: So oder so kommt das Ende der Scherfokratie
Vor der Wahl in Bremen: Die Beliebtheit von SPD-Bürgermeister Henning Scherf ist das Dilemma seiner Partei
BREMEN taz ■ Wer, wenn nicht er? Drei Wochen vor der Bürgerschaftswahl in Bremen steht der Sieger eigentlich schon fest: Henning Scherf (SPD) dürfte auch nach dem 25. Mai Regierungschef an der Weser bleiben. Bremen bliebe damit das einzige westdeutsche Land, in dem seit dem Kriegsende eine Partei ununterbrochen an der Macht ist.
Seit genau vierzig Jahren ist der Zweimetermann Scherf jetzt Mitglied der SPD, seit 1995 führt er zusammen mit der CDU die Bremer große Koalition. Und mit 42 Prozent, so die neueste Umfrage, wird seine Partei gegen den Bundestrend erneut gewinnen. 1999, bei der letzten Bürgerschaftswahl, fuhr die SPD 42,7 Prozent ein. Dagegen sackt die CDU diesmal laut Infratest dimap auf 35 Prozent ab, bei der letzten Wahl zum Bremer Parlament waren es noch 37.
Obwohl Bremen bei der Bildungsstudie Pisa desaströs abschnitt, obwohl Bremen bei der Arbeitslosigkeit mit 13,6 Prozent die rote Laterne aller westdeutschen Länder trägt – Scherf hat sich auch in langen Regierungsjahren nicht abgenutzt. Stattdessen ist er der wohl beliebteste Regierungschef Deutschlands. 68 Prozent der Bremer würden sich bei einer Direktwahl für ihn entscheiden. Der CDU-Spitzenkandidat und Finanzsenator Hartmut Perschau bringt es gerade auf 19 Prozent, selbst 47 Prozent der CDU-Anhänger würden für Scherf stimmen.
Weil das System Scherf weiterleben soll, kümmert die Wähler – anders als in Niedersachsen – die klägliche Lage der Bundes-SPD bei ihrer Entscheidung offensichtlich wenig. Berliner Themen werden im Wahlkampf gemieden, Bundeskanzler Gerhard Schröder will Bremen am kommenden Mittwoch zwar besuchen, aber nicht auf Großveranstaltungen sprechen.
Der hünenhafte Scherf, der sich bei Veranstaltungen nicht zu schade ist, alle 200 anwesenden Gäste zu begrüßen, zu herzen und zu umarmen, regiert intern – und vom Volk unbemerkt – mit harter Hand. Mit Missachtung straft er etwa seinen SPD-Landeschef Detlev Albers: Vor kurzem traten beide erstmals nach acht Scherf’schen Bürgermeisterjahren gemeinsam auf einer Pressekonferenz auf.
Das Funktionieren der Bremer Scherfokratie ist auch die große Crux der Bremer SPD. Einerseits ist eine Mehrheit seiner Partei gegen die Fortführung der Zweckehe mit der farblosen CDU: Tiefe Gräben öffnen sich in Bürgerschaftsdebatten zwischen den Koalitionspartnern, wenn es um Bildungs-, Sozial-, Verkehrs- oder Umweltpolitik geht.
Andererseits steht Umarmer Scherf für Schwarz-Rot. Nur in einer großen Koalition ließen sich Probleme wie die akute Haushaltsnotlage Bremens lösen, für Rot-Grün stehe er nicht zur Verfügung, so Scherf. Mit der kleinen Oppositionspartei, die in den vergangenen Jahren wenig unversucht ließ, Scherfs Politik madig zu machen, kann er nicht. Dabei legen die Grünen laut Infratest dimap von 9 auf 13 Prozent zu, während die FDP wohl auch diesmal an der 5-Prozent-Hürde scheitern dürfte.
Ein weiteres Problem der Bremer SPDler ist, dass der 64-Jährige nur noch zwei Jahre im Amt bleiben will. Die Nachfolger scharren so kurz vor der Wahl nicht gerade lautstark mit den Hufen. In zwei Jahren oder ab 25. Mai, wenn es das Wahlergebnis doch nicht anders zulässt, dürfte es auf zwei Kandidaten hinauslaufen: Bildungssenator Willi Lemke oder Fraktionschef Jens Böhrnsen.
Der Ex-Werder-Manager Lemke gilt – wie Scherf – als Anpacker und Mann mit Stallgeruch. Aber nur beim Normal-Bremer. Intern tut er sich schwer, die Pisa-Scharte auszuwetzen. Außerdem hat Lemke sogar in der eigenen Behörde wenig Rückhalt – und wird ab und an mit einem Job für die Organisation der Fußball-WM 2006 in Verbindung gebracht.
Bleibt der bundesweit unbekannte Böhrnsen, ein eher unterkühlter Typus des Sachpolitikers, der an Stammtischen fremdelt. Wer in die Partei horcht, erfährt jedoch, genau Böhrnsen sei derzeit derjenige, nach dem die Bremer Sozialdemokratie dürste: Nach einem Regierungschef, der nicht mehr nur Volkstribun ist. KAI SCHÖNEBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen