: Aramäisches Vaterunser
Ein Buch kommt heute selten allein: Um die Literatur „sinnlicher“ zu machen, setzen Verlage auf die Kombination mit CD und DVD. Auch die Musikindustrie hofft auf Synergieeffekte durch die Allianz
VON KOLJA MENSING
In diesem Frühjahr wird bei Goldmann ein esoterisch angehauchter Internetroman namens „Purusha“ erscheinen. Wie üblich schickte der Verlag vorab ein Leseexemplar an Buchhändler und Literaturkritiker, legte diesmal allerdings noch eine topexklusive CD mit ausgewählten „Musikstücken zum Buch“ dazu. Die zarten Sitarklänge, ein „aramäisches Vaterunser“ sowie zwei vom Autor Julis A. Frick höchstpersönlich eingespielte HipHop-Tracks wurden, wie der Verlag stolz angibt, „speziell für Sie zur Einstimmung auf die Lektüre produziert“.
Ein Buch allein scheint heutzutage nur noch wenig vertrauenswürdig. Die Kulturpessimisten haben also doch Recht gehabt. Niemand will sich mehr einfach nur auf die anregende Wirkung von bedrucktem Papier verlassen. Und tatsächlich finden sich derzeit unterschiedliche Versuche, das gute alte Buch mit technischen Hilfsmitteln „ein bisschen sinnlicher zu machen“, wie die Lektorin Claudia Lüersen vom Hamburger Companions Verlag es elegant formuliert. Sie betreut eine neue Reihe mit „kulinarischen Reiseführern“, die gleich mit einer Audio-CD zusammen ausgeliefert werden. Der vor kurzem erschienene erste Band „the taste of london“ ist verhältnismäßig aufwändig gemacht und unterlegt multikulturelle Kochrezepte, ausgewählte Restaurantadressen und geschmackvolle Fotos mit einem eigens komponierten Soundtrack aus Londoner Straßengeräuschen und urbanen Beats: ein zeitgemäßes coffee table book, das man im Wohnzimmerregal getrost zwischen dem letzten Moby-Album und den Single-Kochbüchern einsortieren kann.
Zunächst allerdings füllen die Kombinationen aus Büchern und CDs eine Lücke im Sortiment. In den letzten zwei Jahren ist der Umsatz bei Romanen und Sachbüchern eingebrochen. Umfragen zufolge stieg hingegen im Buchhandel in der gleichen Zeit die Nachfrage nach „audiovisuellen Medien“: Hörbücher, Videos und DVDs verkaufen sich ausgezeichnet. Da liegt es nahe, dem Printmedium ein Upgrade zu verpassen und es erst einmal audiokompatibel zu machen.
Während die traditionellen Literaturhäuser angesichts der Branchenkrise ihr Profil schärfen wollen und der neue Suhrkamp-Geschäftsführer, Georg Rieppel, die Parole ausgegeben hat, aus seinem Verlag auf keinen Fall einen „Gemischtwarenladen“ machen zu wollen, hat man anderswo nichts dagegen, gleich die Produktpalette zu erweitern. Ähnlich wie Companions setzt zum Beispiel der Verlag Earbooks mit Titeln wie „Carmen’s Dance“ oder „Love my Jazz“ auf bessere Fotos und Musik für Erwachsene im Buch-CD-Doppelpack. Der zu Fischer gehörende Krüger Verlag verhilft dagegen unter dem Titel „Liebe und Herzschmerz“ Kurzgeschichten junger deutschsprachiger Autoren mit Songs von 2raumwohnung und Tocotronic zu emotionaler Glaubwürdigkeit: „Storys rund um das wichtigste Thema der Welt – zum Lesen, Hören und Fühlen“.
An der sinnlichen Aufrüstung der Literatur ist jedoch nicht nur Verlagen gelegen, sondern auch der Plattenindustrie. „Wir wollen das Buch emotionalisieren und erlebbar machen“, erklärt Uwe Kaddik, der die Abteilung Business Promotions bei Sony Music Deutschland leitet. „Tonspur“ heißt das Projekt, das gerade Sony und den Verlag Kiepenheuer & Witsch zusammengebracht hat: Das Ergebnis ist – irgendwie nahe liegend – eine CD zu Nick Hornbys Buch „31 Songs“. Buch und Tonträger werden zwar einzeln verkauft, die gemeinsame Präsentation soll Sony aber dennoch ungewohnte Vertriebswege verschaffen. Die ebenfalls von massiven Umsatzeinbußen betroffene Musikindustrie ist nämlich hektisch auf der Suche nach neuen Zielgruppen – und das nicht zuletzt im Buchladen um die Ecke.
Auf dem gleichen Weg könnten allerdings die Titel Hornbys und anderer Autoren bei Saturn oder Mediamarkt zwischen die CD-Regale gelangen. Das Branchenmagazin Börsenblatt hat schon mal die Stimmen einiger besorgter Buchhändler eingefangen: Sie befürchten, in Zukunft nicht nur mit dem Internet-Versandhandel zu konkurrieren, sondern auch mit dem Elektronik-Discounter im Einkaufspark.
Wie berechtigt solche Befürchtungen auch sein mögen: Die Kombination mit der Audio-CD ist erst der Anfang einer Entwicklung, an deren Ende das Buch zum gleichberechtigten Mitspieler eines multimedialen Heimnetzwerkes werden könnte. Eine gewisse Vorstellung dieser Art von Home Entertainment bekommt man, wenn man sich das Sophia-Loren-Paket ansieht, das Bear Family Records herausgebracht haben – eine Bio-Box mit Filmausschnitten auf DVD, Musikaufnahmen auf CD und einem Bildband: „Wie herrlich, eine Frau zu sein“, all inclusive für 109 Euro.
Bei Sony schielt man derzeit auf die unerschöpflichen Archive der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender, um zum Beispiel historische Themen im munteren Zusammenspiel von Bildern, Musik und Text aufzubereiten – als Cross-Media-Paketlösung aus Buch und DVD, die praktischerweise gleich über ein entsprechendes Senderformat vermarktet werden könnte. Letztlich geht es dabei sicherlich nicht nur darum, neue Zielgruppen zu finden. Sondern auch Angebote zu schaffen, für die überhaupt noch jemand bezahlen will.
Auf Seiten der Musikindustrie dürfte nämlich auch die Überlegung eine Rolle spielen, den schmerzhaften Verlusten durch Raubkopien und Tauschbörsen nicht nur mit Kopierschutzverfahren und Strafandrohungen zu begegnen.
Stattdessen setzt man auf Produktkombinationen, die gegenüber der verbreiteten Praxis des „rip, mix and burn“ immun sind – weil sie Hardware enthalten, die man nicht einfach mit einem handelsüblichen PC vervielfältigen kann. Wie einen Stapel gebundenes Papier. Einen etwas besser gemachten Bildband zum Beispiel kann man eben nicht einfach auf den Scanner legen und kopieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen