt hat sie keine Lust mehr.

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