: Freundschaft, mehr oder weniger
Als 1963 der Élysée-Vertrag geschlossen wurde, herrschte Euphorie. Ihre großen Ziele haben Frankreich und Deutschland nur zum Teil erreicht
aus Paris DOROTHEA HAHN
„Übervoll ist mein Herz und dankbar mein Gemüt“, sprach Charles de Gaulle in fließendem Deutsch mit einem Hauch von französischem Akzent, nachdem er am 22. Januar 1963 mit Konrad Adenauer den Élysée-Vertrag unterschrieben hatte. Der 87-jährige Bundeskanzler, völlig verdutzt von zwei Wangenküssen und der stürmischen Umarmung seines Gastgebers, antwortete auf Rheinisch, obwohl auch er ein paar Brocken Französisch konnte: „Dem habe ich nichts hinzuzufügen.“
Der Vertrag nannte drei Ziele: die Annäherung in der Außenpolitik – ganz besonders in Sachen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Annäherung in Verteidigungs- und Rüstungspolitik sowie die Annäherung beim Spracherwerb. Wörtlich heißt es: „Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die der Kenntnis der Sprache des anderen in jedem der beiden Länder für die deutsch-französische Zusammenarbeit zukommt. Zu diesem Zweck werden sie […] konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Zahl der deutschen Schüler, die Französisch lernen, und die der französischen Schüler, die Deutsch lernen, zu erhöhen.“
Die Luft ist raus
Die beiden ersten Vertragsziele sind weitgehend erreicht: Berlin und Paris sind sowohl auf der zwischenstaatlichen als auch auf der europäischen Ebene enger verzahnt denn je. Die Spitzen der beiden Regierungen stimmen ihre Europapolitik – meistens – und ihre UN-Politik – manchmal – ab. Es gibt längst gemeinsame Militäreinheiten; und Erfahrungen mit gemeinsamen internationalen Kriegseinsätzen. An der Spitze beider Verwaltungen gibt es jetzt „KoordinatorInnen“, „KulturrätInnen“ und hunderte BeamtInnen in fast allen politischen Ressorts. Von heute an sollen mit den „GeneralsekretärInnen“ in Berlin und Paris weitere Spitzenpöstchen hinzukommen. Wie geschmiert läuft die Zusammenarbeit in einem Bereich, der in dem ursprünglichen Vertrag mit keinem einzigen Wort vorkommt: bei der Wirtschaft. Deutschland und Frankreich sind im Laufe der Jahre die wichtigsten Handelspartner füreinander geworden. Das hat in beiden Ländern 700.000 Arbeitsplätze geschaffen.
Doch was die Sprache des jeweils anderen betrifft sowie die Kenntnis von Land und Leuten ist die Bilanz katastrophal. Dabei war die Völkerverständigung 40 Jahre lang das wichtigste Argument für den weltweit einmaligen Vertrag. Bei vielen der 2.000 Städtepartnerschaften ist die Luft raus. Brieffreundschaften und Klassenreisen sind selten geworden. Die Lust, die Sprache des anderen zu lernen, schwindet. Nur noch 14 Prozent der deutschen SchülerInnen und neun Prozent der jungen FranzösInnen wählen die Nachbarsprache als erste Fremdsprache – mehr als ein Drittel weniger als in den 70er-Jahren.
Spitzenpolitiker wie Adenauer und de Gaulle, die seinerzeit zumindest ein paar Zitate in der anderen Sprache austauschen konnten, gibt es heute in Berlin und Paris nicht mehr.
Schon über Giscard d’Estaing und Schmidt witzelten die Karikaturisten der Siebzigerjahre, dass sie sich auf Englisch das Du anboten: „You can say you to me.“ Für die Veranstaltung zum heutigen 40. Beziehungsgeburtstag in Versailles mussten die Präsidenten beider Parlamente lange suchen, bis sie jeweils ein knappes Dutzend Abgeordneter fanden, die der anderen Sprache mächtig sind.
Das Netz wird löchrig
Dahinter steckt mehr als Zeitgeist. Beide Staaten haben sich peu à peu aus der Förderung der Kontakte zurückgezogen. Das 1963 gegründete Deutsch-französische Jugendwerk DFJW (Office Franco Allemand), das sieben Millionen Jugendlichen zu ersten Kontaktaufnahmen verhalf, muss heute mit einem Drittel des damaligen Etats wirtschaften. Nicht einmal für die Jubiläumsveranstaltungen hat das DFJW zusätzliches Geld bekommen. Und hinter den Kulissen wird von einer weiteren Etatkürzung um 20 Prozent gemunkelt.
Schon Anfang der 90er-Jahre schloss in Paris das Kulturinstitut der DDR. Von den sieben Goethe-Instituten im Land haben nach monatelangen Protesten in den 90er-Jahren fünf überlebt: Paris, Lyon, Bordeaux, Toulouse, Lille. Doch auf Geheiß des Auswärtigen Amtes müssen sie mit Sparetats arbeiten, dreien von ihnen droht weiter die Schließung. Seit 1997 „das Goethe“ in Marseille zumachte, gibt es in Frankreichs Süden keine öffentliche deutsche Bibliothek, keinen regelmäßigen Kulturaustausch mehr. Umgekehrt hat auch Frankreich das Netz seiner einst zwei Dutzend Kulturinstitute in Deutschland ausgedünnt.
An die Stelle staatlich subventionierter Kulturinstitute und Jugendaustausch sind jetzt vereinzelt Privatinitiativen getreten. So sponsern etwa zwei Autohersteller (ein französischer und ein US-deutscher) mehrere Deutsch- bzw. France-Mobile, die durch die beiden Länder touren.
Belächelte Quoten
Auf französischer Seite haben Politiker immer wieder versucht, den Sprachunterricht auf beiden Rheinseiten neu anzukurbeln. Doch in Deutschland fanden sie kaum Gehör. So werden etwa die gesetzlichen Quoten für französischsprachige Musik im Radio und für französischsprachige Texte in Deutschland belächelt – auch wenn sie dafür sorgen, dass Chansons, Rap und Rai lebendige Genres bleiben.
Umgekehrt liefert in Deutschland sogar die Regierung Argumente dagegen, Französisch zu lernen. So erklärte Exkulturstaatssekretär Julian Nida-Rümelin anlässlich der Eröffnung des Sprachenjahres im Januar 2001: „Wissenschaftlich sind Deutsch und Französisch tote Sprachen.“ Kein Mitglied der rot-grünen Regierung hat ihm widersprochen.
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