: Hoffnung Wolkenkratzer
Nicht nur Deutschland, zuletzt vor allem München, auch Österreich, im Besonderen also Wien, erlebt einen neuen Hochhausboom. Hier schwingen sich auch Wohnbauten in Schwindel erregende Höhen. Knapp 30 Türme wuchsen in den letzten zehn Jahren ohne stadtplanerisches Konzept in den Himmel
VON REINHARD SEISS
Wolkenkratzer unterliegen in Europa starken Konjunkturschwankungen. Je nach Zeit und Ort werden sie abwechselnd als menschenverachtend und unästhetisch verpönt oder aber als Motoren der Stadtentwicklung und -modernisierung idealisiert. Während etwa in Paris in den 70er- und frühen 80er-Jahren bedenkenlos Hochhäuser auch in die historische Stadt gesetzt wurden, waren Turmbauten in Wien mit wenigen Ausnahmen tabu. Seit den 90er-Jahren verhält es sich genau umgekehrt: Wien sieht sich seit der Ostöffnung in Konkurrenz zu Städten wie Budapest, Prag und Warschau – und meint, nur durch Hochhäuser im Rennen um internationale Investoren bestehen zu können. Die französische Metropole wiederum verzichtet nach offenbar schlechten Erfahrungen nun schon seit Jahren auf neue Turmbauten innerhalb des périphérique. An Main und Spree schossen in den späten 80ern und 90ern ebenfalls Wolkenkratzer aus dem Boden – allerdings nur für Bürozwecke. An der Donau hingegen zeigt man keine Scheu, auch Wohnungen zwanzig- bis dreißigfach übereinander zu stapeln.
Erstes Experimentierfeld für den Wiener Hochhausbau war die so genannte Donau City, die zu einem zweiten Stadtzentrum für die dynamisch wachsenden Stadterweiterungsgebiete nördlich der Donau werden sollte. Auf dem Standort, einer 17 Hektar großen Überplattung der Stadtautobahn A22, wo ursprünglich die geplante Expo 95 Wien–Budapest stattfinden hätte sollen, entstanden seit 1995 gleich mehrere Büro- und Wohntürme – unter anderem Österreichs höchstes Wohnhaus mit 110 Metern. Bis heute erfüllt die Donau City nicht jene Erwartungen, die ihre Planer geweckt hatten: Die öffentlichen Räume sind kaum zu urbanen, belebten Plätzen geworden – und die Vielfalt an Handel, Dienstleistung und Gastronomie hält sich im neuen Stadtzentrum in engen Grenzen.
Zweifellos aber ist der Standort – unmittelbar an der Donau und erschlossen durch U-Bahn und Autobahn – stadtstrukturell, stadtgestalterisch und verkehrstechnisch für größere Bauvolumen geeignet. Dagegen entstanden andernorts, verteilt über ganz Wien, zahlreiche Hochhausprojekte, die jeder planerischen Vernunft zuwider liefen. Knapp 30 Türme wuchsen in den letzten zehn Jahren ohne jegliches stadtplanerische Konzept in den Himmel – und weitere 20 Projekte sind bereits genehmigt.
Gerade in Fertigstellung sind jene vier Türme auf den ehemaligen Lehmabbauflächen des weltgrößten Ziegelkonzerns Wienerberger, die gemeinsam mit den zwei bereits realisierten Hochhäusern die Wienerberg City bilden sollen. In keinem Raumplanungskonzept war dieser Standort im Süden Wiens je für eine solche Entwicklung vorgesehen. Dennoch entstehen dort nun über 1.000 Wohnungen und 5.500 Büroarbeitsplätze – ohne die entsprechenden sozialen Einrichtungen und abseits leistungsfähiger öffentlicher Verkehrsmittel. Schon bald nach Bezug der ersten Objekte wurden Stimmen laut, die von der Stadt Wien eine infrastrukturelle Nachrüstung forderten – bezeichnenderweise auf Kosten der Allgemeinheit anstatt zu Lasten der Investoren, die durch die Umwidmung ihrer Liegenschaft Unsummen lukriert hatten.
