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Der Friede hat in Grosny keine Chance

Am 29. August sollen die Tschetschenen einen Nachfolger für den ermordeten moskautreuen Präsidenten Achmed Kadyrow wählen. Dessen Clan ist im Volk verhasster denn je. Derweil sucht der Moskauer Kreml nach seinem Wunschkandidaten

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

„Wenn ich diese Streitkraft sehe, erinnere ich mich an alte Zeiten. Hätten wir nicht früher die Wahhabiten in die Enge treiben können?“, fragte Mohammed Chambijew. Er sprach zu den Milizen in Grosny, die der Sohn des ermordeten tschetschenischen Präsidenten, Ramsan Kadyrow, befehligt. „Ich bin bereit, mit Ramsan Kadyrow bis zum Ende zu gehen – Allah akbar.“

Chambijew ist nicht irgendein Kommandeur. Bis April war er Verteidigungsminister des vertriebenen tschetschenischen Präsidenten, Aslan Maschadow, dann lief er zum moskautreuen Regime der Kadyrows über. Nicht freiwillig. Die Kadyrow-Milizen hatten dutzende Männer seines Clans gekidnappt und mit ihrer Liquidierung gedroht.

Das Regime in Grosny feierte den Fang. Chambijews Reuebekenntnis sendete Moskau über alle Kanäle. Haben der Kreml und dessen Statthalter einen ergebenen Verbündeten gewonnen? Am 9. Mai wurde Achmed Hadschi Kadyrow in die Luft gesprengt. Die Vermutung, die Attentäter stammten aus seiner engeren Umgebung, ist nicht unwahrscheinlich. Chambijews Schicksal ist kein Einzelfall. „Töten können sie uns, aber nicht erniedrigen“ ist ein ehernes Gesetz des tschetschenischen Ehrenkodex. Wer sich nicht daran hält, wird mit dem Tod büßen müssen. Blutrache und Gewohnheitsrecht schreiben dies vor.

Das ethische Fundament, das das Volk jahrhundertelang vor dem Untergang bewahrte, geriet in den letzten 10 Kriegsjahren ins Wanken. Die Jugend wendet sich dem radikalen Islam zu, da sie die Erniedrigung, die die Vätergeneration in ihren Augen hinnimmt, als Schmach empfindet. Die Zersetzung der Gesellschaft von innen ist nur ein Nebenprodukt der russischen Strategie, den Konflikt zu „tschetschenisieren“. Achmed Kadyrow führte die Aufgabe auf Geheiß des Kremls aus, während Ramsans Milizen (zwischen 3.000 und 6.000 Mann) das Land mit Terror überzogen. Jüngste Berichte der UN-Menschenrechtskommission und Human Rights Watch besagen: Entführungen, Morde und Vergewaltigungen haben erneut erschreckend zugenommen.

Vordergründig hat sich die Lebenssituation der Bürger Grosnys verbessert. Schulen nahmen ihre Arbeit wieder auf, Geschäfte und Cafés wurden eröffnet. Unter dieser Oberfläche bleibt die Gesellschaft gespalten. Was sie rudimentär vereint, ist die Verachtung der Kadyrows, die sich mithilfe Moskaus bereichern, an Wiedergutmachungsgeldern, Aufbauhilfen und dem Öl, das der Exmufti den Militärs streitig machen wollte. Mutmaßungen, sie könnten hinter dem Anschlag stecken, sind nicht abwegig.

Nach fünf Jahren Befriedungspolitik ist so viel Normalität in Grosny eingezogen, dass Präsident Wladimir Putin heimlich eine Kurzvisite nach dem Attentat wagen konnte. Erstaunt stellte er fest, vom Hubschrauber aus sehe Grosny schrecklich aus. Nun fahndet Moskau nach einem Nachfolger, die Präsidentenwahlen finden am 29. August statt. Kadyrow-Spross Ramsan bietet sich an. Der Kreml ernannte ihn zum Vizeregierungschef. Dass er mit 27 Jahren noch nicht wählbar ist – die Verfassung schreibt ein Mindestalter von 30 Jahren vor – wäre für Moskau kein Hindernis.

Ramsan ist im eigenen Volk verhasster als sein Vater. Er würde jeden, der den Kopf zu heben wagt, aus dem Weg räumen, glauben selbst kremlfreundliche Beobachter. Ramsan hat auf die Kandidatur verzichtet. Er weiß, dass jedes neue Oberhaupt ohne seinen und Moskaus Segen keinen Schritt wagen wird.

Folgt der Kreml den Militärs und übernimmt direkt die Regie in Tschetschenien, hätte Putin sein Scheitern eingestanden. Die Entmachtung Ramsans und der Milizen würde einen neuen Brand entfachen. Drei Kontrahenten stünden sich gegenüber: der loyale Rest der Kadyrow-Milizen, Maschadows Separatisten und das russische Militär.

Ein Wiederaufflackern des Bügerkrieges scheint unabwendbar. Solange Ramsan sein Unwesen treibt, besteht keine Aussicht auf Normalisierung. Der Kadyrow-Spross muss entmachtet werden. Das verursacht Probleme, von denen auch der Kreml nicht verschont bliebe. Zumindest müsste Putin Fehler einräumen und sich dem Gespräch mit den Kräften der Guerilla öffnen. Geschieht dies nicht, droht Russland weiter zu verrohen. Unterdessen verbreiten die Rebellen auf der Website „Kavkazzentr“: „Man muss nicht Nostradamus sein, um das Schicksal Ramsan Kadyrows vorauszusagen“. Moskau sollte ihnen zuvorkommen.

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