: Das kurze Berliner Drama
Ein Jubiläum, das keines ist: Vor 200 Jahren weilte Friedrich Schiller in Berlin. Es war sein einziger Aufenthalt in der Stadt. Heute erinnern das Schillerdenkmal und dessen Kopien an den Dichter
VON WALTRAUD SCHWAB
Prolog: Genau vor 200 Jahren war Schiller, der Friedrich Schiller, in Berlin. Im Hotel de Russie, Unter den Linden, logiert er. Schiller ist in der preußischen Hauptstadt, um vorstellig zu werden. Denn „dass ein längerer Aufenthalt in Berlin mich fähig machen würde, in meiner Kunst voranzuschreiten“, das bezweifele er keinen Augenblick, schreibt der 44-Jährige in einem Brief. Finanzielle Vorteile erhofft sich der Dichter von einem Wechsel nach Berlin allerdings auch.
Weggehen aus Weimar, das 6.000 Einwohner zählt, und in die Großstadt ziehen, in der damals 180.000 Menschen leben, diesem Ansinnen geht Schiller in Berlin auf hohem Niveau nach. In den Tagen zwischen dem 1. und dem 17. Mai 1804 diniert er mit Prinz Louis Ferdinand, stattet dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte einen Besuch ab, verweilt im Salon von Henriette Herz. Er lässt sich von August Wilhelm Iffland, dem Direktor des National-Theaters am Gendarmenmarkt, bewirten, von Königin Luise empfangen und von Johann Gottfried Schadow zeichnen, um nur einige Begegnungen zu nennen. Hin und wieder gibt es zudem kulturelle Darbietungen zu besuchen, unter anderem Inszenierungen seiner eigenen Stücke.
Szenen- und Zeitenwechsel: Mitten auf dem Gendarmenmarkt steht ein Denkmal. Die erhabene Gestalt auf dem Sockel hat sich die Jacke über die Schulter geworfen. Komplexere Zeichen von Nonchalance oder Unangepasstheit weist der Mann nicht auf. Sein Blick ist nach Osten gerichtet, seine Mimik ist alterslos. In seinem Rücken steigt die Freitreppe zum Konzerthaus an. Beliebter Treffpunkt für Menschen, die die Stadt besuchen, ist es. In der Mitte wird an diesem Donnerstagnachmittag ein blauer Teppich über die Stufen gelegt, auf den gelbe Europa-Sterne geklebt werden. Daneben ruht sich eine Gruppe Schülerinnen aus. Sie scherzen dreisprachig miteinander. Wörter wie „franchement“, „amoureuse“ und „attention“, Satzfragmente wie „I will get you“, „il faut regarder“, „du hast keine Ahnung“ schallen von ihnen hinüber zu dem steinernen Löwen am Rand der Treppe, vor dem sich eine Reisegruppe aus Salzwedel zum Gruppenfoto aufstellt.
Von der Treppe aus ist der Blick frei über den Gendarmenmarkt. Der steinerne Mann, der sichtbar dem Höheren zustrebt, ist passende Dekoration mitten auf dem präsentablen Platz im Zentrum Berlins. Dass es Schiller sein soll, der hier auf dem Sockel steht – na und?
Zu Füßen des Dichters hockt ein in Stein gehauenes Musenquartett: Drama, Poesie, Historie, Philosophie. Die ersten drei kommen als junge Frauen daher. Warum die Figur, die die Philosophie darstellt, alt ist, verhärmt und schwer, dies bleibt das pessimistische Geheimnis des Bildhauers Reinhold Begas.
Ein Touristenpaar flaniert um das Denkmal herum. „Ach, das ist Schiller“, sagt der grauhaarige Mann zu seiner Gefährtin, als er den Namen vorne auf dem Sockel liest. Die beiden blicken nach oben in das Gesicht des Dichters. Der Frau tun die Füße weh. Sie stützt sich auf die schmiedeeiserne Einfassung, die das Denkmal schützt, und lässt sich die Waden von ihrem Partner massieren.
