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Prenzlberg rutscht unter null

Das Gelände der Gustave-Eiffel-Oberschule ist der letzte große kommunale Raum im Kiez. Der Bezirk will die Immobilie möglichst lukrativ loswerden. Dagegen wehren sich Künstler und Architekten

„Das Gelände einfach zu verscherbelnwäre ein Katastrophe für den Kiez“

VON ALENA SCHRÖDER

Der Prenzlauer Berg liegt unter Berliner Mittelmaß. Das beweisen die beiden Künstlerinnen Ulrike Mohr und Katinka Bock: Sie haben eine neue Nullebene Berlins errechnet, ausgehend von der Aussichtsterrasse des Fernsehturms als höchstem und einem U-Bahn-Schacht als niedrigstem Punkt. Jetzt kennzeichnen sie die Dächer ausgewählter Gebäude mit ihren unterdurchschnittlichen Werten. Die Gustave-Eiffel-Oberschule in der hippen Kastanienallee liegt bei minus72,81 Metern, in leuchtendem Rot prangt die vernichtende Zahl auf dem Dach des Schulgebäudes.

Das Rechenspiel hat traurige Symbolkraft: Die Schule wird das Gebäude bis zum Jahresende verlassen müssen, offiziell wegen der niedrigen Schülerzahlen im Bezirk. Was mit der lukrativen Immobilie in Prenzlauer Berg danach geschehen soll, steht bislang noch in den Sternen. Das zuständige Bezirksamt Pankow möchte das Gelände in jedem Fall loswerden und prüft zur Zeit die Konzepte verschiedener Interessenten, unter ihnen eine private Manager-Sprachschule.

Wie viel öffentlicher Raum sich hinter der wenig ansprechenden 50er-Jahre-Fassade der Schule verbirgt, lässt sich von außen kaum erahnen: 9.000 Quadratmeter groß ist das Areal, dass sich von der Kastanienallee bis zur Choriner Straße erstreckt, an das Stadtbad Oderberger Straße und das Kunstzentrum Dock 11 angrenzt. Fünf Gebäude, zwei davon vom Architekten Ludwig Hoffmann erbaut, bieten eine Nutzfläche von 4.000 Quadratmetern, seit 1864 wird das Areal als Schule genutzt.

Heute ist das Gelände der letzte große kommunale Raum im Herzen des Prenzlauer Bergs. Ein Verkauf würde die Entwicklung des Viertels symbolisieren: vom Künstler- und Studenten-Kiez zur etablierten und lukrativen Wohn- und Geschäftsgegend, in der für Off-Kultur und alternative Lebensformen immer weniger Platz bleibt.

„Das Gelände hat ein ungeheures Potenzial, das auch für den Kiez erschlossen werden sollte“, sagt Wolfgang Krause. Der Dozent an der Kunsthochschule Weißensee ist seit vielen Jahren in dem Kiez aktiv und leitet nun das Kunstprojekt „Leerstelle“. Das wird ab Samstag eine Woche lang in den Räumen der Schule zu sehen sein. Installationen und Vorträge von 80 Künstlern beschreiben den Moment der Leere, der durch den Umzug der Schule entsteht. Mit der Aktion will Krause das Schulgelände neu definieren und „ein öffentliches Bewusstsein für die Möglichkeiten des Areals schaffen“. Im alten Schulbuchlager entsteht ein temporäres Erinnerungsmuseum, in dem Künstler Erinnerungsstücke aus ihrer Schulzeit ausstellen. An die Fenster der Schule haben Schüler ihre Träume für die Zukunft geschrieben. Der alte Apfelbaum im Hof bekommt sehende Baumaugen, bewaffnete „Terrorzwerge“ rufen zur Systemrevolte auf.

Beteiligt am Projekt „Leerstelle“ sind auch vier Architekturstudenten der Kunsthochschule Weißensee, die unter der Leitung von Professor Rainer W. Ernst ein Nutzungskonzept für das Gelände erarbeitet haben. „Raum für neue Wege“ haben sie ihr Projekt genannt: In ihren Augen sollte auf dem Areal ein möglichst buntes, lebendiges Gefüge entstehen, das Chancen zur Verwirklichung und Existenzgründung bietet: „Werkstätten, Ateliergemeinschaften, Kinderläden, Theatergruppen, aber auch der 50-jährige Arbeitslose mit einer guten Geschäftsidee hätten hier perfekte Bedingungen, sich zu entfalten“, sagt der Student Matthias Piper. Architekturprofessor Ernst stimmt ihm zu: „Raum ist die Grundvoraussetzung für eine Existenzgründung. Der Bezirk könnte dieses Gelände nutzen, um ganz neue Wege bei der Schaffung beruflicher Perspektiven zu gehen.“

Kosten darf das alles freilich nichts. „Die Finanzmittel des Bezirks sind erschöpft, die Nutzung des Geländes darf den Bezirkshaushalt in keinem Fall belasten“, sagt Detlev Linder vom Immobilienservice des Bezirksamtes Pankow. Derzeit verhandelt der Bezirk mit verschiedenen Interessenten, von denen vor allem zwei gute Chancen haben. Einer davon ist das Sozialpädagogische Institut Berlin (SPI). „Unser Konzept sieht eine soziale und kulturelle Nutzung durch verschiedene Träger vor“, sagt Dieter Runke, Geschäftsführer der Gesellschaft für Stadtentwicklung, einer Tochter der SPI. „Der Bezirk wäre weiter Eigentümer des Geländes, wir aber könnten die Räume als Treuhänder ohne öffentliche Zuschüsse günstig und kostendeckend vermieten. Das Gelände würde der Öffentlichkeit weiter zugänglich bleiben und zum alternativen, kulturellen Spektrum des Bezirks beitragen.“ Das „Museum der Dinge“, mehrere freie Künstler und auch ein Bildungszentrum für benachteiligte Jugendliche hätten ihr Interesse an Räumen schon bekundet, so Runke. Die Künstler und Architekten der Kunsthochschule sehen ihre eigenen Vorstellung im Konzept der SPI jedenfalls weitgehend verwirklicht.

Ebenfalls im Rennen ist das Ehepaar Jaeschke, Inhaber einer Schöneberger Sprachschule. Sie wollen das begehrte Gelände kaufen und dort ein multimediales Sprachzentrum für ausländische Manager einrichten. Die finanzstarke Klientel solle dort „hotelmäßig untergebracht und auch in die deutsche Kulturszene eingebunden werden“, ließen die Jaeschkes das Bezirksamt wissen. Viel erinnert an der hippen und teuren Kastanienallee ohnehin nicht mehr an die Zeit, als der Kiez noch hauptsächlich von Künstlern und Hausbesetzern bewohnt war. Warum also nicht ein paar trendbewusste Manager?

„Die Schule einfach an einen Privatinvestor zu verscherbeln wäre eine Katastrophe für den Kiez“, sagt Rainer W. Ernst. Auch seine Architekturstudenten haben ein eindrucksvolles Zahlenspiel parat: Sie haben ausgerechnet, dass der Verkauf des Grundstücks für geschätzte 2,5 Millionen Euro den Anstieg der Berliner Zinsverschuldung um gerade mal 9 Stunden, 10 Minuten und 43 Sekunden aufhalten würde. Auch die angeblich hohen Sanierungskosten seien kein Grund für einen Verkauf: „Mit etwa 500.000 Euro könnte das gesamte Gelände grundsaniert werden. Alles weitere könnte über Mietersanierung geregelt werden: Die Mieter würden ihre Räume einfach selber instand setzen“, sagt der Student Matthias Piper.

Wie der Bezirk entscheiden wird, ist noch völlig offen. Keiner der Beteiligten im Bezirksamt will sich zum Stand der Verhandlungen äußern. „Wer jedenfalls nicht gefragt wird, sind die Bürger des Prenzlauer Bergs“, sagt Mathias Heyden, einer der Initiatoren des Architekturprojektes. „Es ist eine Sauerei, dass der Bezirk das ganze Verfahren hinter geschlossener Tür durchzieht und die Öffentlichkeit nicht daran beteiligt.“

Einer der Studenten der Kunsthochschule hat jetzt Nägel mit Köpfen gemacht: Peter Müller, der gemeinsam mit Wolfgang Krause das Projekt „Leerstelle“ organisiert, ist vor einem Monat mit Frau, zwei Kanarienvögeln und einem Kaninchen in die leer stehende Hausmeisterwohnung der Schule gezogen. Der Mietvertrag läuft bis Ende des Jahres, bis dahin sollen die Verhandlungen über die weitere Nutzung der Schule abgeschlossen sein. Ob er danach in der Wohnung bleiben kann, ist unklar: „Das hängt natürlich davon ab, wer dann hier das Sagen hat“, erzählt Müller. Ob die „hotelmäßig untergebrachten“ Manager ihr exklusives Sprachschulgelände mit einem Künstler teilen würden, darf jedenfalls bezweifelt werden.

„Leerstelle“ wird heute um 20 Uhr eröffnet und ist bis 30. Juli täglich von 14 bis 19 Uhr in der Gustave-Eiffel-Oberschule, Kastanienallee 82, zu sehen. Diskussion über das Konzept „Raum für neue Wege“: Sonntag, 19 Uhr

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