: „Von mir hat noch keiner offen Sex für eine Essenseinladung verlangt“
Am 1. Januar 2002 wird der professionelle Tausch „Sex gegen Geld“ legalisiert. Doch auch in Ehen galt lange Zeit die Devise „Sex gegen finanzielle Absicherung“. Was Paare heute wirklich austauschen – vier Frauen erzählen
Prostituierte haben vom 1. Januar 2002 an in Deutschland mehr Rechte. Das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Koalition gibt Prostituierten eine bessere soziale und rechtliche Position. Unter anderem können Frauen, die sexuelle Dienste anbieten, ihren Lohn einklagen. Das Gesetz begrenzt zusätzlich die Möglichkeiten von Freiern, dagegen Einspruch einzulegen, auf bestimmte Gründe. Auch der Zugang von Prostituierten zur Sozialversicherung wird mit dem neuen Gesetz erleichtert. Bislang war es Prostituierten nur möglich, sich unter Nennung eines falschen Berufes zu versichern. Die bisherige Regelung, wonach Prostitution sittenwidrig ist, wird aufgehoben. Dagegen bleiben die Strafbarkeit der ausbeuterischen Zuhälterei sowie die Regelungen zum besonderen Schutz von Minderjährigen bestehen. Vor Inkrafttreten des Gesetzes wird noch ein Antrag der unionsregierten Länder Bayern und Sachsen, gegen das Gesetz Einspruch einzulegen, mit einer Mehrheit im Bundesrat abgelehnt.
Was in der Prostitution ganz direkt stattfindet, kann selbst heute noch ein unbewusster Bestandteil von Liebesbeziehungen sein. Denn die alten Klischees leben noch: Die Brigitte-Studie „Frauen auf dem Sprung“ ergab, dass Frauen meist glauben, Männer wollen vor allem viel Geld verdienen und guten Sex haben. Männer hingegen denken, Frauen wollen gut aussehen. Dabei antworten beide Gruppen einvernehmlich entgegen solchen Stereotypen, was eine gute Beziehung eigentlich ausmacht: gemeinsame Zukunftspläne und der Wunsch, zusammen alt zu werden.
Die Abiturientin (19):
Ob man in der Beziehung heute Sex gegen Geld „tauscht“? Also, mich hat noch keiner zum Essen eingeladen und dafür offen Sex verlangt. Was das Geld betrifft, sind schon viele meiner Freundinnen, die alle aus besseren Familien kommen, auf der Suche nach einem Freund, der nicht ganz doof ist und aus der gleichen „Schicht“ oder höher stammt. Sie achten vielleicht nicht bewusst darauf, aber die meisten haben schon einen Freund, der ihnen was bieten kann.
Ich frage mich ja schon, wo die ihre betuchten Freunde immer finden. Ich persönlich hatte schon Freunde, bei denen alles vorkam: von blöd bis intelligent, von arm bis reich, von hübsch bis hässlich. Mein erster Freund war eher doof und hatte kein Geld, aber er war sehr nett, ein Punk, nicht wie alle anderen. Mein letzter Freund hatte auch nicht wirklich Geld, aber genug, dass wir zusammen etwas unternehmen konnten – er war auch sechs Jahre älter als ich. Insofern war es schon schön, dass wir es uns leisten konnten, auszugehen. Wir haben uns übrigens immer abwechselnd gegenseitig eingeladen.
Was Sex betrifft, das wird ja oft als Indikator für die Qualität einer Beziehung gesehen. Zum Beispiel, dass es bald zu Ende geht, wenn er nicht stattfindet. Sex ist also schon wichtig für eine stabile Beziehung. Aber ob ich ihn als „Gut“ oder „Ware“ einbringe? Natürlich habe ich mich immer geschminkt und schön gemacht, aber nicht, weil das von mir erwartet wurde oder ich mich als sexy darstellen wollte, sondern weil ich das einfach gern mache. Am wichtigsten finde ich, dass beide Partner mit dem Sex zufrieden sind und dass man alles sagen kann. Meine letzten beiden Freunde waren älter als ich, denen war nichts peinlich, wir konnten über alles reden. Das war mir immer wichtiger als Geld.
Wenn ich an die Zukunft denke, muss ich schon zugeben: Ich fände es natürlich gut, wenn der Mann, den ich mal heirate oder mit dem ich länger zusammen bin, so viel Geld hat, dass er selbstständig ist. Ich will auf keinen Fall jemanden, der von mir abhängt. Ich will aber unbedingt selbst genug verdienen, damit ich für mich und meinen Lebensstil selbst sorgen kann. Dann muss ich mir über Sex und Schönheit auch keine Sorgen mehr machen.
Die Akademikerin (29):
Ich habe Sex eigentlich nie gegen Geld oder eine „Versorgung“ durch meinen Freund getauscht. Bei meinem letzten Freund, mit dem ich mehrere Jahre eine liebevolle Beziehung geführt habe, gab es aber doch einen unterschwelligen Tausch: Sex gegen Steigerung seines Selbstwerts. Wenn ich von mir aus mit ihm schlafen wollte, fühlte er sich attraktiver. Das gab der Beziehung in dieser Hinsicht einen stabilisierenden Faktor. Aber irgendwann wurde aufgerechnet: Wer hat wie oft den Sex initiiert? Das wurde ein kleiner Kuhhandel. Wenn ich Sex anfing, wollte ich ihn glücklich machen, aber ich hatte leider im Hinterkopf: 1x abgehakt auf der Strichliste. Und ich wusste auch immer, wenn ich nicht häufig mit ihm schlafe, gibt es Streit. Diese Erwartungen haben mich dann blockiert. Sogar bei der Trennung sagte er, der seltene Sex sei ja auch ein Punkt.
Wir haben damals also Sex nicht gegen Geld getauscht. Er hatte ja kein Einkommen. Das nagte auch sehr an seinem Selbstbewusstsein, dass er mich nicht einladen konnte. Wir tauschten Sex gegen Bestätigung, Aufrechterhaltung der Partnerschaft. Ich bekam aber auch seinen Arm zum Anlehnen, jemanden zum Zurücklehnen – Liebe – als „Gegenleistung“, das darf man nicht vergessen. Aber letztendlich habe ich mich in dieser Beziehung völlig verloren und fühlte mich fremdbestimmt.
Nach der Trennung habe ich zum ersten Mal Sex ohne Erwartungszwang erlebt – es wurde zur Selbsterfahrung, auch gern egoistisch ausgelebt, ohne Anspruch meinerseits, etwas zurückzubekommen. Plötzlich „tauschte“ ich Sex gegen Spaß. Einmal hatte ich einen guten Kumpel für ein Wochenende zu mir eingeladen: Er sparte das Hotel, dafür zahlte er beim Sightseeing die Rechnung. Dass wir uns dabei nähergekommen sind, war Zufall. Dass wir aber hier Sex gegen Geld tauschen, kann man so nicht sagen, auch wenn manche das so sehen könnten.
Für die nächste feste Beziehung wird Sex sicher ein wichtiger Bestandteil sein. Und ich habe auch kein Problem damit, wenn der Mann mehr Geld hat als ich. Aber Sex soll um des Sex willen stattfinden. Ich bin sogar so weit zu sagen, Sex kann – wenn es so abgesprochen ist – auch außerhalb der Partnerschaft stattfinden.
Die Journalistin (56)
In dem Alter und bei langjährigen Beziehungen mit Kindern spielt das nicht mehr so die Rolle, ob man Sex gegen Geld tauscht. Die Kämpfe haben dann längst stattgefunden, die Fronten sind geklärt und die Paare haben einen gemeinsamen Weg gefunden – oder sich getrennt.
