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Der akademische Bewegungsmelder sieht dich

Bislang wusste die Universität nichts von ihren StudentInnen. Ein neuer, intelligenter Studentenausweis macht möglich, dass sie bald alles wissen kann: Welches Seminar Studis besuchen, was sie in der Mensa essen, wie viel Kreditpunkte bleiben, ob sie am Campus sind. Prototyp an der TU Berlin

Die Erfassung von Kreditpunkten ist mit der intelligenten Campuscard lösbar Die Uni will „Verwaltung effektivieren und den Studentenservice optimieren“

VON MARTIN KAULUND CHRISTIAN FISCHER

Längst haben Sciencefiction-Autoren den gläsernen Menschen entdeckt, der bis in sein Denken hinein überwacht wird. Eine ehrgeizige Hochschule kann ihren StudentInnen wohl bald vorführen, wie nah ihnen George Orwells Großer Bruder bereits ist. An der Technischen Universität (TU) Berlin wird mit einem neuen Studentenausweis experimentiert, der in Zukunft vieles erlaubt: Studis im Seminar punktgenau zu orten, sie als Bildungskunden bargeldlos abzurechnen, sie über eine einzige Chipkarte total zu verwalten.

Der technische Leiter des TU-Projekts weist „Big-Brother-Horrorszenarios“ zwar ins Reich der Fabel, dafür seien die technischen Probleme der neuen Campuscard noch zu groß. Aber, ob beabsichtigt oder nicht: Die Überwachungsuniversität steht vor der Tür.

Wie wenig Probleme es bereitet, einen effektiven Datenaustausch über die Studierenden hinzubekommen, testet die Uni gerade. Die ersten Studenten haben die neue Campuskarte in einem Pilotversuch in der Tasche. Was die Studis nicht wissen: Welch spannende Technologie sich auf der Chipkarte und damit in ihrer Hosentasche befindet. Die so genannte RFID-Technik (Radio Frequency Identification) ermöglicht, mittels Radiofrequenzen die Datensätze ihres intelligenten Studentenausweises kontaktlos zu lesen – früher oder später auch völlig unbemerkt. Warum sitzt der BWL-Student X eigentlich im Privatissime des klandestin-marxistischen Dozenten Y? Studi Z ist offensichtlich eine Karteileiche, sein Chip wird jedes Jahr nur zweimal von den RFID-Sensoren registriert – bei der Rückmeldung.

In den Augen zukunftsbegeisterter Rektoren dürften schon die Euro-Zeichen aufblitzen. Die Debatte über das Ob von Studiengebühren ist ja so gut wie entschieden – für das Bezahlstudium. Und das komplizierte Wie der Erfassung etwa von Kreditpunkten für Studienkontenmodelle steht mit der Campuscard vor seiner Beantwortung. Denn für den individuellen Verbrauch der bald europaweit gültigen credit points braucht es keine Superbürokratie, sondern nur die Fortentwicklung des intelligenten Studi-Ausweises.

Die TU sieht in dem Projekt andere Ziele. Sie will, so wirbt die Uni, „ihre Verwaltungsprobleme effektiv lösen“ und „Serviceleistungen für Studenten optimieren.“ Es gebe nur Vorteile, betonen die Ingenieure. Studierende müssten nicht mehr Schlange stehen, Öffnungszeiten gehörten für sie der Vergangenheit an, die gelbe alte Post fällt für die administrative Kommunikation mit der Uni weg. Die neue Karte könnte in naher Zukunft nahezu alles: von der elektronischen Geldbörse für Mensa, Semesterticket und Gebührenkonto über den digitalen Bibliotheksausweis bis hin zu Prüfungsanmeldung – und Exmatrikulation.

Klaus Nagel ist der technische Leiter des Experiments an der TU. Er gibt Entwarnung: Der Chip des neuen Ausweises sei bislang nur dann lesbar, wenn er wenige Zentimeter an den Lesegeräten vorbeigeführt werde. Obendrein sei das Speicherelement verschlüsselt. Der zuständige Landesdatenschutzbeauftragte Berlins, Hanns-Wilhelm Heibey, ist weniger optimistisch. Er sieht Handlungsbedarf, ehe die neue Technologie zur Anwendung komme. Es gebe „viele ungeklärte Fragen“, sagte er der taz.

Amerikanische Verbraucherschützer haben ihr Big-Brother-Erlebnis mit RFID bereits gehabt. Als ein Hersteller seine Waren mit den „intelligenten Produktetiketten“ (den RFID-Chips ) auszeichnete – und parallel dazu Kameras installierte. Wer mit dem entsprechendem Produkt zur Kasse schritt, hatte die Ehre, sich in der Kundenkartei des Herstellers wiederzufinden – samt Foto.

Auch die studentische Wirklichkeit Orwell’scher Visionen gibt es bereits. In New York wurde Studenten als Immatrikulationsansporn für die New York University unlängst die „NYU Card“ ans Herz gelegt. Nicht ganz so futuristisch wie die RFID-Technologie, schafft selbst die herkömmliche Chipkarte dort vor allem eines: Die Dollarscheine zum Marsch auf das Universitätskonto zu bewegen. „Deine NYU Card ist viel mehr als nur eine Identifikationskarte – es ist deine Eintrittskarte zu einer überwältigenden Auswahl von On- und Off-Campus Discounts!“, so lautet die Werbung für den scheckkartengroßen Pflichtbegleiter. Fast jeder Student nutzt den Service: Einfach an Automaten mit Geld aufladen, schon kommt man in den Genuss etlicher Rabatte in den diversen Shops und Restaurants der Uni.

Im Bücherladen der NYU gehen Kommerz und Überwachung Hand in Hand: Einmal die Karte durch das Lesegerät gezogen, spuckt der angeschlossene Computer durch einen Abgleich mit den Kursen, für die sich der Student angemeldet hat, alle benötigten Bücher aus – die im Bookstore abholbereit liegen.

Die Uni profitiert doppelt: Zum einen animiert sie die Studenten, ihr Geld auf dem Campus zu lassen. Zum anderen kassiert sie Provisionen von jenen Händlern, die auf dem Campus ihre Produkte anbieten wollen.

Erst recht nach dem 11. September 2001 wurden an der Uni die Überwachungsmöglichkeiten der Karte ausgeschöpft. Überall muss der ahnungslose Student die – im Vergleich zu Berlins Modell antiquierte – Magnetkarte durch irgendwelche Leseschlitze ziehen: Im NYU-Bus, zum Einlass in Gebäude, Ausleihen von Büchern, einloggen ins Internet und sogar zum Eintritt ins Wohnheim. Bewaffnete Security-Männer sehen dabei zu.

Dank RFID ist dies alles demnächst gar nicht mehr nötig. Ist die Technik weit genug, kann der Ausweis getrost in der Tasche bleiben. Und die Observation der Studenten beginnen. Ohne dass der davon etwas mitbekommen muss, kann die Uni-Maschinerie dann ganz genau wissen, wer wann wo was wie lange macht – in den USA durch Terrorangst längst legitimiert.

Berliner Studenten werden in diesen Tagen aufgefordert, ihren alten Pappausweis umzutauschen gegen die High-Tech-Lösung. Alternativen haben sie nicht. Und von den ungeahnten Möglichkeiten erfahren sie kein Wort. Was ihr Kärtchen alles weiß, werden sie dann später erfahren. Wenn die Werbung plötzlich zum Interesse passt. Oder – wer nicht artig war – zur Exmatrikulation.

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