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Arzneitests an Kindern

Seit langem schon fordern Mediziner mehr Medikamente für Kinder. Eine Änderung des Gesetzes soll jetzt die Prüfung von Arzneimitteln für Minderjährige erleichtern

Kranke Kinder sollen nach Plänen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) verstärkt an Medikamententests teilnehmen, die ihnen weder Heilung noch Linderung bringen können. Dies sieht ein Referentenentwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) vor.

Gegenwärtig dürfen minderjährige PatientInnen nur dann zum Mitmachen bei einer Arzneimittelprüfung animiert werden, wenn ein gesundheitlicher Vorteil für sie wahrscheinlich ist. Diese Voraussetzung würde laut BMGS-Entwurf entfallen; künftig soll es reichen, wenn ein „direkter Nutzen“ für „die Patientengruppe“ zu erwarten ist, „der diese Person angehört“.

Diese interpretierbare Formulierung ermöglicht zum Beispiel, kranke Kinder als Kontrollgruppe zu nutzen, um Aufschluss über Wirkungen und Nebenwirkungen des Testpräparats zu bekommen: Während ein Teil der ProbandInnen das zu prüfende Arzneimittel erhält, wird der Kontrollgruppe ein Placebo verabreicht; anschließend wird untersucht, ob und wie sich das Krankheitsbild bei allen Teilnehmenden verändert hat.

Die geplante AMG-Reform, mit der Rot-Grün eine ab Mai 2004 anzuwendende Richtlinie der Europäischen Union umsetzen würde, wird von diversen forschenden Kinderärzten seit Jahren angemahnt. Nach Darstellung des Marburger Professors Hannsjörg W. Seyberth gibt es für circa 70 Prozent der in der Kinderheilkunde eingesetzten Medikamente „keine gesicherten wissenschaftlichen Daten“ – mangels Studien müssten sich Kinderärzte bei der Arzneimittelverordnung schlicht auf Erfahrungswerte verlassen. „Das Fehlen einer klinischen Prüfung im Kindes- und Jugendalter“, behauptet Seyberth, „führt dazu, dass bestimmte Arzneimittel im Kindesalter nicht angewendet werden und damit Kindern potenziell wirksame Arzneistoffe vorenthalten werden.“

Weniger dramatische Töne verbreitet der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Nach seiner Einschätzung stehen für häufige Erkrankungen „genügend zugelassene Präparate zur Verfügung“, allein im Jahr 2002 seien im EU-Gebiet 19 neue Medikamente für Kinder auf den Markt gekommen. Defizite sieht der VFA bei der Versorgung Frühgeborener und „bei Erkrankungen, die bei Kindern nicht häufig auftreten“ – etwa Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes. Hier müssten Kinderärzte auf Präparate zurückgreifen, die nur für Erwachsene offiziell zugelassen sind.

Von der geplanten AMG-Novelle erhofft sich der VFA durchaus wirtschaftliche Vorteile für seine 44 Mitgliedsunternehmen. So könnten auch ältere Arzneimittel, bei denen der Patentschutz längst abgelaufen ist, wieder lukrativ werden, wenn es den Herstellern gelingt, mit Hilfe neuer Studien eine spezifische Dosierung oder Darreichungsform für Kinder zu entwickeln.

KLAUS-PETER GÖRLITZER

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