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Sieg für den starken Mann

Gewinner der morgigen Wahl in Israel wird wohl Ariel Scharon sein. Ob er eine stabile Koalition bilden kann, ist offen

aus Tel Aviv SUSANNE KNAUL

Der Oppositionsführer gesteht seine Niederlage jetzt schon ein: „Wenn wir diese Wahlen nicht gewinnen, dann eben die nächsten“, sagt Amram Mitzna, Spitzenkandidat der israelischen Arbeitspartei. „Den Chef der Opposition stärken“, lautet folgerichtig sein Slogan im Endspurt des Wahlkampfes. Es gilt, ein Abrutschen auf den dritten Platz zu verhindern. Jüngsten Umfragen nach, zieht die antireligiöse Schinui bereits mit der Arbeitspartei gleich.

Die Hoffnung der beiden führenden Listen, das veränderte Wahlsystem mit lediglich einem Stimmzettel würde die Wähler in die großen Lager treiben, hat sich nicht erfüllt. Der Premierminister wird nicht mehr per Direktwahl, sondern von der stärksten Fraktion bestimmt. Nichtsdestoweniger erfreuen sich gerade die kleinen Listen zunehmender Sympathie, was wahrscheinlich anders wäre, stünde der Sieger nicht schon fest.

Den über 700 israelischen Terroropfern und absehbarem künftigem Blutvergießen zum Trotz, der dramatischen Rezession, der wachsenden Arbeitslosigkeit und Armut zum Trotz und den unmittelbar gegen ihn und seine Familie gerichteten Korruptionsvorwürfen zum Trotz wird der derzeit regierende Spitzenkandidat des Likud, Ariel Scharon, die Wahlen für sich entscheiden.

„Die Sympathie für ihn“, erklärt der Schriftsteller Amos Oz das Phänomen, „rührt daher, dass er als Mann empfunden wird, der die Palästinenser besiegt hat.“

Das Image des glaubwürdigen, starken und hartnäckigen Kämpfers stellt offensichtlich die Tatsache in den Schatten, dass Scharon keine erkennbare Strategie verfolgt. Allerdings mangelt es nicht nur der Regierungspartei an klaren Perspektiven, auch die anderen Fraktionen haben wenig an konkreten Lösungsvorschlägen für die brennenden Probleme zu bieten. Der diesjährige Wahlkampf war ein Antiwahlkampf: Die Arbeitspartei gegen die Korruption und das Versagen Scharons, die extremen Rechten gegen die Araber, die laizisitische Schinui gegen die Religiösen, die Religiösen gegen Schinui und Meretz gegen die Siedler.

Allein Mitznas Vorstellung vom einseitigen Abzug zunächst aus dem Gaza-Streifen und nach einem Jahr aus weiten Teilen des Westjordanlandes deutet auf einen Lernprozess bei der Arbeitspartei, die sich stets schwer damit tat, den in Oslo begonnenen Friedensprozess für gescheitert zu erklären. Mitzna hat eine Vision, die zumindest langfristig Linderung auch für die sozioökonomische Misere verspricht. Trotzdem führt er die Partei vermutlich in eine historische Wahlschlappe. In der Fraktion brodelt es. War der unerfahrene Mitzna vielleicht doch der falsche Kandidat? Ex-Außenminister Schimon Peres würde, Umfragen zufolge, mindestens sieben Mandate mehr erreichen können, was allerdings wenig bedeutet, denn Peres lag in Umfragen meistens vorn und hat trotzdem noch nie eine Wahl gewonnen.

Also doch die falsche Kampagne? Experten meinen, die Arbeitspartei habe die Wirtschaftsmisere nicht ausreichend in ihrem Wahlkampf ausgeschlachtet. Scharons jetzige Amtszeit endet nämlich mit negativen Rekordzahlen. Das Bruttosozialprodukt fällt; das Defizit wächst, ungeachtet massiver Sparmaßnahmen im Finanzministerium. Bis zum Ende des Jahres soll die Arbeitslosenzahl auf über 300.000 Menschen, rund 12 Prozent der Bevölkerung ansteigen.

Inflationsraten und höhere Lebenshaltungskosten zwingen immer mehr Menschen, ihre Wohnungen zu verlassen oder kostenlose Mahlzeiten anzunehmen. In einer politischen Talkshow berichtet die Frauenbeauftragte aus dem Jerusalemer Rathaus über „39 allein stehende Mütter“, die sich derzeit in „zum Teil fortgeschrittenen Verhandlungen über den Verkauf eigener Organe befinden“.

Die Rezession und Rezepte gegen sie sind zwar Thema fast aller Parteien, aber immer eingebunden in die politische Weltanschauung. Mitzna will den Staatshaushalt auch durch den Abzug aus Gaza entlasten, Tommi Lapid, Chef der Schinui, durch ein Abdrehen der öffentlichen Finanzierung religiöser Institute und kinderreicher Familien. Die Nationale Union des Rechtsextremisten Avigdor Lieberman wiederum meint, dass es sinnvoller sei, die Gelder, die Israel derzeit an die Palästinensische Autonomiebehörde überweist, in die eigene Infrastruktur, auch in den besetzten Gebieten, zu investieren.

Lieberman wird mit Wahrscheinlichkeit in der nächsten Regierungsperiode wieder im Kabinett sitzen, denn eine Große Koalition unter Likud-Führung schließt die Arbeitspartei aus. Scharon wird alles versuchen, Mitznas Fraktion umzustimmen, denn eine rechtsnationale Koalition ist langfristig kaum überlebensfähig. Mit Lieberman im Kabinett ist eine Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus hinsichtlich neuer Friedensverhandlungen oder gar der Gründung eines Staates Palästina ausgeschlossen. Eine Belastung der Beziehungen zu Washington wiederum kann sich Scharon nicht erlauben, nicht zuletzt hatte er gerade um 12 Milliarden Dollar Finanzhilfe anfragen lassen. Im Likud wird bereits über notwendige Neuwahlen „innerhalb von 12 bis 18 Monaten“ gemunkelt, sollte die Arbeitspartei in die Opposition gehen.

Für den Friedensprozess bringen die bevorstehenden Parlamentswahlen allemal eine Verschlechterung. Ohne massiven Druck aus dem Ausland wird sich hier nichts tun – und dieser ist, wenn überhaupt, erst nach dem Abschluss des möglichen US-Angriffs auf den Irak zu erwarten.

Einzige Hoffnung sei, räsonieren viele Israelis, dass die beiden Volksführer Arafat und Scharon, die zuverlässig gegenseitig für ihr politisches Überleben sorgen, von höheren Instanzen abberufen werden. Das ist in näherer Zukunft nicht auszuschließen, schließlich sind beide nicht mehr die Jüngsten.

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