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Unwillkommener Heimkehrer

Ausgrenzungserfahrungen eines Emigrierten: Erste öffentliche Dramatisierung des Weiss‘schen Nachlass-Textes „Inferno“ im Polittbüro

Als der Schriftsteller Peter Weiss im Winter 1964 anlässlich des Frankfurter Auschwitz-Prozesses das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau besuchte, bündelte er in seinem wenige Wochen später erschienenen Text „Meine Ortschaft“ seine Erfahrung in dem Satz: „Es ist eine Ortschaft, für die ich bestimmt war und der ich entkam.“

Es ist die Überlebenserfahrung des aus ungarisch-jüdischer Familie stammenden Schriftstellers, der in der Nähe von Berlin geboren ist und 1934 mit 18 Jahren von Deutschland nach Schweden emigrieren musste. Zurückgekehrt nach Deutschland ist Weiss nie, auch wenn er zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern nach 1945 gehört.

Mögliche Motive für das schwierige Verhältnis zu Deutschland liefert nun der aus dem Nachlass veröffentlichte Text Inferno, der in engem Kontext zu seinem Stück Die Ermittlung steht. Darin verarbeitete Peter Weiss in einer Adaption von Dantes Göttlicher Komödie seine Eindrücke aus den Besuchen des Auschwitz-Prozesses, jenen Ort umkreisend, dem er entkam. In Inferno hingegen kehrt der Protagonist in jene Stadt zurück, von der aus er ins Exil fliehen musste. Willkommen ist der Heimkehrer allerdings nicht. Vielmehr wird ihm bedeutet, „dass er hier mitzuspielen hat und uns nicht immer in die Quere kommt mit seinen Eigenbrötlereien“. Die hier verdichtete Ausgrenzungserfahrung, von Weiss 1964 niedergeschrieben, mutet geradezu hellsichtig an. Keine zwei Jahre später notiert Weiss in seinen Notizbüchern: „... was ich denn für ein Recht hätte, auf diese Weise politisch Stellung zu nehmen Hätte auch über die deutsche Fragen schon viel zuviel gesagt. Wo ich denn während des Krieges gewesen wäre ...“

Es sind keine geringern als Hans-Werner Richter und Günther Grass, die ihren Schriftstellerkollegen anlässlich der Tagung der Gruppe 47 im April 1966 in Princeton für die Teilnahme an einem Vietnam-Sit-In derart abkanzeln. Richter und Grass repräsentieren damit durchaus eine Erinnerungskultur, die sich im Zweifelsfall in das Leid der Deutschen noch immer unmittelbarer einzufühlen weiß, als Anteilnahme für die Millionen Opfer der Vernichtungslagern und des Krieges der Wehrmacht aufzubringen. Die Zeit seit 1945 sei an ihnen wie Regenwasser abgelaufen, resümiert Weiss in einem Nachsatz.

Im Rahmen der Vers- und Kaderschmiede im Polittbüro wird heute Abend das Stück Inferno unter anderem von Lisa Politt, Rolf Becker, Michael Weber und Sylvia Wempner in einer szenischen Lesung erstmals öffentlich dramatisiert. Ein Stück deutscher Nachkriegsliteratur, das 40 Jahre nach seiner Niederschrift aktueller denn je ist.

Andreas Blechschmidt

heute, 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45

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