piwik no script img

Eine Frage des Vertrauens

Eine 34-Jährige praktizierte jahrelang ohne Zulassung an einem Hamburger Kinderkrankenhaus. Nun verurteilte sie das Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung

von FRIEDERIKE GRÄFF

„Der Prozess hat ja auch deshalb so viel Aufmerksamkeit gefunden, weil man mit Ärzten das Bild von Göttern in Weiß verbindet“, sagt die Richterin. „Man ist ihnen in besonderem Maße ausgeliefert.“ Aber die Zuschauer drängeln sich nicht nur deshalb im Hamburger Amtsgericht. Sie wollen wissen, wie die Frau aussieht, die sich eine Identität erfand, weil sie um jeden Preis ihren Traum erfüllen wollte. Eine Frau, die, ohne einen Abschluss zu haben, jahrelang als Kinderärztin praktizierte.

Die 34-jährige Cornelia E. ist eine schmale Frau mit Pferdeschwanz in dunklem Hosenanzug. Sie ist wegen Urkundenfälschung, Missbrauchs einer Berufsbezeichnung und Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz angeklagt. Cornelia E. hat bereits bei der Polizei alles gestanden. Sie erklärt ruhig, dass sie, nachdem sie dreimal durch das Physikum gefallen sei, nicht den Mut gehabt habe, ihr Scheitern der Familie, dem Lebensgefährten oder den Freunden einzugestehen. „Ich wurde sehr leistungsorientiert erzogen“, sagt sie.

Sie setzt das Studium fort, obwohl sie exmatrikuliert wurde. Niemand überprüft, ob die Studenten, die an den Kursen teilnehmen, das Physikum bestanden haben. „Die Medizin war mir so ans Herz gewachsen“, sagt Cornelia E.. „Ich war einfach gefesselt“. Sie macht die für die Abschlussprüfungen notwendigen Scheine – die Prüfungen selbst kann sie nicht ablegen. Als sie sich als Ärztin im Praktikum und später als Assistenzärztin beim Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) bewirbt, kopiert sie ihren Namen in die Zeugnisse ihres Lebensgefährten. Der ist ebenfalls Mediziner, die Papiere nimmt sie sich ohne sein Wissen.

Die Kollegen in der Kinderklinik des UKE schätzen ihre Arbeit. Deren Leiter Kurt Ullrich sagt aus, dass sie „gute Arbeit“ geleistet habe. Natürlich will Ullrich sein Haus und dessen Personal gut darstellen. Er sagt, dass er nach dem Auffliegen des Schwindels viele E-Mails von Patienteneltern bekommen habe, in denen sie die Arbeit von Cornelia E. lobten. „Ich kann keinen Schaden für das UKE erkennen.“ Das Geld für ihre Stelle habe man ohnehin ausgeben müssen.

Dass Cornelia E. keine Berechtigung hatte, als Ärztin tätig zu sein, war herausgekommen, als sie trotz mehrerer Mahnungen kein Original ihrer Approbation bei der Ärztekammer einreichte. Als deren Fristen immer kürzer wurden, schrieb Cornelia E. unter dem Namen ihrer Schwester eine E-Mail: Cornelia E. sei verstorben, stand darin. „Es war eine Affekthandlung“, sagt sie vor Gericht. Die Klinik erhält die Todesnachricht, ruft bei Cornelia E. an, die bei einem Gespräch vor Ort alles gesteht. „Man war sehr fair mit mir“, sagt sie. Was sie jahrelang befürchtete, tritt nicht ein: Weder ihre Familie, noch ihr Lebensgefährte wenden sich von ihr ab. Sie arbeitet kurzfristig frei als Texterin und findet dann eine Stelle bei einem Medizinunternehmen. Ihr neuer Arbeitgeber weiß um ihre Vergangenheit.

Die Staatsanwältin sagt, dass Cornelia E. sehr wohl einen Schaden verursacht habe – auch wenn eine Gutachterin an ihrem medizinischen Handeln nichts auszusetzen fand: einen „Vertrauensschaden“. Eltern schwer kranker Kinder, so sagt sie, müssten sich darauf verlassen können, tatsächlich eine Ärztin vor sich zu haben. Sie fordert eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung, 60 Tagessätze zu 70 Euro und 250 Euro monatliche Schadenswiedergutmachung. Der Verteidiger schließt sich an.

Das Gericht verurteilt Cornelia E. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung und einer Geldbuße von 3.600 Euro. Die Richterin wünscht ihr alles Gute für ihren weiteren Lebensweg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen