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Ein Skandal ist nicht in Sicht

Frankfurts Vizepolizeichef Wolfgang Daschner hat die Anweisung gegeben, dem Entführer Gewalt anzudrohen. Vertuschen wollte er den Vorgang sicher nicht

FRANKFURT/M. taz ■ Der stellvertretende Polizeipräsident der Stadt Frankfurt am Main, Wolfgang Daschner, ist ein erfahrener Polizist, und ein bei den Kollegen beliebter dazu. Der 59 Jahre alte zweite Mann hinter Polizeipräsident Harald Weiss-Bollandt diente sich in dreißig Jahren als Polizist kontinuierlich hoch: vom uniformierten Streifenbeamten über den „Kriminalen“ bis hin zum Vize im neuen Polizeipräsidium im Stadtteil Dornbusch.

Der Bau gleicht einer mittelalterlichen Trutzburg. Und seit dem Umzug der 2.000 Polizisten Ende 2002 vom alten Präsidium in Hauptbahnhofsnähe in den klotzigen Neubau dringen tatsächlich kaum noch Nachrichten über Skandale oder Personalia durch die dicken Betonmauern nach draußen. Harte Zeiten also vor allem für die Boulevardpresse, die früher dort gern den ihr willig servierten Informationsrahm abschöpfte.

Polizeipräsident Weiss-Bollandt und sein Vize Daschner halten bislang fest die Daumen auf die undichte(n) Stelle(n) im Präsidium. Und so muss sich auch die Presse im aktuellen Konfliktfall auf die Fakten konzentrieren: auf die auf Anordnung von Daschner von einem ihm untergebenen Kriminalbeamten angeblich mit Gewaltandrohung erpresste Aussage des mutmaßlichen Mörders und Erpressers Magnus Gäfgen.

Die sind dürftig, aber eindeutig. Und ein Skandal ist auch nicht in Sicht. Denn vertuschen wollte Daschner die Vorgänge vom 1. Oktober 2002 im Polizeipräsidium im Zuge der Ermittlungen im Entführungsfall Jakob von Metzler ganz sicher nicht. Er fertigte sogar einen Aktenvermerk darüber an, der anschließend dem Polizeipräsidenten zur Ansicht vorgelegt wurde.

In diesem Aktenvermerk beruft sich Daschner auf einen „Notstand“, weil er zu diesem Zeitpunkt glaubte, der damals elfjährige Jakob lebe noch. Und um dieses Leben zu retten, habe er versucht, den mutmaßlichen Entführer durch die Androhung von Gewalt zu einer Aussage über den konkreten Aufenthaltsort des Jungen zu veranlassen. Seine Offenheit – der Aktenvermerk – könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden. Auf diesen jedenfalls stützt sich der Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft gegen Daschner wegen „Aussageerpressung“.

Die Staatsanwaltschaft, die gestern vor dem Oberlandesgericht Frankfurt Anklage gegen den 27-jährigen Jurastudenten Gäfgen wegen Entführung, Erpressung und Mord erhob, hatte den geständigen mutmaßlichen Täter übrigens später noch einmal ordnungsgemäß von einem Richter vernehmen lassen – um den anstehenden Prozess nicht zu gefährden. Kuriosum am Rande: Gäfgen legt heute als U-Häftling im Sicherheitstrakt des Oberlandesgerichts seine mündliche Prüfung für das erste juristische Staatsexamen ab.KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

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