Sex hat in meiner 20-jährigen Ehe nie so die Rolle gespielt, dass ein Tausch stattgefunden hätte, das ist vielleicht auch das Entspannende daran. Früher, als ich jung war, hat Sex eine Beziehung eher unstabil gemacht. In den 70ern war es ja bei jungen linken Männern eher verpönt, zweimal mit der Gleichen zu schlafen. Wenn ich damals das Gefühl hatte, ich werde auf ein Date eingeladen und es wird Sex erwartet – da wäre ich nie hingegangen.
Bei mir ist Sex auch heute keine Tauschware, ich verdiene mein eigenes Geld, wenn auch weniger als mein Mann. Dadurch muss ich Sex nicht anbieten. Der Tausch sieht vielleicht etwas anders aus: Mein Mann bietet mir Zuverlässigkeit, sorgt für mich, wenn ich krank bin. Dafür „liefere“ ich häusliche Gemütlichkeit und die Organisation des Haushalts, auch wenn wir uns früher darüber oft in den Haaren hatten. Aber in Richtung dieses „Tausches“ hat es sich in meiner Ehe entwickelt.
Sex ist natürlich trotzdem wichtig für die Beziehung, aber er findet phasenhaft statt. Wenn man Kinder bekommt, rückt er in den Hintergrund, da erschrickt man fast, dass man so wenig Lust hat. Das entspannt sich aber irgendwann. Dann gibt es wieder Phasen, wenn man ohne Kind in den Urlaub fährt, wo Sex wieder wichtiger wird. Ich finde es für eine Beziehung unheimlich wichtig, dass Sex nicht so stark gewichtet wird, dass Spannungen entstehen – sondern dass gegenseitiges Verständnis da ist.
Die Sexarbeiterin (48):
In meinem Beruf wird ganz klar Sex – aber auch Gefühl – gegen Geld getauscht. Die Leute gehen hier ganz bewusst damit um, auch Frauen erlauben sich heute bezahlten Sex. Von Männern sind sie schon lange nicht mehr abhängig, auch in ihren Liebesbeziehungen nicht. Was nicht heißt, dass sie ihre Sexualität nicht ab und zu gezielt einsetzen oder sogar Sex einfordern. Vieles aus der Prostitution hat sich meiner Meinung nach auch auf Beziehungen ausgewirkt. Paare „verhandeln“ heute offener miteinander, was man sich in der Beziehung und im Sex vorstellt.
Auch in meiner Beziehung bin ich sehr offen. Gerade weil ich als Sexarbeiterin tätig bin, mache ich privat definitiv keinen Sex, wenn ich nicht selbst möchte. Wenn meine Partnerin aber unbedingt gern „will“, müssen wir eben verhandeln. Wir führen eine abgesprochene Beziehung, man arrangiert sich in vielen Punkten. Als Tauschgeschäft würde ich das aber nicht sehen.
Bei meinen ersten Beziehungen, da war ich so um die 20, hatte ich spannende Partnerschaften auch mit Männern. Damals hat man schon experimentiert, aber emotionell noch nicht so viel zugelassen – Sex war eher „Gymnastik“. Heute ist mir im Privaten der Sex immer noch wichtig, aber wenn man älter wird, hat er nicht mehr einen so hohen Stellenwert. Es gibt Zeiten, da hat Sex für mich nicht oberste Priorität, etwa wenn ich für Projekte viel unterwegs bin. Und es gibt andere Zeiten, wo ich mehr Freiraum und Lust habe. Vor allem aber kommt es darauf an, „wie“, und nicht „wie oft“. Häufigkeit ist kein Zeichen für eine Stabilität.
NICOLE JANZ, Jahrgang 1977, seit 2008 bei der taz für Frauen- und Familienpolitik zuständig und Herausgeberin von „Menschenrechte – Globale Dimensionen eines universellen Anspruchs“ (2007).
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