: Zeichen in dunkler Nacht
Grüne Mitgliederversammlung analysiert Ergebnis der Hamburger Wahl schiedlich-friedlich als schlecht für die Stadt und suboptimal für die GAL
von sven-michael veit
Verhalten. Gedämpfte Freude ist die Grundstimmung in Hamburgs Grün-Alternativer Liste. So viele Aspekte sind zu analysieren nach dem Ergebnis der sonntäglichen Bürgerschaftswahl, eine klare Linie ist da schwerlich zu finden auf der Mitgliederversammlung am Dienstagabend in der Haubach-Schule in Altona. „Gut, aber nicht optimal“ für die GAL sei das Resultat, sagt Parteichefin Anja Hajduk, und schlecht für Hamburg. Niemand unter den gut 100 Grünen in der Aula widerspricht, aber auch niemand jubelt.
Noch immer herrscht eine gewisse Fassungslosigkeit über den beispiellosen Triumph des Ole von Beust, noch immer wird ein bisschen betrübt auf die SPD geblickt. Die erneuten Verluste der Sozialdemokratie, die fortdauernde Krise des favorisierten Koalitionspartners, haben Rot-Grün verhindert. Kein Grund jedoch für Schuldzuweisungen, kein Anlass zur Häme; fest an einen Wahlsieg geglaubt hat offensichtlich schon lange niemand mehr unter Hamburgs Grünen.
Das Positive streicht denn auch das Führungspersonal heraus. Einen „guten grünen Auftakt für das Superwahljahr 2004“ vermeint Hajduk, die Bundestagsabgeordnete, bei einem Blick durch die bundespolitische Brille zu erkennen. „Wir haben deutlich zugelegt“, freut sich Fraktionschefin und Spitzenkandidatin Christa Goetsch, außerdem „ist diese unsägliche FDP endlich weg.“ Und als sie freudig darauf hinweist, dass „Schill versenkt ist“, erntet Goetsch den ersten nachdrücklichen Applaus des Abends. „Aber nicht von uns“, gibt Martin Schmidt zu bedenken, „Ole hat Schill versenkt.“
Der langjährige Abgeordnete, Chefdenker und Grüne Eminenz im Hintergrund, hat Wählerwanderungen, Zuwächse und neue demographische Fingerzeige wie immer gründlichst studiert. Die Verluste von 2001, als die GAL von ihrem Rekordhoch von 13,9 ins Jammertal der 8,6 Prozent abstürzte, „haben wir nicht aufgeholt“. Auch die Verluste der SPD habe die GAL nicht ausgleichen können, und „von anderen Parteien haben wir so gut wie nichts geholt“. Dafür aber, ist Hajduk wichtig zu betonen, „haben wir ein Plus von etwa 20 Prozent bei den Unter-30-Jährigen und noch mehr bei den höher gebildeten Frauen zwischen 30 und 49“. Und das verheiße Zukunft, wenn „wir diese WählerInnen an uns binden können“. Bloß wie?
Durch intensive Oppositionsarbeit in der Bürgerschaft „der Majestät Ole Beine machen“, glaubt Goetsch, an der keinerlei Kritik geübt wird. Nach dem Desaster 2001 hatte die GAL hier, in derselben Aula, ihren damaligen Parteivorstand rausgeworfen, jetzt kommt nicht einmal der Hauch einer Personaldebatte auf. Wie auch, ist Goetsch, die Bildungsexpertin, doch wesentlich auch für einen Einzelaspekt verantwortlich, der allenthalben erfreut registriert wird. Bei Bildung und Familie haben die HamburgerInnen in Umfragen der GAL die höchsten Kompetenzwerte zuerkannt, ein Erfolg, der auszubauen sei: „Grüne Metropole, Integration und Toleranz, Mobilität für Alle“, fordert Goetsch, „das alles müssen wir zur Kampagnenreife entwickeln.“
Und dann „schnell und gezielt agieren“, so die Schlussfolgerung von Fraktionsvize Willfried Maier, auch außerhalb der Bürgerschaft. „Politik auf die Stadtteile herunterbrechen“, fordert der Abgeordnete Farid Müller und wird von Christiane Blömecke bestärkt. „Sehr gute Ergebnisse haben wir da, wo wir direkt vor Ort agiert haben“, weiß die neu in die Bürgerschaft Gewählte. Als Fraktionschefin in der Bezirksversammlung Wandsbek war Blömecke an mehreren Bürgerbegehren gegen Senatspläne intensiv beteiligt, „und dieser direkte Weg zu den Menschen zahlt sich aus“, so ihre Erkenntnis.
Und dafür müsse, so die allgemeine grüne Ansicht, die gestärkte Position der GAL in den Bezirksversammlungen und Ortsausschüssen genutzt werden. In vier Bezirken gibt es rot-grüne Mehrheiten, eine gute Operationsbasis gegen den neuen CDU-Senat im Rathaus.
Jaja, so machen wir‘s, nicken 100 grüne Köpfe – viel anderes, mögen sie dabei denken, bleibt uns ja auch nicht übrig. Und applaudieren noch ein zweites Mal freudig – über eine frohe Botschaft ihrer Chefin Hajduk. Parteisprecherin Tanja Schmedt brachte in der Morgendämmerung nach der Wahl eine gesunde Tochter zur Welt: Grüner Nachwuchs, Hoffnung, Zukunft – was für ein Zeichen in dunkler Nacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen