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Den Liberalismus einfangen

Andreas Mengele, 42, hat 1999 die Werbeagentur „Heimat Berlin“ in Kreuzberg mitgegründet. Dafür zog er von Hamburg in die Hauptstadt. Zu den Kunden von „Heimat“ zählen Audi, Siemens und CNN.

Interview: Christian Jakob

Warum muss eine Stadt überhaupt eine Marke sein?

Andreas Mengele, Agenturchef „Heimat Berlin“: Nur, weil man das heute so nennt. Eine Marke bedeutet: Menschen haben eine konkrete Vorstellung, ein Bild von etwas im Kopf und assoziieren damit bestimmte Werte. Das tun sie automatisch auch in Bezug auf Städte – und zwar schon seit Jahrhunderten. Insofern ist das von der Sache her nichts Neues. Das Ganze kriegt nur eine pseudowissenschaftliche und pseudo-zeitgemäße Benamsung, mit der man das Städtemarketing aufpeppt.

Pseudo- es ist also gar nicht zeitgemäß?

Na ja, im Prinzip ist es schon richtig, wenn Städte sagen: wir werfen unsere Markenattribute in die Waagschale, um Menschen anzuziehen.

Eine Marketing-Studie hat Bremen kürzlich empfohlen, immer und überall mit den Stadtmusikanten zu werben, weil die international die bekannteste Assoziation zu Bremen seien. Klingt nach einer ziemlich kitschigen Angelegenheit, oder?

Ich hätte keine prinzipiellen Einwände gegen Kitsch. Die Frage ist nur: Warum sollte man kitschig werden?

Und, warum zum Beispiel sollte man?

Der Kitsch müsste eine Inhaltlichkeit transportieren, eine Story. Mit dieser müsste etwas assoziiert werden, was Bremen insgesamt hilft. Wenn man sich beispielsweise als „Stadt der Märchen“ oder als besonders kinderliebe Stadt positionieren will, dann könnte man mit der oberflächlichen Populärfigur der Stadtmusikanten agieren.

“Oberflächliche Populärfigur“ – Sie halten das nicht für eine besonders gelungene Idee.

Die Idee mit den Stadtmusikanten offenbart vor allem eines: Man ist in Bremen nicht in der Lage, ein anderes Bild zu kreieren. Man hat es offenbar seit Jahrzehnten verschlafen, diese mit etwas Aktuellem zu ersetzen. Das kann man den Entscheidungsträgern heute vielleicht gar nicht zum Vorwurf machen, aber wenn es nichts anderes gibt als diese Märchenfigur, dann fehlt etwas Strukturelles, Zeitgemäßes. Hat man so etwas, wie beispielsweise Berlin die Stadt der einstigen deutschen Teilung ist, dann kann man auch mit solchen Klischees wie dem Brandenburger Tor werben.

In der Größenordnung hat Bremen wohl wenig zu bieten. Welche „Inhaltlichkeit“ sollte die Stadt denn herauskehren?

Die Toleranz, die Liberalität. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass in der Stadt gewisse Grundprinzipien des menschlichen Umgangs existieren, die sehr sympathisch sind. Und viel mehr wert, als vordergründige touristische Highlights.

Und damit soll man werben?

Ja. Man kann den Geist der Stadt betonen.

Wie sieht er denn aus, der Geist?

Sehr präzise, sehr kaufmännische, sehr hanseatisch – aber dabei nicht so wie Hamburg.

Ich bin gespannt: Wo liegt der Unterschied?

Hamburg ist natürlich auch hanseatisch und kaufmännisch aber dabei sehr distinguiert und viel elitärer als Bremen. In Bremen hat man eine viel offenere, tolerantere Sicht auf das Leben und das Miteinander, es ist sehr menschlich.

Was hat Sie denn aus der Ferne so begeistert?

Das erlebe ich mit den Menschen aus Bremen, die ich kenne. Man spürt einen historisch fundierten Liberalismus, das ist ganz angenehm. Für die Markenpflege wäre es entscheidend, dieses Lebensgefühl einzufangen. Darin steckt viel mehr Potential, als dass man in irgendwelche Opern gehen kann.

Ihre Kollegen sehen das anders. Werbeschaffende sagen immer, dass Kultur zentral sei, um die Sorte von BewohnerInnen anzulocken, die man haben will.

Ja, ja, es ist immer die Rede davon, man braucht die „kreative Klasse“ und die soll ja auf Orte wie Berlin-Mitte oder das Schanzenviertel stehen.

Tut sie das nicht?

Das mag schon so sein, das könnte an einer gewissen Urbanität und Subkulturalität liegen, die es dort vielleicht gibt. Aber wegen eines solchen Hypefaktors zu meinen, man muss die Erfolgsparameter kopieren, um etwas Adäquates anbieten zu können, das geht in die Hose.

Man muss ja nicht gleich kopieren. Wie wäre es mit einer Art Neu-Interpretation?

Wenn sich an solchen Vorbildern orientiert wird, dann würde ich davon total abraten.

Warum?

Weil das nicht authentisch ist. Weil das Original geiler ist. Wenn man auf Berlin steht, dann kann Berlin nur gewinnen und Bremen im direkten Vergleich nur verlieren. Die Chance liegt hier im anderen Lebensgefühl: Hier, in Berlin, ist es viel dreckiger, viel subkultureller und viel anstrengender. Die Experimentierfreude macht es auch viel nerviger und schnelllebiger. Man muss sich fragen: Was haben wir denn anzubieten, was können wir besser als andere? bevor man sich in Zielgruppen verliert.

Bremen hat immerhin das Problem, dass die ganzen hier ausgebildeten Designer nicht in der Stadt bleiben.

Trotzdem ist es fatal, danach zu suchen, jemandem zu gefallen. Die „kreative Klasse“ geht vielleicht lieber nach Berlin, das muss man dann akzeptieren.

Und wer kommt hierher?

Was Bremen zu bieten hat ist ein nachhaltiges, substantielles Lebensgefühl. Natürlich müssen sich Leute entscheiden, was sie wollen, aber es gibt welche, die eine Sehnsucht nach dem haben, was Bremen bieten kann. Denen gegenüber muss man authentisch auftreten – und dann werden sie gerne kommen. Das ist dann auch unter Marketing-Gesichtspunkten die beste Lösung.

Inwiefern?

Was gibt es denn Besseres, als das Bremer in die Welt gehen und erzählen, wie toll es in Bremen ist? Das ist so viel wertvoller als jede Kleinanzeige.

A Propos Anzeigen: Das neue Bremen-Logo – taugt das was?

Es ist in Ordnung, aber seelenlos. Über die Form kann man geschmacklich dis-

„Standortmarketing ist Lebensmarketing“, sagt Werbefachmann Andreas Mengele. Doch die Selbstdarstellung der Stadt verliert sich in Event-Marketing und lässt dabei völlig offen, für welches Lebensgefühl Bremen stehen soll. Für Mengele ist die Antwort klar

-kutieren, fachlich ist es jedenfalls hinreichend. Es ist ein multifunktionales Corporate-Design, auch mit der Claimbox. Man kann das durchrotieren und auf jede gewünschte Ausrichtung bringen. Wenn man demnächst sagt, Bremen sei jetzt superkulturell, dann schreibt man halt in rechte Box rein „Bremen superkulturell!“.

Ihnen scheint etwas zu fehlen...

Ja, inhaltlich ist das beliebig, es hat keinen Gehalt. Man hat es nicht geschafft, einen Kern zu formulieren, der von dem Design transportiert würde. Insofern hat man die Frage nach der Inhaltlichkeit bei der CD-Entwicklung weiter vor sich her geschoben.

Gibt es denn eine erfolgreiche Kampagne, die das geschafft hat?

Ja: Die von Baden-Württemberg.

“Wir können alles außer Hochdeutsch?“

Genau. Man hat das aus inneren Motiven abgeleitet und formal gut umgesetzt, die Kampagne ist sehr sichtbar. Mit Selbstironie wird hier eine Wahrheit transportiert. Den Baden-Württemberger unterstellt man Erfindergeist und Fleiß, außerdem kennen alle den komischen Dialekt. Das zur Stärke zu machen, das hat etwas Authentisches, Großes und Zutreffendes.

Bremen versucht immer, sich als Stadt der Wissenschaften zu positionieren, etwa mit dem Space-Park, dem „Wissenschaftsjahr“, dem Universum, nun wird ein regelmäßiges „Science Festival“ diskutiert. Kann das etwas „Authentisches und Zutreffendes“ werden?

Wenn das glaubwürdig verkörpert wird, ja. Aber hier wird Tourismusmarketing mit Standortmarketing verwechselt. Dabei ist das überhaupt nicht dasselbe.

Sondern?

Wenn Bremen in diesen Feldern eine substantielle Basis hat, dann wird die auf die entsprechenden Experten, die sich in diesen Bereichen tummeln, eine Sogwirkung entfalten. Insofern sollte das Thema ein Selbstgänger sein. Aber das nützt doch nicht, um Touristen anzulocken.

Warum nicht?

Was für eine Sogwirkung soll den ein Technologiezentrum in Bremen haben? Da fahr ich doch nicht extra übers Wochenende hin, so wie Leute Kurzreisen zu Musicals machen. Dieses Thema, Wissenschaftsattraktionen, ist viel zu klein, viel zu nischenhaft. Darauf kann man kein Stadtmarketing gründen.

Sie würden also nicht kommen.

In meiner ganz subjektiven Selbsteinschätzung kann ich mir Besseres vorstellen, als nach Bremen zu so einem Science-Park zu fahren – solange ich nicht weiß, in welchem und großen Ganzen das stattfindet. München beispielsweise verspricht bayerische Lebensart, darunter kann ich mir etwas vorstellen, das bekomme ich dort eingelöst – und deshalb fahre ich letztlich dorthin. Dass es in München interessante Museen gibt, kann ein Zusatzargument sein, aber nicht das originäre.

Bremen gibt etwa 5,3 Millionen Euro im Jahr für Eigenwerbung aus. Kann man damit auch sichtbar werden?

Das ist eine schon ganze Menge für eine regionale Marke. Es ist beispielsweise die Hälfte des Budgets einer Bank, die ich kenne. Mit dem doppelten können Sie also eine nationale Marke im Fernsehen gut bewerben. Für eine regionale Marke sollte das Budget also hinreichend sein, wenn man gezielt und nicht gerade mit der Gießkanne vorgeht. Allerdings hat das alles nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun. Man kann mit viel Geld viel Mist machen und mit wenig Geld ganz tolle Sachen.

Hätten Sie eigentlich Lust, Werbung für die Stadt zu machen?

Im Prinzip ja. Das ist eine ganz schöne Herausforderung, man muss viel Aufbauarbeit leisten. Und in politischen Körperschaften ist das viel schwieriger als in betriebswirtschaftlich geführten Unternehmen. Gerade solche Kunden sind auf einen Partner angewiesen, der ganz von außen kommt – und einem auch die Meinung geigt.

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