kommentar: Schilys Polizeireform macht Länder bockig – und ist zum Scheitern verurteilt
Die Vorschläge von Otto Schily sind radikal: Der Bund soll künftig Gesetze zur Abwehr von Terrorgefahren und gegen organisierte Kriminalität erlassen können. Die Landeskriminalämter und die Ämter für Verfassungsschutz sollen dem Bund zugeschlagen werden. Den Ländern bliebe nur das polizeiliche Alltagsgeschäft: Ladendiebstähle und Wirtshausschlägereien.
Aus bürgerrechtlicher Sicht ist das nicht per se zu verdammen. Der Bund ist nicht automatisch repressiver als Länder wie Bayern, Sachsen oder Hessen. Letztlich kommt es eben immer auf die politischen Mehrheiten an.
Es ist zwar eine der „Lehren aus dem Faschismus“, die Polizei dezentral zu organisieren. Hier wird aber oft Ursache und Wirkung verwechselt. Die Faschisten übernahmen die Macht, obwohl die Polizei vorher Ländersache war – zentralisiert wurde sie erst später. Entscheidend ist daher der Kampf für die Demokratie, nicht der für eine dezentrale Polizei. Auch zentralisierte Staaten wie Frankreich und Großbritannien sind demokratisch geblieben.
Wenn etwa der Verfassungsschutz zusammengefasst würde, könnte sogar manche Doppelspitzelei überflüssig werden. Konstellationen wie bei der NPD in Nordrhein-Westfalen, wo der Vorsitzende ein V-Mann des Landesamts war und sein Stellvertreter für das Bundesamt arbeitete, gehörten dann der Vergangenheit an.
Doch vermutlich wird sowieso alles beim Alten bleiben, gerade weil Schily so vehement vorprescht. Zwar mag es durchaus Sinn machen, in einem Bundesstaat namens Europa die deutschen Länder mittelfristig abzuschaffen – und somit auch die Polizei dem Bund zu zuordnen. Dafür ist die Zeit aber noch nicht reif. Im Moment geht es vielmehr darum, dass in Deutschland wieder Politik gemacht werden kann, dass die Mitspracherechte des Bundesrats zurückgedrängt werden und die Länder im Gegenzug einige Kompetenzen zurückbekommen. Darüber verhandelt seit einigen Monaten die gemeinsame Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat.
Die Zuständigkeit für die Sicherheit ist eine der letzten Kernkompetenzen der Länder. Darum belastet Schilys Vorstoß die Verhandlungen schwer. Die Länder werden bockig werden und sich an ihren Kompetenzen im Bundesrat festklammern. Am Ende könnte die Reform des Föderalismus scheitern und Schilys Polizeireform gleich mit. Weitsichtige Politik sieht anders aus.
CHRISTIAN RATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen