: Hilferuf an irakische Polizisten
In Bagdad wollen die USA jetzt gegen das anhaltende Chaos vorgehen. Dazu werben sie Freiwillige unter ehemaligen Polizisten. Anderswo sorgen religöse Führer und selbst ernannte Bürgerwehren für Ordnung
BAGDAD afp/dpa ■ Zu hunderten strömen die Freiwilligen zum Bagdader Hotel Palestine. Sie folgen einem Hilferuf der US-Armee und wollen versuchen, den Plünderungen und dem Chaos in der irakischen Hauptstadt nach drei Tagen endlich ein Ende zu setzen. Der Polizeioberst Ahmad Abdelrassak Said erscheint in voller olivgrüner Montur, begleitet von sechs Polizisten in Zivil, zu einem ersten Sicherheitstreffen im Hotel Palestine in der Innenstadt.
Seit dem Fall der Hauptstadt am vergangenen Mittwoch sind dort fast alle Polizeidienststellen geplündert worden. Die unter Saddam Hussein allgegenwärtigen Polizisten sind aus dem Stadtbild verschwunden. Die Freiwilligen folgen einem im Radio ausgestrahlten Aufruf der US-Armee, mit dem unter anderem Fachleute für die Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung und der Stromzufuhr und Sicherheitskräfte gesucht werden. Der Ansturm vor dem Hotel führt zum ersten Verkehrsstau im Bagdader Zentrum seit mehr als drei Wochen. Der Autoverkehr in der Fünfmillionenstadt nimmt langsam wieder zu, kommt aber immer wieder zum Stillstand, vor allem wegen der vielen Kontrollstellen der US-Truppen.
Das Versprechen der USA, Patrouillen von US-Marineinfanteristen sollten das Chaos in der Hauptstadt in den Griff bekommen, scheint die meisten Geschäftsinhaber zunächst nicht zu überzeugen. In der Innenstadt bleiben die meisten Läden aus Angst vor Plünderungen weiterhin geschlossen. In der Raschid-Straße sind nur einige Apotheken geöffnet. Vor den mit Eisengitter gesicherten Geschäften halten bewaffnete Ladeninhaber Wache. „Wir fühlen uns wie auf einem schwankenden Schiff auf stürmischer See“, sagt einer von ihnen. „Bald werden wir untergehen.“
Ab heute sollen nach Angaben von US-Presseoffizier David Cooper US-Soldaten und irakische Polizisten gemeinsam patrouillieren. Man hoffe, dass bald bis zu 3.000 Beamte wieder im Dienst seien. Seit Samstag verhandelten US-Kommandeure in Bagdad mit hochrangigen irakischen Polizeioffizieren, um die Polizei zurück auf die Straßen zu bringen. Die USA wollen aber nur Verkehrs- oder Kriminalpolizisten akzeptieren, nicht frühere Mitarbeiter der Geheimdienste oder von Husseins Sondertruppen.
Das US-Zentralkommando in Katar betonte, die Armee tue ihr Möglichstes, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Das Militär könne aber nicht überall präsent sein. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon will auch Mitglieder von Saddam Husseins Baath-Partei an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Irak beteiligen. Es sei wichtig, zwischen denjenigen, die Gräueltaten verübt hätten, und Mitläufern, zu unterscheiden, sagte Hoon der britischen Zeitung The Observer.
In einigen Orten sorgten örtliche Repräsentanten der Bevölkerung, auch Religionsführer, für Ruhe und Ordnung. Anderswo waren bewaffnete Bürgerwehren unterwegs, und in einigen Stadtteilen wurden zur Abwehr von Plünderern Straßensperren errichtet. „Wenn die Amerikaner nichts unternehmen, werden wir uns gegen sie wenden“, sagt ein Händler entschlossen.
Die Plünderungen dauerten auch gestern an, flauten aber etwas ab. In der Innenstadt sind die meisten Gebäude – Behörden, Ministerien, Schulen, Krankenhäuser und derzeit unbewohnte Privathäuser – bereits völlig leer geräumt. Vor einzelnen Einrichtungen sind inzwischen amerikanische Wachposten aufgezogen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen