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In der Höhle des Protests

Finanzsenator Sarrazin wagt sich auf die Personalrätekonferenz in der TU. Das gellende Pfeifkonzert scheint ihm wenig auszumachen. Er referiert gelassen das Zahlenwerk des Landeshaushalts

von RICHARD ROTHER

Der Mann muss gute Nerven haben: Nicht nur, dass Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die Finanzen der hoch überschuldeten Stadt zu verwalten hat, gestern Nachmittag ging er direkt in die Höhle der Löwen – Personalrätekonferenz im Audimax der Technischen Universität. Rund 1.100 Beschäftigtenvertreter waren erschienen, doppelt so viel wie erwartet. Bevor Sarrazin kam, stimmten sie sich mit einer Demonstration vor der TU und mit Vorträgen über die „einseitigen Maßnahmen“ ein: den Austritt aus den Arbeitgeberverbänden, die Bundesratsinitiative für eine geringere Beamtenbesoldung, die Mehrarbeit für Beamte. Maßnahmen, die bundesweit einmalig sind und mit denen Rot-Rot die Personalkosten im öffentlichen Dienst um 500 Millionen Euro jährlich drücken will.

Als Sarrazin ein wenig verspätet kommt, kocht die Stimmung, wie Teilnehmer berichten. Die Gewerkschafter pfeifen, johlen, halten Schilder hoch mit der Aufschrift „Wahlbetrug“. Sarrazin scheint das Pfeifkonzert wenig auszumachen, er steigt mit stoischer Miene aufs Podium und sagt, als sich nach mehreren Minuten der Lärm legt: „Ich hoffe, Sie haben sich jetzt ein bisschen ausgetobt.“

Die prompte Reaktion: Das Pfeifkonzert wiederholt sich, muss von der Versammlungsleitung abgewürgt werden, damit der Senator zu Wort kommt. Der beschwert sich trocken: „Für Gastgeber ein ungebührliches Verhalten.“ Die Ermahnung erregt wie erwartet die Zuhörer, was Sarrazin nur den Kopf schütteln lässt: „Hören Sie mir mal zehn Minuten zu, dann können Sie wieder pfeifen!“

Dann packt der Finanzsenator seine Folien aus, erläutert mit Hilfe von Diagrammen die Finanzlage der Stadt. Bei einem Schuldenstand von 47 Milliarden Euro gebe Berlin allein für Zinsen 2,3 Milliarden Euro aus, womit man rund 50.000 Lehrer ein Jahr lang bezahlen könnte. Berlin habe kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem. Die Pro-Kopf-Einnahmen seien nämlich aufgrund von Bundes- und sonstigen Hilfen 30 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt, die Ausgaben aber sogar um 54 Prozent. Würde Berlin seine Steuereinnahmen steigern, gingen die Hilfen zurück.

Sarrazin trägt die Zahlen fast teilnahmslos vor, obwohl er immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen wird. Er scheint nicht daran zu glauben, dass seine Argumente etwas bewirken, aber er will sie wenigstens gesagt haben. Auch den Zwischenruf „Bankgesellschaft!“ kontert Sarrazin mit einer Zahl, die die Relationen zurechtrücken soll: Der Beitrag der Bankgesellschaft zum Gesamtschuldenstand von 47 Milliarden Euro belaufe sich im Moment auf etwa drei Milliarden. Weitere 3,5 Milliarden könnten bis 2010 hinzukommen.

Als Sarrazin seine Rede beendet und sich in die erste Reihe setzt, werden die Buhrufe etwas leiser. Verbal aber dreschen die Delegierten weiter auf den Finanzsenator ein: „Politiker, bei denen statt des Hirns die Registrierkasse klingelt, gehörten abgewählt“, sagt eine Lehrerin; eine Sozialarbeiterin ist erschreckt über die „Arroganz“. Andere beklagen die „unnötigen Zahlenvergleiche“, Berlin könne man nicht mit Bayern vergleichen.

Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen bringt die Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung ins Spiel, um die Personalräte in Rage zu bringen: 80 Milliarden Steuersenkungen für Großkonzerne hätten keinen Arbeitsplatz gebracht; auch darüber müsse man in Berlin reden. Lautstarker Beifall. Auf die Tarifverhandlungen am Freitag freue sie sich, weil „wir dann endlich verhandeln“ können. Wörter wie „Streik“ oder „Arbeitskampf“ nimmt Stumpenhusen aber nicht in den Mund.

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