: Böse Mädchen – ziemlich brav
von BIRGIT ROMMELSPACHER
Der 10. Geburtstag ist nahe, aber das Buch „Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin“ von Ute Ehrhardt ist seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 1994 kaum gealtert. Im Gegenteil: Es zog eine Flut von Folgewerken nach sich. Das „Böse Mädchen“-Phänomen lebt. Sie sind natürlich nicht „böse“, die Mädchen, sie wollen vielmehr selbstbewusst sein, durchsetzungsstark und machtorientiert.
Eine solche Umorientierung scheint auch dringend nötig, denn die Lebensperspektiven von Frauen haben sich verändert: Sie können sich nicht mehr an dem alten Rollenklischee orientieren, dass eine Frau nur dann etwas gilt, wenn sie einen Mann hat und Mutter ist. Frauen lernen, sich beruflichen Erfolg zuzutrauen, das heißt Geld und Leistung positiv zu besetzen, und sie lösen sich von der Vorstellung, dass Macht unweiblich sei.
Das bedeutet z. B. auch, dass Frauen andere für sich arbeiten lassen. Auch das ist keine schlechte Idee, setzt doch der berufliche Erfolg von Frauen vielfach die Arbeit von Kindermädchen und Putzfrauen voraus. Da Frauen aber in der Regel andere Frauen und nicht andere Männer für sich arbeiten lassen, fragt sich, ob damit nicht das Rollenklischee weiblicher Ausbeutbarkeit fortgeschrieben wird, das es ja gerade aufzubrechen gilt.
Der Feind: die andere Frau
Diese Hierarchisierung zwischen Frauen, die oft auch ethnisch codiert ist, ist aber nicht das Problem der „bösen Mädchen“, denn sie sehen nach Ehrhardt in den anderen Frauen ihren größten Feind, da diese ihnen den Erfolg oft neiden. Insofern scheinen die „bösen Mädchen“ in die Zeit der Ich-AGs zu passen, in der jede(r) für sich selbst sorgen muss. Kollektive Bezüge sind da nur im Weg. Es geht nicht gegen Männer, es geht auch nicht um Frauen, sondern es geht allein um sie selbst – um ein Selbst, das dummerweise weiblich ist und sich deshalb besonders anstrengen muss.
Indem sich die „bösen Mädchen“ ausschließlich auf die Optimierung ihres Selbstmanagements konzentrieren, bleiben sie in gewisser Weise wiederum ziemlich friedfertig. Sie haben den Anspruch aufgegeben, von anderen Änderungen einzufordern oder gar die Gesellschaft ändern zu wollen. So ist für sie z. B. die Gleichstellungspolitik kein Thema. Das ist durchaus typisch für Frauen, die aufsteigen. Die Erfahrungen in den USA mit der Gleichstellungspolitik der affimative action etwa zeigen, dass die weißen Frauen, die von diesen Maßnahmen am meisten profitiert haben, am wenigsten davon halten – und zwar um so weniger, je erfolgreicher sie sind. Möglicherweise muss die Erinnerung an die Zugehörigkeit zu einer diskriminierten Gruppe abgewehrt werden, um den Narzissmus des erfolgreichen Selbst nicht zu verletzen.
Aber angesichts der systematischen Zurücksetzung von Frauen ist es fraglich, inwieweit persönliche Durchsetzungsstrategien allein greifen können. Darüber hinaus nähren sie die Illusionen, frau könne ganz allein gegen gesellschaftliche Strukturen angehen, was nicht nur zu Enttäuschungen, sondern auch zur Selbstdemontage führen muss, wenn Frauen sich den Misserfolg dann persönlich zuschreiben.
Neue Frau versus Muttermythos?
Aber auch wenn diese Strategien erfolgreich sind, heißt das noch lange nicht, dass alle Frauen sie auch einsetzen wollen. Frauen sind an die patriarchale Ordnung immer auch ambivalent gebunden. Sie haben auch etwas zu verlieren, denn die traditionellen Frauenrollen sind auch mit Privilegien verbunden. So besteht etwa für die Familienfrau, insbesondere die mit hohem sozialem Status, die Möglichkeit der Teilhabe an Reichtum und Macht, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen. Dazu kommt die psychische und moralische Dividende von Mütterlichkeit und Fürsorge. Deshalb wollen auch viele Frauen den Männern keineswegs ohne weiteres das Terrain der Familienarbeit überlassen. Die Männer sollen ihnen zwar helfen, aber die Hauptverantwortung möchten sie doch gerne für sich behalten. Die Frauen wollen also nicht unbedingt ihre traditionellen Rollen aufgeben, auch wenn sie gleichzeitig neue Bereiche für sich erobern.
Diese Ambivalenz zwischen Beziehungs- und Selbstorientierung wird nun aufgespalten in gegensätzliche Bilder: hier die traditionelle, selbstlose Frau und da die neue Frau, die es sich erlaubt, egoistisch zu sein – ein Gegensatz, der bisher oft auch in der Spaltung zwischen Müttern und Karrierefrauen ausgedrückt wurde. Eine solche Polarisierung ist gerade in Deutschland mit seinem Müttermythos besonders problematisch. Dieser zeigt sich u. a. darin, dass Deutschland im europäischen Vergleich am Ende rangiert, wenn es um öffentliche Kinderversorgung und um das Engagement der Väter bei der Kindererziehung geht, was sich nicht zuletzt in einem eklatanten Mangel an Frauen in Spitzenpositionen niederschlägt.
Der im Nationalsozialismus verstärkte Geschlechterkonservatismus führte auch dazu, dass die westdeutsche Frauenbewegung die Mütterlichkeit schnell unter Faschismusverdacht stellte. Aber gerade weil in (West-)Deutschland der Muttermythos noch so wirksam ist, geht es nicht an, dem ein Frauenbild entgegenzusetzen, das nichts mit Beziehungsorientierung und Fürsorge zu tun hat, sondern es geht vielmehr darum, den Gegensatz aufzuheben und Frauenbild und Mütterlichkeit vereinbar, ohne sie voneinander abhängig zu machen – bzw. Mütterlichkeit von der Fixierung an eine Geschlechterrolle überhaupt zu lösen.
Insofern hat bei allem Mut zur Rollenüberschreitung das Konzept von den „bösen Mädchen“ auch konservative Züge: Es führt die Spaltung zwischen Frauen fort und stellt weder die Männerrolle noch die patriarchale Ordnung in Frage. Zudem bestätigt es ein System der individuellen Konkurrenz, des Leistungsprimats und der sozialen und ethnischen Hierarchien. Der Fortschritt, das Neue, zeigt sich in einer scheinbaren Auflösung der Geschlechterordnung durch Individualisierung. Politische Strategien werden im Einzelkämpfertum aufgelöst, ganz wie es die neoliberale Ideologie verlangt. Es geht also um Postfeminismus: darum, dass man sich auf die Errungenschaften der Frauenbewegung stützt, das Frausein selbst als soziale und politische Kategorie aber für irrelevant erklärt. So wendet sich Ehrhardt z. B. entschieden dagegen, ein weiteres Klagelied über die Schlechtigkeit der Welt anzustimmen. Allein auf die Selbstveränderung der einzelnen Frauen komme es an.
Postfeminismus als Korrektiv
Das kann durchaus produktiv sein als Korrektiv einer „weiblichen“ Opfermentalität und der Tendenz von Frauen, sich selbst zu idealisieren. Allerdings ist es auch keine Lösung, nicht auch von Männern Veränderungen einzufordern wie eben zum Beispiel die, auch Fürsorgeaufgaben zu übernehmen und die Macht zu teilen. Offensichtlich besteht bei beiden Geschlechtern Veränderungsbedarf, da beide an der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung beteiligt sind, wie dies die Genderforschung nun seit geraumer Zeit herausarbeitet. Nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen sind nur denkbar, wenn alle Beteiligten Subjekte des Wandels sind.
Die Stärkung der Machtorientierung von Frauen ist eine wichtige Voraussetzung für die Umarbeitung traditioneller Rollenbilder. Der Blick auf das Geschlechterverhältnis würde aber im Gegensatz zu einer neoliberalen Perspektive deutlich machen, dass es nicht in erster Linie darum gehen kann, eine Vielzahl von Einzelkämpfer(inne)n gegeneinander antreten zu lassen, sondern dass die Beziehungen der Menschen zueinander so verändert werden müssen, dass sie nicht durch das Diktat polarisierter Rollenbilder und der damit verbundenen unterschiedlichen Machtchancen eingeengt oder gar zerstört werden.
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