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Der Club als Marke

Fabric, Berghain, Watergate: Techno-Clubs gründen Plattenlabels, um Werbung für sich zu machen und ihren DJs ein Forum zu bieten. Ist der „Club To Go“ ein Ausweg aus der Musikindustrie-Misere?

Warum sollte man das Cluberlebnis nicht zum Verkaufen von CDs benutzen? Fabric in London macht vor, wie das geht

VON TIM CASPAR BÖHME

Die Klage, dass die Musikindustrie am Ende sei, ist so universell wie die Verbreitung von Musik durch das Internet. Ob Major- oder Independentlabel, die Angst vor dem Aus ist allgegenwärtig und macht vor keinem Genre halt. Platten will keiner mehr kaufen, weil eh alles gratis im Netz zu haben ist. Auch die Techno-Industrie kämpft mit den Umbrüchen in der Musikbranche. Klagen über die mangelnde Rentabilität von Labels gehören zum Tagesgeschäft. Wer Schallplatten produziert, finanziert diese Investition nicht selten mit Auftritten im Club, Gewinne sind die Ausnahme. Was misslich ist, schließlich dient die veröffentlichte Musik weiterhin als Arbeitsgrundlage für DJs.

Am Tonträgermarkt besinnt man sich derzeit auf jenen Ursprung der Szene, der bisher nicht durch das Internet überflüssig gemacht werden konnte: den Club. Ein Club ist nicht nur ein Ort, an dem sich Menschen in der Nacht (oder am Tag) zum Feiern versammeln, er steht häufig auch für eine bestimmte Art von Musik und gibt seinen Gästen die Gewissheit, dort genau das zu bekommen, was sie wollen. Die Garanten dieser gleich bleibenden Partyqualität sind die Residents, also DJs, die per Vertrag an einen Club gebunden sind und dort regelmäßig auflegen.

Warum sollte ein Club daher nicht CDs mit der eigenen Musik verkaufen? Einige Institutionen des Nachtlebens machen das längst erfolgreich vor. Flaggschiff dieser Bewegung ist der Londoner Club Fabric, dessen Mix-Serie wie kaum eine andere für Wertarbeit von DJs steht und die bei neueren Labelgründungen gern als Vorbild genannt wird. Seit dem Jahr 2001 erscheint monatlich die Serie „Fabric“ mit Musik aus dem hauseigenen Programm. In ansprechende Metallhüllen verpackt, ist die Reihe im Plattenladen auf Anhieb zu erkennen. Gerade ist die schöne „Fabric 42“ erschienen, gemixt von den Karlsruher House-DJs Âme.

Laut Geoff Muncey, dem Manager von Fabric Records, gab es keine Alternative zur Labelgründung: „Kaum war der Club eröffnet, wurden wir ständig mit Anfragen bombardiert, wann wir ein Label starten würden. Der Ansturm war so ohrenbetäubend, dass wir beschlossen, jeden Monat eine CD zu veröffentlichen.“ Die Fabric-Serie versteht Muncey als „Schnappschuss der Musik, die im Club läuft“. Veröffentlicht werden nur Mix-CDs von DJs, die im Fabric spielen oder gespielt haben. Mit der CD kauft man die konservierte Form der Party, für die der Club steht.

Immer mehr Clubs betreiben Labels, auf denen sie die Musik ihrer DJs veröffentlichen. Je bekannter der Club, desto größer die Chancen, mit dem eigenen Namen als Marke die gewünschte Öffentlichkeit zu bekommen und tatsächlich Musik zu verkaufen. Das Label funktioniert zugleich als Werbung für den Club.

