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45 Minuten mit Sprengkraft

Auch in Großbritannien sind Spitzen des Geheimdienstes im Visier einer Kommission.Ihr Bericht wird in den nächsten Tagen erwartet. Tony Blair ist bereits unter Druck

BERLIN taz ■ Am kommenden Donnerstag soll in Großbritannien der Bericht der dortigen Untersuchungskommission zu den Informationen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen vorgestellt werden. Der Bericht der Kommission unter Leitung von Lord Butler dürfte einige Sprengkraft haben. In dieser Woche sah sich Premierminister Tony Blair genötigt, öffentlich einzugestehen, dass Massenvernichtungswaffen „vielleicht nie gefunden werden“ – nicht ohne hinzuzufügen, sie „könnten entfernt worden sein, sie könnten versteckt worden sein, sie könnten zerstört worden sein“.

Nach britischen Medienberichten kritisiert der Bericht insbesondere drei Personen direkt: John Scarlett, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, der im September 2002 das Dossier über die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak herausgegeben hatte, Richard Dearlove, Chef der Auslandsaufklärung MI6, der das Material zusammengestellt hatte, und Lord Goldsmith, der Staatsanwalt, dem vorgeworfen wird, seine ursprünglichen rechtlichen Bedenken gegen eine britische Kriegsteilnahme ohne vorherige Absicherung durch eine UN-Resolution zugunsten der Regierungslinie zurückgestellt zu haben. Alle drei sollen einem Bericht des Independent zufolge vorab Auszüge des Berichts erhalten haben, um sich auf die öffentliche Kritik vorbereiten zu können.

Im Übrigen allerdings, so der Independent weiter, verzichte der Butler-Bericht darauf, bestimmte Personen namentlich zu kritisieren, sondern setze sich mit Verfahren und Systemen auseinander. „Die Schlussfolgerung wird sein, dass die Erkenntnisse falsch waren und das System zu ihrer Überprüfung nicht funktioniert hat“, zitiert die Sunday Times politische Kreise.

Insbesondere die Herkunft der Aussage, das irakische Regime sei in der Lage, innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einzusetzen, hat die Untersuchungskommission beschäftigt. Bereits in den letzten Monaten war immer wieder kritisiert worden, die zugespitzte Angabe habe auf Informationen beruht, deren Aussagen vage und deren Quellen zweifelhaft waren.

Eine erste Untersuchungskommission unter Leitung von Lord Hutton hatte die Regierung von dem Vorwurf freigesprochen, die vorhandenen Informationen künstlich hochgespielt zu haben – vielmehr habe die Regierung, so die Kernaussage des Hutton-Berichts, die vorliegenden Geheimdienstinformationen korrekt wiedergegeben. Damit hatten sich zwar die Kritiker nicht zufrieden gegeben, dennoch war der schwarze Peter zunächst bei den Geheimdiensten.

Kommentatoren gehen davon aus, dass die Blair-Regierung weiter versuchen wird, die Dienste für die Fehlinformationen verantwortlich zu machen, um so der Frage zu entgehen, was denn die eigentlichen Gründe für die britische Kriegsbeteiligung waren. Demgegenüber hatte die Financial Times unter Berufung auf eine Quelle, die den Bericht bereits kennen soll, berichtet, der Butler-Bericht beschuldige die Regierung, Druck auf die Geheimdienste ausgeübt zu haben, um Informationen zu liefern, die die Kriegsentscheidung der Regierung rechtfertigen sollten.

Michael Mates, als konservativer Hinterbänkler Mitglied der Untersuchungskommission, warnte bereits davor, die Geheimdienste zu politischen Zwecken zu missbrauchen. Man müsse sich klar darüber sein, dass geheimdienstliche Tätigkeit ihre Beschränkungen habe und nicht Probleme oder offene Fragen lösen könne. Wenn Minister Geheimdienstinformationen missbrauchten, untergrabe dies das Vertrauen in die Arbeit der Dienste.

Die Regierung Blair hat bislang zu den Spekulationen über den Inhalt des Untersuchungsberichtes nicht öffentlich Stellung genommen. BERND PICKERT

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