: „Eine hochinteressante Konstellation“
Nach Volksentscheid zur Zukunft der Hamburger Krankenhäuser: Verfassungsrechtler Martin Schmidt geht davon aus, dass das Votum für die Bürgerschaft bindend ist. Ver.di-Chef Wolfgang Rose bietet Senat „Pakt der Vernunft“ an
Wenn Ole von Beust (CDU) auch aus den Bürgerschaftswahlen am Wochenende als grandioser Sieger hervorgegangen ist, musste er in einer entscheidenen Sachfrage doch eine herbe Schlappe einstecken: 588.952 HamburgerInnen stimmten beim Volksentscheid „Gesundheit ist keine Ware“ für den Erhalt des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) und damit gegen von Beusts Regierungspläne. Das sind 76,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. „Damit wurde der Bürgermeister in dieser Frage von 50 Prozent seiner Wählerschaft vor den Kopf gestoßen“, sagt Mitinitiator und DGB-Chef Erhard Pumm, „das kann er nicht ignorieren, wenn er keine Politikverdrossenheit erzeugen will.“
Von Beust ist nach Auffassung von ver.di-Landeschef Wolfgang Rose nun in der Pflicht, verantwortungsbewusst mit seiner Macht umzugehen. „Es wäre kein guter Start in diese Amtszeit, wenn an diesem zentralen Punkt der Mehrheitswille des Volkes ignoriert wird.“ Rose widerspricht Kommentaren, dass das deutliche Votum auf einer „ungefestigten Bauchentscheidung“ beruhe: „Ich kann mich nicht erinnern, dass in der Geschichte Hamburgs ein Thema so lang anhaltend, umfassend und breit diskutiert wurde.“
Das „klare Signal“ sei daher darauf zurückzuführen, dass die Menschen ein Gespür für die unsichere Zukunft des Gesundheitswesen hätten und die sieben städtischen LBK-Krankenhäuser als Garanten der Gesundheitsversorgung erhalten wollten. „Krankenhäuser sind etwas anderes als Autos“, so Rose, „der Senat trägt die treuhänderische Verantwortung, dass die Kliniken nicht einfach verschachert werden.“ Insofern sei es eine Entscheidung von „Kopf, Gefühl und Bauch“ gewesen.
Rose bietet dem Senat einen „Pakt der Vernunft“ an, um den LBK womöglich per Minderheitsbeteiligung in eine sichere Zukunft zu steuern. „Der Verkauf muss erneut auf den Prüfstand.“ Auch Frank Ulrich Montgomery vom Ärzteverband Marburger Bund fordert von Beust auf, den Volksentscheid zu akzeptieren, denn er habe einen klaren Handlungsauftrag erhalten.
Offenkundig ist inzwischen aufgrund der Abstimmung ein neues, hochbrisantes verfassungsrechtliches Stadium eingetreten. Nach Auffassung des Mitgestalters der Hamburger Volksgesetzgebung von 1996, Verfassungsrichter Martin Schmidt, selbst jahrelang Mitglied des Verfassungsausschuss der Bürgerschaft, ist eine bindende Wirkung eingetreten. Wenn vielleicht auch nicht direkt für den Senat – wie jüngst vom Hamburgischen Verfassungsgericht entschieden. Dieses meinte, dass das „Ersuchen“ des Volkes nur einem „Ersuchen“ der Bürgerschaft gleichzusetzen ist und nicht bindend sei. Doch laut Schmidt darf die neue Bürgerschaft nach dem Volksentscheid dem Verkauf nicht mehr zustimmen. „Die Bürgerschaft hat als Gegenpart zu den Initiatoren die Entscheidung in die Hand des Volkes gelegt und das Volk hat in der Sache entschieden“, sagt Schmidt. Und ohne Zustimmung der Bürgerschaft könne der Senat den LBK nicht verkaufen.
Senatsprecher Klaus May gesteht durchaus ein, dass durch das klare Votum politisch eine neue Situation eingetreten ist. „Der Stand null ist wieder hergestellt“, beteuert er. „Und verfassungsrechtlich ist das eine hochinteressante Konstellation.“ Eines ist klar, so May: Nach der Kabinetts-Neubildung werde dem Komplex „oberste Priorität“ auf hohem Rang eingeräumt. „Da müssen neue Bewertungen stattfinden.“ KAI VON APPEN
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