Unweit davon, am Laaer Berg, verfügt auch die Firma Porr – einer der größten Baukonzerne im deutschen Sprachraum – über ein altes Betriebsgelände, auf dem sie derzeit ihr eigenes Hochhausviertel „Monte Laa“ errichtet. Nicht nur, dass auch dieser Standort entlegen und stadtstrukturell ungeeignet ist, er ist zudem durch die Stadtautobahn A23 zerschnitten. Deshalb wurde die meistbefahrene Straße des Landes, mit über 100.000 Autos pro Tag, auf einer Länge von 220 Metern überplattet, um darüber neben 4.000 Jobs auch – wie es in den Werbeprospekten heißt – „1.000 Wohnungen im Grünen für Familien mit Kindern“ zu schaffen. Mit öffentlichen Mitteln der Wiener Wohnbauförderung entsteht hier das Wohnviertel mit der wohl größten Verkehrs- und Schadstoffbelastung Österreichs.
Erst im Jahr 2002 erarbeitete die Stadt Wien mit großer Verspätung ein Hochhauskonzept, das die künftige Entwicklung steuern soll. Darin sind all jene Bereiche definiert, die für Hochhäuser nicht in Frage kommen – etwa Landschaftsschutzgebiete, architektonische und denkmalpflegerische Schutzzonen sowie einige wichtige Sichtachsen. Alle anderen Bereiche der Stadt gelten weiterhin als potenzielle Eignungszonen. Innerhalb dieser Zonen benötigen Hochhausprojekte einen Anschluss an das hochrangige öffentliche Verkehrsnetz – laut Konzept „eine bestehende oder mittelfristig realisierbare Station der S-Bahn, U-Bahn oder zweier Straßenbahnlinien“. Wien zählt derzeit allein 77 U-Bahn-Stationen, ganz zu schweigen von Schnellbahn- und Tramway-Haltestellen. Eine notwendige Selektion von Standorten, eine sinnvolle Fokussierung auf bestimmte Entwicklungsgebiete wird so weiterhin nicht erfolgen.
Zwar müssen Investoren nunmehr durch ein Gutachten die Erfüllung eines zehn Punkte umfassenden Kriterienkatalogs nachweisen. Anforderungen wie die „positive Beziehung zum Umfeld“ oder die „stadtstrukturelle Verträglichkeit“ eines Hochhauses bleiben ohne konkrete Maßzahlen und Grenzwerte allerdings Interpretationssache. Es ist bedauerlich, dass die Stadtplanung das Instrument Hochhaus nicht offensiver und bewusster – wie etwa bei der Donau City – einsetzt, um bestimmte Stadtteilzentren zu stärken. Hochhäuser sollten ja nicht nur „verträglich“, sondern für die Stadtentwicklung sinnvoll sein. Über das Stadtgebiet verstreute Solitäre, die aufgrund zufälliger Bauplatzverfügbarkeit oder individuellen Geltungsdrangs entstehen, nützen der Stadt wenig.
Darüber hinaus fehlt es an einer räumlich-städtebaulichen Vision für die Gesamtstadt, wie sie etwa Zürich jüngst in seinem Hochhauskonzept festgelegt hat. Auch wenn sich eine gewünschte Stadtsilhouette nicht verordnen lässt, so bräuchte ein Hochhauskonzept neben planungstechnischen Reglementierungen doch auch kreativ-gestalterische Komponenten. Ansonsten legt Wien seine städtebauliche Entwicklung in die Hände von Investmentfonds und Immobilienspekulanten. Generell fällt auf, dass das traditionell sozialistische Wien das Thema Hochhaus liberaler handhabt als zahlreiche westeuropäische und selbst angloamerikanische Städte. London und Paris etwa konzentrieren ihre Hochhäuser an einigen ausgewählten Standorten – und die Investoren akzeptieren es, in Sonderzonen gelenkt zu werden.
Ohnehin bevorzugen die meisten Firmen Hochhausgruppen gegenüber Einzeltürmen. Der Stadtplanung wiederum ermöglicht ein so genannter Cluster die Bündelung von Planungsleistungen und öffentlicher Infrastruktur sowie die Ausgestaltung einer Übergangszone von der hohen Bebauung zur umliegenden niedrigeren Struktur. Rotterdam setzt nach negativen Erfahrungen mit monofunktionellen Hochhäusern nun auf Türme mit Mischnutzung, was als Voraussetzung für eine gewisse Urbanität angesehen wird. München praktiziert mit Erfolg die Mehrwertabschöpfung von Großprojekten – nicht nur als Ausgleich für die öffentlichen Leistungen, sondern auch zur Besteuerung des individuellen Flächenwidmungsgewinns, sobald höher bzw. dichter als ortsüblich gebaut wird. Wien täte im Fall seiner Hochhauspolitik also gut daran, nicht nur auf die Konkurrenz in Osteuropa zu schielen, sondern auch auf modellhafte Städte im Westen zu achten.
Reinhard Seiß ist Stadtplaner und Filmemacher in Wien
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