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„Besser als in einer Firma“

Mit der Entwicklung Freier Software lässt sich sehr wohl auch Geld verdienen. Junge Programmierer lernen dabei mehr als an der Uni, und ihre Chancen, in der Industrie Arbeit zu finden, sind gut

Interview NIELS BOEING

taz: Das Konzept der so genannten Freien oder Offenen Software wird von Microsoft längst als potenzielle Bedrohung des eigenen Imperiums gesehen. Ist Freie Software – anders als der New-Economy-Hype – mehr als ein vorübergehendes Phänomen?

Rishab Gosh: Auf jeden Fall. Schon 1996 hatte ich die Produktionsweise von Freier Software im „Modell des Kochtopf-Marktes“ beschrieben …

bei dem jeder eine Zutat, einen Codeschnipsel, in den Topf wirft, aber unbegrenzt die ganze Suppe, etwa das Betriebssystem Linux, löffeln darf.

Ja. Als ich es dann 1998 veröffentlichte, hielten es die meisten für ein Hobby. Heute gehört es zum Mainstream der Wirtschaftstheorie. Viele Soziologen und Ökonomen beschäftigen sich damit, und Freie Software hat es inzwischen aufs Cover von Fortune und von Forbes geschafft.

Der Mythos der Freie-Software-Bewegung besagt, dass tausende junger, bleicher Freaks rund um die Welt gemeinsam an einem Computercode schreiben, ohne Bezahlung, ohne Hierarchie, aus blankem Enthusiasmus. Sie haben die erste umfassende Studie veröffentlicht, die zeigt, wie Freie Software wirklich entsteht, den F/LOSS-Report (für Free/Libre Open Source Software). Was bleibt vom Mythos übrig?

Die Mehrheit der Freie-Software-Community produziert nicht allzu viel Code. Das sind die User, während die eigentlichen Programmierer nur einen kleinen Teil ausmachen. Linus Torvalds sagte mir einmal, dass die User im Modell der Freien Software wertvoller sind als die Entwickler, weil sie das Feedback dazugeben. Bei den Entwicklern gibt es eine Kerngruppe, die den größten Teil des Codes schreibt. Was allerdings nicht heißt, dass sie alles ohne den Rest machen können. Die Kerngruppe kann nur entwickeln, weil hunderttausende einen Teil beisteuern und kleine Verbindungen herstellen.

Wie lebt denn der typische FLOSS-Entwickler?

Die wirklich aktiven aus der Kerngruppe sind häufig verheiratet, kaum Singles. Sie sind deutlich älter, eher in den 30ern als in den 20ern, und selten Studenten, anders, als man immer gedacht hatte.

Was treibt diese Leute an?

Viele Leute an der Spitze der Bewegung haben zwar eine Art Ideologie, aber nicht im politischen oder religiösen Sinne. Man könnte sie mit „Lasst uns das Gute zum Laufen bringen“ umschreiben. Ihre Motivation ist es, bessere Software zu schreiben. Das Wichtigste sind für sie Produktivität und Programmierfertigkeiten. Auf der anderen Seite gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Leuten und dem Einkommen, das sie direkt für diese Arbeit bekommen. Deshalb lässt sich nicht beantworten, ob ihre nichtfinanzielle Motivation die entscheidende ist. Wahrscheinlich nicht.

Wird die Freie-Software-Bewegung also pragmatischer?

Ich habe schon zu Zeiten des Kochtopf-Marktmodells gesagt, dass sie pragmatisch ist. Damals gab es nur noch nicht so viele Möglichkeiten, mit Freier Software direkt Geld zu verdienen. In den USA kann man heute mit der Beratung in Freie-Software-Projekten ohne weiteres 100.000 Dollar verdienen. Für Unternehmen ist das einfach nur ein weiterer Kostenpunkt. Viele der Entwickler des Linux-Kernels arbeiten nebenbei als unabhängige Berater. Die Idee, dass Freie-Software-Programmierer arm oder selbstausbeuterisch seien, ist definitiv falsch.

Im FLOSS-Report haben Sie auch gefragt: „Ist die Arbeit in diesem Sektor erfüllend?“, was recht häufig bejaht wurde.

Das hat uns nicht überrascht. Denn wenn diese Leute die Arbeit nicht mögen und obendrein kein Geld bekommen, wäre es seltsam, wenn sie das dann trotzdem tun.

Darin zeigt sich ein neues Verständnis der Arbeit. Es gibt seit längerem eine Debatte darüber, ob klassische Lohnarbeit noch zeitgemäß ist.