Auch das Watergate bietet seit kurzem eine eigene CD-Serie an. Der Berliner Club mit dem wunderbaren Blick von der Tanzfläche auf die Spree startete im Juli sein Label Watergate Records mit einer Mix-CD des Istanbuler DJs Onur Özer, regelmäßiger Gast des Clubs. Die Compilation-Reihe orientiert sich an der der Fabric und soll laut Club-Betreiber Steffen Hack als Aushängeschild des Watergate dienen: „Du musst festgelegt sein. Wenn du die Klarheit geschafft hast, für etwas Besonderes zu stehen und es auch immer bedienen kannst, dann ist es viel leichter, die Menschen dafür zu begeistern, weil sie wissen, was da stattfindet, und du ihnen das gibst, was sie erwarten.“ Wirtschaftlicher Erfolg steht nicht im Vordergrund, das Label wird aus den Geldern des Clubs finanziert. Hack sieht das Label in erster Linie als „verlängerte Corporate Identity“ des Watergate.

Ähnlich verfolgte das WMF, Berliner Nachtlebenlegende mit bewegter Geschichte und diversen Ortswechseln, sein Modell des „Club to go“. Atilano González, in der Zeit von 2001 bis 2004 für WMF Records zuständig, beschreibt den Ansatz des Labels als „Club zum Mitnehmen“. Die Geschäftsidee war eine Mischung aus Marketing für den Club und dem Anspruch, die eigenen Residents zu fördern. Leider funktionierte die Strategie nicht für lange Zeit. Die Musikbranche schrumpfte in drei Jahren hintereinander „um jeweils 20 Prozent“, so González. „Das hat uns Ressourcen gekostet, die wir am Ende mit dem Umsatz, den wir mit dem Label gemacht haben, nicht tragen konnten.“ Man habe unter anderem zu viel Musik von unbekannten Künstlern veröffentlicht. Die verschiedenen Reihen mit DJ-Mixen konnten diese Verluste nicht auffangen, 2004 stellte WMF Records seinen Betrieb ein. Da auch das WMF derzeit nicht existiert, ist eine Wiederbelebung des Labels nicht geplant. Doch der Ansatz, einen Club über ein Label nach außen zu präsentieren, erscheint González ohnehin nicht mehr zeitgemäß: „Clubs sind heute nicht mehr fest definiert. Ich habe den Eindruck, dass es selten noch ein wirklich scharfes Profil gibt, wo man sagt: Da läuft nur diese Musik.“

Diese Veränderung könnte damit zu tun haben, dass sich die Technoszene in den vergangenen Jahren umfassend ins Netz verlagert hat – mit den üblichen Vereinheitlichungstendenzen als Folge. Musik wird digital über Beatport oder iTunes verkauft, als Informationsautoritäten dienen Webseiten wie Discogs oder Resident Advisor mit einer Fülle von Angaben über Neuerscheinungen, Labels, DJs, Produzenten und Clubs. Wer sich für aktuelle DJ-Charts aus Israel oder Schweden interessiert, kann hier alles aus einer Hand bekommen – Podcasts mit DJ-Mixen inklusive.

Zu Beginn der Neunziger war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Der Tresor zum Beispiel, eine der ältesten Institutionen der Technoszene, hatte sich nach seiner Eröffnung im Frühling 1991 rasch als Inbegriff von hartem und schnellem Techno etabliert. Ein halbes Jahr später erschien mit dem Debütalbum von X-101 die erste Veröffentlichung auf dem eigenen Label (die sagenumwobene Nachfolgeplatte „X-102“ ist gerade noch einmal erschienen). Hinter dem Projekt steckten die Detroiter Jeff Mills und Mike Banks, deren Musik für die Anfangszeit des Tresors prägend war. Label und Club wurden fortan als Einheit wahrgenommen.

Tresor-CDs verkaufen sich auch heute noch gut, so Mad Max, der seit 1995 zum Team gehört: „Das ist dann weltweite Werbung für den Club. Gerade in den zwei Jahren, die wir keinen Club hatten, war es eminent wichtig, dass die Leute sehen: Ach, das gibt es ja noch.“ Über die Webseite des Labels gehen Bestellungen aus Alaska wie aus Russland ein. „Klar ist es für uns einfacher, weil wir schon so lange dabei sind und so bekannt, dass sich natürlich Leute auch eher mal so eine Tresor-Platte durchhören, bevor sie etwas anderes nehmen.“ DJ-Mixe allerdings stellt das Label nur noch digital ins Internet: „Solche Sachen laufen über das Netz inzwischen schon besser.“ Immer mehr Mixe flottieren mittlerweile frei im Netz und bringen den geneigten Fan vom Kauf der Musik ab. Herkömmliche Mix-CDs werden auf diesem Wege verdrängt. Dass das überbordende Online-Angebot die Auswahl nicht erleichtert, ist klar. Können Clubs mit ihren Labels da Orientierungshilfe bieten?

