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Wer selbst lehren will, muss fliehen

Bis zu 1.000 Familien unterrichten bundesweit ihre Kinder selbst und verstoßen gegen die Schulpflicht. Die Neubronners gelten in der Szene als Vorzeigefall. Jetzt verlieren sie einen Prozess, wollen aber zur Not bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen

VON C. SPIESS UND W. SCHMIDT

Sie sind Deutschlands bekannteste „Homeschooling“-Familie. Seit Jahren schicken die Neubronners ihre Söhne nicht in die Schule, inzwischen sind die beiden zu Vorzeigeeltern einer Bewegung geworden, da sie nicht dem üblichen Bild von Schulverweigerern entsprechen: Mit religiösem Fundamentalismus hat ihr Schulboykott nichts zu tun.

Am Dienstag hat nun das Oberverwaltungsgericht Bremen entschieden: Was die Neubronners machen, ist und bleibt illegal. Die Familie darf ihre Söhne Moritz, 12, und Thomas, 9, nicht zu Hause unterrichten. Die Richter bestätigen damit das Urteil der vorherigen Instanz.

Nach Schätzungen unterrichten in Deutschland 500 bis 1.000 Familien ihre Kinder selbst. In Nordamerika und in den meisten europäischen Ländern ist Hausunterricht zumindest unter Auflagen erlaubt. In Deutschland hingegen bedeutet Schulpflicht nicht nur Unterrichtspflicht, sondern Schulbesuchspflicht. Wer dagegen verstößt, muss mit Bußgeld, Haft oder gar dem Entzug des Sorgerechts rechnen.

Moritz und Thomas werden nun wohl weiter in Südfrankreich bleiben. Dorthin ist Vater Tilmann Neubronner mit seinen Söhnen im letzten Jahr geflüchtet, aus Angst, die Behörden würden ihm und seiner Frau wegen des schon Jahre andauernden Schulstreits das Sorgerecht aberkennen. Mutter Dagmar Neubronner pendelt seither zwischen Frankreich und Bremen, wo sie einen kleinen Verlag hat.

Viel lieber kämen die beiden Jungen zurück nach Bremen, denn hier leben ihre Freunde, hier waren sie im Sportverein und sangen im Chor. Aber hier müssten sie eben auch zur Schule gehen. Doch darauf haben die beiden nach Angaben der Familie keine Lust – und die Eltern wollen sie nicht zwingen. Also unterrichten sie selbst. Dagmar Neubronner ist Diplombiologin, der Vater Tilmann Lehrer.

Das Problem mit der Schule begann 2003 mit der Einschulung von Moritz. Damals lebte die Familie noch im Allgäu und Moritz sollte die von den Eltern mitgegründete Montessorischule besuchen. Aber er wollte nicht mehr hingehen, klagte über Bauchschmerzen. Als die Familie 2005 nach Bremen umzog, versuchten sie es mit der staatlichen Grundschule. Doch auch dort gefiel es Moritz nicht. Und als sein Bruder in die Schule gehen sollte, wiederholte sich das Ganze.

2006 stellten die Eltern ein Gesuch an die Schulbehörde, die Kinder vom Schulbesuch zu befreien. Der Bescheid war negativ. Das erste Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat die Familie verloren, ebenso wie jetzt das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Bremen.

Die Neubronners wollen nun bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof. Doch auch in Karlsruhe dürften die Chancen gering sein. Im Mai 2006 hatten die Richter im Fall einer bibeltreuen Familie die allgemeine Schulpflicht bestätigt. Die „Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften“ solle verhindert werden. Nur die Klassengemeinschaft fördere den Dialog mit Andersdenkenden.

Der Bonner Bildungsforscher Volker Ladenthin findet, man solle Hausunterricht unter bestimmten Auflagen erlauben – nach dem Vorbild Österreichs. Dort dürfen Eltern in Ausnahmefällen ihre Kinder zu Hause unterrichten; der Staat kontrolliert, ob sie erfolgreich sind. Sind sie es nicht, müssen die Kinder zur Schule. „Wenn man private Schulen zulässt, sollte man auch Eltern erlauben, ihre Kinder selbst zu unterrichten“, sagt Ladenthin.

Mit seiner Ansicht ist er aber in der Minderheit unter den deutschen Bildungsforschern. Die meisten halten an der Schulpflicht fest. Die Kultuspolitiker sowieso.

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