: 120 Tote in 48 Stunden bei Kämpfen im Irak
Der radikale Schiitenführer al-Sadr verschanzt sich in Nadschaf. UNHCR setzt Flüchtlingsrückführung aus
BAGDAD ap/dpa/afp/rtr ■ Nach der Androhung eines Aufstandes durch den radikalen Schiitenführer Muktada al-Sadr ist es im Irak erneut zu Feuergefechten zwischen Milizionären des Geistlichen und Koalitionssoldaten gekommen. Binnen 48 Stunden kamen dabei mehr als 120 Menschen ums Leben. Die Auseinandersetzungen erstreckten sich vom britisch kontrollierten Basra im Süden des Landes über das unter spanischer und italienischer Kontrolle stehende Kernland der Schiiten bis in die Hauptstadt Bagdad hinein.
Al-Sadr verschanzte sich derweil in der heiligen Stadt Nadschaf. Der Geistliche, der von den US-Truppen wegen der Ermordung eines schiitischen Würdenträgers vor einem Jahr gesucht wird, hatte sich zuvor zwei Tage lang in einer Moschee in Kufa aufgehalten. Der Schiitenführer habe mit der Verlegung seines Quartiers nach Nadschaf Blutvergießen in der Moschee vermeiden wollen, sagte ein Vertrauter al-Sadrs.
Scheich Kais al-Chasali, ein Sprecher des jungen Geistlichen, warnte die US-Armee davor, al-Sadr zu töten. „Wenn al-Sadr umgebracht wird, stehen tausende Märtyrer bereit“, sagte er. Großajatollah Ali al-Sistani kritisierte das Vorgehen der Besatzungstruppen gegen die Anhänger al-Sadrs. Gleichzeitig forderte er die radikalen Schiiten zu Ruhe und Selbstbeherrschung auf. Die Forderungen der Demonstranten seien legitim, sie könnten aber auch durch Verhandlungen durchgesetzt werden, hieß es in einer Erklärung.
In Nassirija wurden bei Auseinandersetzungen etwa 15 Iraker getötet und 12 italienische Soldaten leicht verletzt, wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa mitteilte. Die Gefechte begannen den Besatzungstruppen zufolge, als Angehörige von al-Sadrs Miliz am frühen Morgen Militärpatrouillen beschossen, die in der Stadt verstärkt worden waren. Während der seit Samstag anhaltenden Proteste brachte al-Sadrs Miliz in Nassirija mehrere Brücken über den Euphrat unter ihre Kontrolle und stoppte Konvois mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern.
„Die Stadt war zweigeteilt, und die Brücken waren unter ihrer Kontrolle. Wir mussten einschreiten und die Situation klären, bevor die Lage eskaliert“, sagte der Sprecher der italienischen Truppe. Den Angaben zufolge kämpften auf der Seite der Miliz weniger als hundert Mann.
In Falludscha begannen US-Truppen eine umfassende Militäraktion, in der Gegend kamen nach Angaben der Streitkräfte vier Soldaten und sechs Iraker ums Leben. Dort waren bis zum Morgen Explosionen und Schüsse zu hören. Hunderte US-Soldaten und irakische Sicherheitskräfte riegelten die Stadt weiterhin ab. In einem Stadtteil lieferten sich US-Marineinfanteristen Gefechte mit Aufständischen. Ein Soldat verbrannte in einem Auto, wie ein Augenzeuge berichtete. Truppen führten in mehreren Häusern und einer Moschee Razzien durch.
Angesichts der verheerenden Sicherheitslage hat das UN-Flüchtlingshilfswerk die Rückführung irakischer Flüchtlinge aus Iran vorübergehend eingestellt. Ein UNHCR-Sprecher erklärte, vor dem Sturz Saddam Husseins seien rund 202.000 Iraker in das Nachbarland ins Exil gegangen. Bisher hat das UNHCR dreimal wöchentlich Konvois nach Basra organisiert.
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