Für Pauli Steinbach, Manager von Cocoon Recordings in Frankfurt, stellt sich die Frage nach der Clubanbindung nicht wirklich. Er plädiert eher für Trennung. Sein Label, das er seit dem Jahr 2000 mit DJ-Popstar Sven Väth betreibt, wurde vier Jahre vor dem gleichnamigen Club gegründet und soll jüngeren Produzenten eine Plattform geben. „Label und Club, ich weiß nicht, ob das so essenziell ist. Ich finde, das Wichtigste ist, dass die Leute, die das Label machen, am Puls der Zeit sind und nicht in ihrer großen Burg sitzen und sagen: Nach mir die Sintflut.“ Im schlimmsten Fall könne sich die Kombination kontraproduktiv auswirken: „Da bist du vielleicht auf einen Musikstil fixiert, weil die Leute in deinem Club nur das eine annehmen. Darum ist es wichtig, Club-Hopping zu machen, auf andere Festivals zu gehen und andere DJs zu hören.“ Andererseits spricht für einen Club nichts dagegen, aus dem eigenen Profil Kapital zu schlagen. Im Berliner Berghain setzt man ganz bewusst auf die Identifikation des Clubs mit seinem Label Ostgut Ton, das seinen Namen dem Vorgängerclub Ostgut verdankt. Labelmanager Nick Höppner sieht sogar handfeste wirtschaftliche Vorzüge in der Zweierkombination: „Es gibt schon Vorteile dadurch, dass das Label in die Infrastruktur eingebunden ist, so dass man nicht extra Büroräume anmieten oder Stromkosten zahlen muss.“

Die Grundidee von Ostgut Ton ist, den eigenen DJs eine Plattform bieten. Laut Höppner wird das 2005 gegründete Label vor allem mit den „Techno-Residents“ Marcel Dettmann, Len Faki, Ben Klock und Marcel Fengler assoziiert. Das Berghain beherbergt jedoch im Grunde zwei Clubs, das große Berghain, in dem basslastiger minimalistischer Techno vorherrscht, und die kleinere Panorama-Bar, in der auch klassischer Chicago-House gespielt wird. Entsprechend vielseitig gestaltet sich das Programm des Labels.

Ostgut Ton hat überdies ein breiteres Angebot als Watergate und Fabric, neben Mix-CDs werden auch Maxis und Alben veröffentlicht. Soeben erschien das düster-experimentelle Debütalbum von Shed, auch er ein Produzent aus dem Umfeld des Berghain. In der großen Nähe zu den Künstlern sieht Höppner den Hauptunterschied gegenüber anderen Labels: A & R, die Suche nach Musikern für die Veröffentlichungen, nimmt keinen großen Raum ein. Es gibt einen Pool von Künstlern, die man gut genug kennt, um sich auf deren Stil und Talent verlassen zu können. „Wir verstehen uns eher als eine Plattform, die dazu da ist, das schick zu verpacken und den Vertrieb und die Promotion zu gewährleisten.“ Ob die Nähe der Künstler zu einem Club sich langfristig ebenfalls positiv auf die Kreativität auswirkt, bleibt abzuwarten. Es kommt sicher auch auf den Club an.

Onur Özer: „Watergate 1“ (Watergate Records). Shed: „Shedding The Past“ (Ostgut Tonträger). Âme: „Fabric 42“ (Fabric Records). „X-102 Rediscovers Rings of Saturn“ (Tresor Records)

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