Zeit- und Ortswechsel: Seit 1871 steht das Denkmal auf dem Platz. Nicht immer zwar, weil die deutsche Geschichte eine gebrochene ist. In den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts steht Schiller den Nazis im Weg. Statt Gedankenfreiheit und Kunst wollen sie hier lieber militärische Aufmärsche sehen. Als Ersatz für den abgebauten Schiller wird 1941 ein Bronzeabguss des Denkmals im Schillerpark im Wedding eingeweiht.
Die Originalstatue taucht erst zehn Jahre später in West-Berlin wieder auf und wird ohne die vier Musen im Lietzenseepark aufgestellt. Um der zwangsweise abgetrennten Osthälfte der Stadt politischen Respekt zu zeigen, übergibt West-Berlin 1986 das Denkmal an Ost-Berlin, damit es den dortigen Wiederaufbau des kriegszerstörten Gendarmenmarktes kröne. Im Lietzenseepark aber wird eine Kunststeinreplik aufgestellt. Der deutschen Geschichte ist es demnach geschuldet, dass das Schillerdenkmal drei Mal in Berlin steht.
Themenwechsel: Zum geplanten Umzug Schillers nach Berlin ist es nach seinem Besuch 1804 nicht gekommen. Der Dramatiker ist bereits ein kranker Mann. Auch sein Aufenthalt ist ihm vergällt: „Ich war 8 Tage in Berlin krank und für alles verdorben. Die Reise, das üble Wetter, und die Zerstreuungen der ersten Tage hatten mir eine gänzliche Erschöpfung und ein catarrhalisches Fieber zugezogen“, schreibt er in einem Brief.
Bereits ein Jahr später stirbt der Dichter 45-jährig. Viele Berliner und Berlinerinnen sind geschockt, denn Schillers Dramen sind ein Sprachrohr für Leute, die die autoritäre Obrigkeit in Frage stellen.
Schon kurz nach dem Tod des Dichters werden Forderungen nach einem Schillerdenkmal mitten auf dem Gendarmenmarkt laut. Aber die Frage „Schiller oder Goethe?“ ist, was 150 Jahre später „Beatles oder Rolling Stones?“ sein mag. Eine zweite Gruppe fordert deshalb auch ein Monument für Goethe auf dem Platz und macht den Schillerverfechtern die zentrale Positionierung ihrer Ikone dort streitig. Als eine andere Lobby-Gruppe zudem eine Statue für Lessing haben will, rückt Schiller doch wieder in die Mitte. Im Schatten solcher Differenzen können Jahrzehnte vergehen.
Schiller hat die Streitereien posthum unbeschadet überstanden. Sein hundertster Geburtstag 1859 wird in vielen Städten zum Anlass für Demonstrationen genommen, auf denen bürgerliche Freiheiten eingefordert wurden. Auch in Berlin ist ein Fest geplant. Die preußische Obrigkeit verbietet es. Um die Gemüter zu besänftigen, gibt der Magistrat jedoch bekannt, dass man an besagtem Tag den Grundstein legen wolle für das Schillerdenkmal auf dem Gendarmenmarkt. Die Bevölkerung ist zu dieser Honoratiorenveranstaltung nicht zugelassen. Dennoch sammeln sich in den Seitenstraßen 50.000 Menschen. Abends soll es dabei zu Ausschreitungen gekommen sein. Aufgestellt wird das Denkmal erst zwölf Jahre später kurz nach der Reichsgründung.
Epilog: „Schiiil-leer“ entziffert ein kleines Mädchen den Namen auf dem Sockel des Denkmals auf dem Gendarmenmarkt. „Was heißt Schiil-leer“, fragt es seine Mutter. „Das ist halt der Name für den Mann da oben“, antwortet diese und deutet auf die steinerne Figur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen