: Schuldenmachen fiel der Union noch nie schwer
Die Opposition wird Teile des Reformen letztlich mittragen, auch wenn sie jetzt alles in Grund und Boden redet. Denn sie hat nichts Besseres
BERLIN taz ■ CDU-Chefin Angela Merkel versuchte sich gestern zur Wortführerin der landesweiten Kritik an den Gesetzentwürfen der rot-grünen Bundesregierung zu machen. Eigentlich eine bequeme Position: Quer durch die Parteien und sozialen Schichten grassiert erheblicher Unmut angesichts der Gesetzeslawine von Gerhard Schröder und seinen Mitstreitern.
Sie habe einen Aufbruch zu mehr Wachstum und Arbeitsplätzen erwartet, sagte Merkel, stattdessen aber eine „herbe Enttäuschung“ erlebt. Bei der Bundesanstalt für Arbeit würden die rot-grünen Gesetze zu „mehr Bürokratie“ auf dem Arbeitsmarkt führen. Beim geplanten Vorziehen der Steuerreform vermisste die CDU-Vorsitzende „ein schlüssiges Finanzierungskonzept“. In der Unionsfraktion arbeitet man daran, große Teile des Regierungspakets abzulehnen. Vor allem die Vorschläge zur Einschränkung der Eigenheimzulage, zur Kürzung der Entfernungspauschale und zur Mindeststeuer für Unternehmen passen der Union nicht. „Keiner dieser Punkte wird so im Gesetzblatt stehen“, sagte Merkel. Wer nach konsensfähigen Punkten fragt, erntet derzeit Schweigen.
Anders, als diese vermeintlich klar ablehnende Haltung suggeriert, gibt es in der Union aber keine eindeutige Position zu Schröders Reformen. Beispiel Gewerbesteuer: Während viele in der Unionsfraktion die rot-grüne Ausweitung der Steuer auf Freiberufler verdammen, ist Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth, ebenfalls CDU, einig mit Rot-Grün. In der Bundestagsfraktion der Union ist man sich aber sicher: Roth werde mit ihrer SPD-freundlichen Haltung nicht durchkommen, die Gewerbesteuer werde mit Hilfe der Union schließlich ganz abgeschafft.
Ungelöste Konflikte innerhalb der Union gibt es allerorten. Unionsfraktionsvize Friedrich Merz arbeitet zurzeit an einem Konzept zur Steuer- und Finanzpolitik, um die divergierenden Interessen auf Linie zu bringen. Dass das ziemlich schwer ist, zeigt der großzügige Zeitplan. Mit der Veröffentlichung sei „noch in diesem Jahr zu rechnen“, heißt es. Merkwürdig: Rot-Grün will seine Reformen zum 1. Januar in Kraft setzen, und die Opposition werkelt bis zum letzten Tag an einer Meinung?
Wie der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Meister, sagt, wird sich Merz’ Gegenkonzept an zwei Begriffen orientieren: „Senkung“ und „Vereinfachung“ der Steuern. Sowohl Spitzenverdiener, Mittelstand, als auch Geringverdiener sollen weniger zahlen. Und zwar unter dem Strich: Steuervergünstigungen und Sonderregelungen sollen zwar reduziert werden, aber die Entlastung nicht auffressen.
Mit dieser Herangehensweise löst die Union eines der zentralen politischen Probleme nicht, sondern verschärft es zusätzlich. Die miese Lage der Staatsfinanzen mit ihren Defiziten weit jenseits der 3-Prozent-Grenze des Maastricht-Vertrags würde noch prekärer – für alle staatlichen Ebenen, auch für die unionsregierten Länder und Kommunen. Daran kann niemand vorbei, der ein realitätstaugliches Konzept auflegen will.
Deshalb ist absehbar, dass die Union sowohl in ihrem theoretischen Konzept als auch in der politischen Praxis auf die Regierung zugehen muss. Das könnte so aussehen: Die vorgezogene Steuerreform bekommt die Zustimmung der Union im Bundesrat – schließlich werden die Steuersätze gesenkt. Die Union wird aber aufpassen, dass besonders für ihre Klientel ein tatsächlicher Entlastungseffekt herauskommt. Also keine Mindeststeuer für Unternehmen, keine Gewerbesteuer für Freiberufler. Aus allgemeiner Entlastung wird damit eine Umverteilung zugunsten der Besserverdiener. Außerdem wird Friedrich Merz die Ansage, die Senkung der Steuersätze nicht wesentlich durch neue Schulden zu finanzieren, etwas niedriger hängen. Schulden zu machen fiel der CDU noch nie schwer – trotz gegenteiliger Beteuerungen.
HANNES KOCH
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