piwik no script img

Noch normales Leben

Pilotabschluss im Einzelhandel: Arbeitgeber und Gewerkschaften vereinbaren Freizeitausgleich für verkaufsoffene Samstage

„Wenn die Leute kein Geld haben, dann auch nicht Samstag um halb acht.“

aus Hamburg KAI VON APPEN

Die Schranke ist überwunden: Für Mehrarbeit an Samstagen nach dem neuen rot-grünen Ladenschlussgesetz der Bundesregierung bekommen die rund 70.000 VerkäuferInnen und KassierInnen in Hamburg nun einen Ausgleich. Sie bekommen einen garantierten freien Samstag im Monat und Zuschläge allgemein für Mehrarbeit in den jetzt gesetzlich erlaubten Abendstunden an Wochentagen.

Damit ist der Gewerkschaft ver.di in der Hansestadt ein Pilotabschluss im bundesdeutschen Einzelhandel gelungen, der auch für Bremen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern Bedeutung erlangen wird. „Wir sind uns sicher, dass wir es mit diesem Ergebnis den Beschäftigten im Handel ermöglichen, selbst unter erschwerten Bedingungen die Arbeit im Einzelhandel mit einem normalen Leben zu verbinden“, erklärte Ulrich Meinecke, Verhandlungsführer der Gewerkschaft.

Die Tarifparteien in den meisten Regionen signalisierten bereits gestern ihre Bereitschaft, sich zumindest in Eckpunkten an der Einigung mit moderaten Gehaltssteigerungen und deutlichen Zuschlägen für Samstags-Arbeit zu orientieren. In Niedersachsen wollen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften, so erklärten beide Seiten, nach diesen Zahlen richten.

Wer samstags arbeiten muss, erhält für die Zeit von 14.30 Uhr bis 20 Uhr Zeitzuschläge von 20 Prozent. Ausgenommen davon sind die vier Weihnachtssamstage. Diese Zeitzuschläge werden auch in der Woche von 18.30 bis 20 Uhr angerechnet. „Damit wird die Arbeitszeit faktisch von 37,5 auf 36 Stunden verkürzt“, erläuterte der ver.di-Fachmann. Die Arbeitgeber haben sich dabei zu einer exakten Zeiterfassung verpflichtet, „wenn der Beschäftigte es wünscht“. Nur wenn der Arbeitgeber mitspielt, kann der Zeitbonus auch in Geld ausbezahlt werden.

Die Gewerkschaft ver.di hatte in Hamburg bis zuletzt der Forderung nach abendlichen Öffnungszeiten Paroli geboten. Denn längere Öffnungszeiten bedeuten nach ihrer Ansicht nicht automatisch mehr Umsatz – und schon gar nicht mehr Arbeitsplätze. „Wenn die Leute kein Geld haben, dann auch nicht Samstag um halb acht“, so Meinecke. Dennoch schwenkte die Gewerkschaft um. Als sie merkte, dass der rot-grüne Regierungszug bereits abgefahren war, hieß die neue Parole: Wenn schon Wochenendarbeit, dann wenigstens mit Wochenendausgleich.

In den Kaufhäusern in der Hamburger Innenstadt nahmen die Betroffenen die Einigung mit gemischten Gefühlen auf. „Es war klar, dass es nicht weiter so geht“, sagt eine Kassiererin vom Kaufhof. „Aber ich kann mit meiner Tochter am Wochenende kaum noch etwas unternehmen.“

Dass der bundesweite Pilotabschluss in Hamburg zustande kam, mag verblüffen, denn Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gelten als die Vorreiter. Plausibel ist er indes schon. Denn ver.di hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem in der Hanse- und Handelsstadt beträchtliche gewerkschaftliche Aufbauarbeit geleistet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen