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Ein haltloses Leben

Der 16-Jährige, der sich im Knast erhängt hat, war vor dem Bürgerkrieg geflohen – und hat nie Fuß fassen können

Bei dem 16-jährigen Insassen des Jugendstrafvollzugs in Oslebshausen, der sich am Dienstag in seiner Zelle erhängt hatte, handelt es sich offenbar um einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling.

„Wir wissen über ihn auch nur, was er selber berichtet hat“, sagt JVA-Sprecher Frank Lüthe. Demnach sei er im Alter von 15 Jahren vor dem Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste geflohen und mit einem Freund seiner Eltern nach Deutschland gekommen. Dieser habe ihn jedoch nach der Ankunft 2007 sich selbst überlassen. Hier lebte er laut Lüthe „ohne jeden Anhang“ und war zunächst in einem Asylbewerberheim untergebracht. „Landsleute“, so Lüthe, hätten ihn dort zum Kokainhandel gebracht. Gegen Betreuung soll er sich gesperrt haben.

Der Junge war wegen Drogenhandels sowie Beleidigung, Körperverletzung und Widerstandes gegen Polizisten verurteilt. „Die Straftaten standen jedoch alle im Zusammenhang mit dem Drogenhandel“, sagt Lüthe. So habe er etwa einem Bahnkontrolleur Reizgas ins Gesicht gesprüht oder sich gegen seine Festnahme gewehrt. „Gewalt unter Gleichaltrigen“ oder ähnliches habe keine Rolle gespielt. Dennoch hatte die Polizei ihn als „Intensivtäter“ beschrieben. Im Oktober 2007 wurde er, bereits unter Bewährung stehend, zum letzten Mal verhaftet und zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Obwohl er nicht als Asylbewerber anerkannt worden sei, wäre er nach seiner Entlassung nicht abgeschoben worden.

Der Anstaltssprecher beschreibt den Jungen als „schwierige Persönlichkeit“. Dies mag unter anderem damit zusammenhängen, dass der Junge kaum Deutsch sprach, für Gespräche mit den Sozialarbeitern war ein Französisch-Dolmetscher notwendig.

Seit einigen Wochen hatte der Junge den Schulbesuch verweigert und war seitdem rund 20 Stunden pro Tag in seiner Einzelzelle eingeschlossen. Psychotherapeutisch behandelt worden sei der Junge nicht, Treffen mit der Anstaltspsychologin hätten lediglich der Vollzugsplanung gedient. In der letzten Zeit habe es laut Lüthe viele Gespräche mit dem Jungen gegeben, auf die dieser positiv reagiert habe. Er sollte vorzeitig entlassen werden, um noch als Minderjähriger in Freiheit zu gelangen. So hätten ihm bessere Hilfsangebote offen gestanden. Die langen Einschlusszeiten seien unter der Voraussetzung erfolgt, dass es „keinerlei Anzeichen“ für eine psychische Krise gegeben habe. „Er hat noch am Abend vor seinem Tod schriftlich um ein Gespräch mit dem Sozialarbeiter gebeten.“

Am Dienstagmorgen hatten Vollzugsbeamte den Jungen tot in seiner Zelle aufgefunden. Er hatte sich offenbar mit einem Strick aus seinem Bettzeug getötet. Christian Jakob

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