: Letzte Hoffnung Karlsruhe
Die Studierenden warten auf das ultimative Urteil: Verfassungsrichter sollen bundesweites Veto gegen Uni-Gebühren zementieren. Unionsländer kämpfen – wieder mal – für den Föderalismus
von CHRISTIAN RATH
Der Streit um Studiengebühren hat eine neue Qualität erreicht. Sechs Bundesländer haben die Gebührenfrage jetzt zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe getragen. Sie halten das vergangenen Sommer von Rot-Grün eingeführte bundesweite Verbot von Studiengebühren für verfassungswidrig. Der Bundestag hätte ein solches Gesetz nicht beschließen dürfen, argumentieren sie.
Die sechs klagenden Länder sind derzeit alle unionsregiert: Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. SPD-Länder haben sich der Klage nicht angeschlossen, obwohl es auch dort lebhafte Diskussionen über die Notwendigkeit des bezahlten Studiums gibt. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) etwa hatte sich kürzlich dafür ausgesprochen, war aber wenige Tage später vom SPD-Landesparteitag zurückgepfiffen worden.
Verankert ist das Gebührenverbot im Hochschulrahmengesetz (HRG), dessen 6. Novelle die Länder mit ihrer Klage angreifen. Die Klageschrift hat der renommierte Leipziger Rechtsprofessor Christoph Degenhart formuliert, der seit Jahren an der Seite der Union gegen ein Gebührenverbot streitet.
Degenhart argumentiert föderalistisch. Er verweist auf eine Grundgesetzänderung von 1994, mit der die Länder ausdrücklich gestärkt werden sollten. In vielen Bereichen kann der Bund seither Gesetze nur noch erlassen, „wenn und insoweit“ das zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse oder zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erforderlich ist.
Der Bund sieht sich genau auf dieser Spur. Das Verbot diene der Herstellung von einheitlichen Lebensverhältnissen, betont Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). Schon die Diskussion um Uni-Gebühren habe junge Menschen samt Eltern verunsichert, die Studierneigung drohe im ganzen Bundesgebiet zu sinken. Das Gebührenverbot schaffe dagegen Rechtssicherheit für alle. Hätten einzelne Länder Gebühren eingeführt, wäre für viele junge Leute die freie Wahl des Studienortes gefährdet gewesen. Sie hätten ihre Wahl nicht nach Studienneigung und Angebot, sondern nach Gebühren getroffen.
„Das Grundgesetz geht nicht von identischen, sondern von gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Ländern aus“, hält Christoph Degenhart dem entgegen. Die befürchtete soziale Auslese könne durch eine „sozialverträgliche“ Gestaltung von Studiengebühren verhindert werden. So müssten „nachlaufende“ Studiengebühren erst nach dem Studium und nur bei beruflichem Erfolg bezahlt werden. Stipendien könnten Begabte aus bildungsferneren Schichten gezielt fördern.
Doch selbst wenn man unterstellt, dass ein Verbot einheitliche Lebensverhältnisse sichern könnte, so muss es laut Grundgesetz auch „erforderlich“ sein. Und hier könnte Karlsruhe in Rechnung stellen, dass sich im Sommer 2000 die Kultusminister aller Länder für ein gebührenfreies Erststudium ausgesprochen hatten.
Der Bund hält diesen „Meininger Beschluss“ aber wohl zu Recht nicht für ausreichend, da der angestrebte verbindliche Länder-Staatsvertrag gar nicht zustande kam. Im Gegenteil setzte in vielen Ländern direkt nach dem Kultusministerbeschluss eine neue Diskussion über Uni-Gebühren ein – so als ob nichts gewesen wäre.
Kritisiert wird von Degenhart schließlich, dass sich der Bund in der 6. HRG-Novelle nicht auf „Rahmenvorschriften“ beschränkt habe. Das Verbot von Studiengebühren sei eine unzulässige „Vollregelung“. Die CDU-Länder können hier ebenfalls auf eine 1994 eingeführte Grundgesetzbestimmung verweisen: „Rahmenvorschriften dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende (...) Regelungen enthalten“, heißt es in Artikel 75. Doch der Bund bestreitet, dass den Ländern jeder Spielraum für Studiengebühren genommen werde. „Sie können immer noch Gebühren für ein Zweitstudium erheben, ebenso für Langzeitstudierende“, erläutert ein Sprecher Bulmahns. Als zulässig gilt auch die Beteiligung der Studierenden an den Verwaltungskosten der Hochschulen, solange die Lehre kostenlos bleibt.
Kaum abzuschätzen, wie das Bundesverfassungsgericht den Streit um das Gebührenverbot entscheiden wird. Traditionell hat Karlsruhe dem Bund einen „weiten Einschätzungsspielraum“ für das Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung eingeräumt. Nach der Grundgesetzänderung von 1994 hat das Gericht allerdings angekündigt, künftig strenger zu prüfen.
Gut möglich, dass Karlsruhe zwar das Gebührenverbot bestehen lässt, dafür aber eine andere Regelung der 6. HRG-Novelle kassiert. Bis 2005 müssen demnach alle Länder eine „verfasste Studierendenschaft“ einführen. Damit müssten auch Bayern und Baden-Württemberg ihren Studierendenvertretungen Satzungs- und Finanzautonomie einräumen. Bisher ist dort nur eine eingeschränkte Vertretung der Studis möglich. Der Bund begründete seine Regelung, nur so könne ein bundesweiter Ansprechpartner auf Studierendenseite aufgebaut werden. Ziemlich eindeutig ist das nur ein Vorwand, um die restriktiven Regelungen Bayerns und Baden-Württembergs auszuhebeln.
Wann Karlsruhe über die Gebührenfrage entscheidet, steht noch in den Sternen. Es kann durchaus einige Jahre dauern, bis sich das Gericht der Sache annimmt. Die Unionsländer haben auch keinen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, schließlich wollen sie offiziell ja noch keine Studiengebühren einführen, sondern nur „darüber nachdenken dürfen“. Solange aber die Länder keine Eile haben, wird Karlsruhe sich wohl eher anderen Dingen widmen. Bis auf weiteres gilt also das rot-grüne Verbot von Studiengebühren.
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