: Von Wanzen und Helden
Am Montag hat die ARD eine Studie zum Einfluss der Stasi auf das Westfernsehen vorgestellt, morgen startet die Dokumentation „Operation Fernsehen“ – liegen nun endlich alle Karten auf dem Tisch?
VON GEORG LOEWISCH
Es soll noch einmal die Stunde der alten Recken sein. Auf dem Podium erzählt der ehemalige ARD-Korrespondent und heutige WDR-Chef Fritz Pleitgen, was für ein „Höchstrisiko“ die Westkorrespondenten für die DDR waren. Er erzählt von Wanzen, von Innen- und Außenkameras und deutet am Ende gar an, dass die Wende womöglich früher gekommen wäre, wenn nur Lothar Löwe, bis 1976 ARD-Mann in Ostberlin, nur mehr Zeit gehabt hätte. Als Ausschnitte der ARD-Dokumentation „Operation Fernsehen“ (heute, 23.00 Uhr) eingespielt werden, ist Pleitgen in jüngeren Jahren sowie einige seiner Kollegen zu sehen, begleitet von Männern in Anoraks und Lederjacken, am Handgelenk meist Herrenhandtäschchen. Im Publikum brummt der 75 Jahre alte Löwe: „Ja ja, immer die mit ihren Täschchen.“
So angenehm kann Vergangenheitsaufarbeitung sein. Dabei hatte die Studie zu den rundfunkbezogenen Aktivitäten der Stasi, die die ARD am Montagabend vorstellte, gar keinen angenehmen Hintergrund. Anfang 2001 wurden beim MDR in Leipzig ebenso viele wie prominente Exspitzel von der Presse enttarnt, nachdem der Sender die Aufarbeitung verschlafen hatte. So gaben MDR-Intendant Reiter und seine ARD-Kollegen die Studie in Auftrag, wohl auch, um ähnliche Überraschungen in anderen Sendern zu vermeiden.
Nun liegt die Studie vor, allerdings nur in Teilen, da die ARD nach dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Kohl-Akten Klagen fürchtet. Ein wichtiges Nebenprodukt sind zwei Dokumentationen. Der erste Teil ist schon wegen einer Szene hübsch, in der Lothar Löwe einen beschwipsten Erich Honecker zu den Mauerschüssen verhört.
Die Studie haben Forscher der Freien Universität Berlin um den Historiker Jochen Staadt realisiert. Sie kümmerten sich einerseits um die Überwachung des DDR-Rundfunks, sollten aber auch recherchieren, wie der Geheimdienst Sender in der Bundesrepublik sowie ARD-Korrespondenten wie Pleitgen und Löwe auszuforschen und zu beeinflussen versuchte.
Stasi-Chef Erich Mielkes wollte einerseits Vorbereitungen für einen Krieg treffen. So lieferte ein Journalistenpaar Zeichnungen vom Funkhaus des Saarländischen Rundfunks und besorgte auch noch gleich Waffen und Munition. Andererseits wollte die Stasi die Berichterstattung in ihrem Sinne lenken.
Es gelang den Spionen, viel über die ARD zusammenzutragen, meist jedoch nur indem sie Mitarbeiter der Sender aushorchten. In der ARD selber platzierte die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) nur rund 20 Agenten. Davon berichteten einige zwar jahrelang, aber keiner ist laut der Studie in verantwortlichen Positionen gewesen: Die Stasi habe nie direkt Programmentscheidungen der ARD steuern können. Und die Westkorrespondenten in Ostberlin wussten, dass Agenten sie instrumentalisieren wollten und waren vorsichtig.
Allerdings, schreiben die Forscher, seien SED und Stasi „mitunter durchaus erfolgreich“ dabei gewesen, Information und Desinformation in Hörfunk und Fernsehen zu lancieren. Kaum durch Filme oder Radioberichte von Stasi-Mitarbeitern, mehr durch eine vorherige Platzierung in Zeitungen und Magazinen.
Kein Wunder, dass WDR-Intendant Pleitgen nun auf die Verlage zeigt und sagt, sie sollten dem Beispiel der ARD folgen. Ebenso das ZDF. Der Sender sieht dazu allerdings keine Notwendigkeit, wie sein Sprecher Alexander Stock auf Anfrage sagte.
Dabei hat das ZDF schon einen Stasi-Fall: Denn beim Durchpflügen der 200.000 Seiten Stasi-Akten stießen die Berliner Forscher auf den heutigen Leiter des ZDF-Studios in Tel Aviv, Dietmar Schumann. Für ihn fand sich eine IM-Karteikarte unter dem Tarnnamen „Basket“. Aus dieser Quelle gewann die Stasi Erkenntnisse über westdeutsche Politiker oder auch den damaligen Moskau-Korrespondenten des ZDF, Dirk Sager. Schumann war Redakteur beim DDR-Fernsehen, später ging er als Korrespondent nach Budapest und Moskau.
Vor einer Woche informierte die ARD vertraulich das ZDF über den Fund. Schumann hatte bei seiner Einstellung eine Stasi-Mitarbeit verneint. Die ZDF-Verantwortlichen ließen sich die Unterlagen von der Birthler-Behörde kommen und erkundigten sich bei Kollegen, die ihn noch aus DDR-Zeiten kennen. Schumann sagte, er sei ohne sein Wissen als IM geführt worden. Der Mainzer Sender glaube seinem Mann, sagte ZDF-Sprecher Stock.
Studienleiter Staadt will zu diesem Einzelfall nichts sagen. Er gibt aber zu bedenken, dass es der Systematik der Stasi widersprochen hätte, eine IM-Karteikarte für jemanden ohne sein Wissen anzulegen. „Das wäre unsinnig gewesen, und so ein Fall würde mich überraschen.“
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