Tatsächlich finden wir dieses Konzept sowohl bei der gemäßigten Linken als auch unter Mainstream-Ökonomen. Die argumentieren aus ihrer Theorie heraus, dass Lohnarbeit einen nicht ausfüllen kann, weil man ja gerade so viel Lohn bekommt, dass die fehlende Befriedigung im Job ausgeglichen wird. Andererseits haben auch Börsenmakler Spaß daran, Börsenmakler zu sein. Es geht also nicht nur ums Geld. Die Frage ist nicht: entweder Geld oder Erfüllung. Der Kernpunkt der ganzen Sache ist vielmehr: Man entscheidet sich aus freien Stücken dafür, an der Entwicklung von Freier Software mitzuarbeiten. Es gibt keinen Zwang dahinter. Für Neulinge und eher politisch Motivierte geht es vor allem um neue Fertigkeiten. Für sie ist das besser, als in einer Firma für einen niedrigen Lohn zu arbeiten oder das ganze umständlich an einer Universität zu lernen. Und es gibt hier eine reelle Chance, schnell in die Spitze der Community aufzusteigen.

Das Durchschnittsalter der FLOSS-Entwickler ist 27,1 Jahre. Ist die Bewegung eine Art Ausbildungssystem?

Ja.

Aber stiehlt sich die Industrie damit nicht billig aus ihrer Verantwortung, Ausbildungsplätze anzubieten?

Wenn man den armseligen Zustand der Universitäten betrachtet, frage ich mich, ob die Industrie bisher überhaupt viel zur Uniausbildung beigetragen hat. Sicher, die Ausbildung in der FLOSS-Community kostet die Gesellschaft auf den ersten Blick weniger. Wir haben das in Diskussionen immer wieder betont: Ein Land, das die Entstehung Freier Software unterstützt, fördert ein Ausbildungssystem, für das es nicht direkt aufkommen muss. Die Kosten sind versteckt. In unserem Report haben wir drei Argumente herausgefunden, weshalb die Leute sich an FLOSS beteiligen: Um Fertigkeiten zu bekommen, die auf dem Arbeitsmarkt helfen, um diese zu demonstrieren, und weil FLOSS-Entwickler angesehen sind. Andererseits beschäftigen nur wenige Unternehmen Programmierer, um Freie Software zu schreiben.

Man hört immer wieder die Klage, dass Firmen auf diese Weise wenig investieren und viel profitieren. Ist das Argument unfair oder dumm?

Es ist dumm. Auch wenn IBM Apache unterstützt, macht die Open-Source-Lizenz es sehr schwierig, sich die Software anzueignen. Der Konzern IBM müsste keine Apache-Entwickler beschäftigen; wenn er es dennoch tut, dann auch, um zu zeigen, dass er sich beteiligen will. Natürlich auch, um Einfluss auf die weitere Apache-Entwicklung haben. Außerdem sieht das Management, dass es auf diese Weise mehr Server und Dienstleistungen verkaufen kann.

Ist es womöglich besser, dass die Industrie nicht zu viel dafür bezahlt?

Ich glaube schon, dass die Freie Software ein Teil der Wissenschaftstradition ist, von der wir uns im Zuge verstärkter Privatisierung in den letzten 20, 30 Jahren entfernt haben. Mit FLOSS kehren wir zu einer „Mikroforschungsstruktur“ zurück, von der Firmen profitieren, ohne das Ganze an sich reißen zu können.

Deutet das vielleicht auf ein neues Marktmodell hin?

Ich weiß nicht, wie übertragbar es ist. Das Kochtopf-Marktmodell funktioniert nur mit Informationsprodukten …

weil sie beliebig oft ohne Abnutzungserscheinungen kopierbar sind. Trotzdem versuchen manche Leute in der FLOSS-Bewegung, das Modell auf ganz andere Wirtschaftszweige anzuwenden.

Das liegt zum Teil daran, dass einige nicht verstehen, was FLOSS wirklich ist. Nehmen Sie zum Beispiel Hardware: „Offene Hardware“ ist unmöglich, weil man Hardware nicht beliebig reproduzieren kann, offenes Hardwaredesign dagegen funktioniert. In der Kunstszene interessiert man sich sehr für das FLOSS-Modell, weil man hier keine Autoren im ursprünglichen Sinne kennt. Trotzdem verstehen Programmierer und Künstler unter dem Wort „Autor“ nicht dasselbe. Das spiegelt sich in der breiten Debatte wider, die zurzeit um die GFDL, die Gnu Free Documentation License, geführt wird …

eine Analogie zur Gnu General Public License (GPL), nach der jeder die Freiheit hat, ein GPL-Programm zu verändern, solange er das Ergebnis wieder der GPL unterwirft.

Ja, ich könnte in einem GPL-Programm alle Stellen „geschrieben von Niels“ durch „geschrieben von Rishab“ ersetzen. In Dokumenten oder Musikstücken wäre das nicht möglich, auch nicht nach der GFDL. Die moralische Idee des Begriffs „Autor“ hat noch nicht die Weiterentwicklung erfahren wie die Lizenz, ein Programm zu besitzen.

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