: Liquidierungen sollen weitergehen
Die gezielte Tötung von Abu Schanab soll offenbar der Auftakt zu einer ganzen Serie solcher Aktionen sein. Zu dem Begräbnis des Hamas-Führers versammelten sich gestern rund 100.000 Palästinenser. Premier Abbas könnte der Machtverlust drohen
aus Jerusalem ANNE PONGER
Die Beerdigung von Abu Schanab, einer der vier prominentesten Hamas-Führer, und seiner Leibwächter, ist gestern zu einer der größten Versammlungen von Palästinensern seit Jahren geraten. Nach Schätzungen von Beobachtern kamen dabei etwa 100.000 Menschen zusammen. Zuvor war aus israelischen Regierungsquellen verbreitet worden, Abu Schanab sei nur der Erste auf der Liste gewesen, weitere Liquidierungen seien geplant.
Nach erneutem Raketenbeschuss israelischer Ortschaften wurde zudem eine umfangreiche Invasion des Gaza-Streifens zur Zerstörung von Raketenfabriken vorbereitet. Zuvor hatte die Armee den Streifen schon in drei Sektionen aufgeteilt, was den durchgehenden Nord-Süd-Verkehr für palästinensische Fahrzeuge unmöglich machte.
Auch die Militäraktionen im Westjordanland sollen noch einen Monat lang weitergehen, nachdem alle palästinensischen Extremisten-Organisationen die Hudna (arabisch für Waffenruhe) nach der Ermordung von Abu Schanab für beendet erklärt hatten. In Israel wird deshalb eine neue Welle von Anschlägen befürchtet.
Mehr als 25 Mörser waren seit Donnerstagnacht auf jüdische Siedlungen und Armeestellungen im Süden gefeuert worden, während drei Kassam-Raketen im Städtchen Sderot und in landwirtschaftlichen Kooperativen in der westliche Negev-Wüste landeten. Dafür übernahm Hamas die Verantwortung.
Im Westjordangebiet konzentrierten von Kampfhubschraubern unterstützte israelische Panzer- und Fußtruppen ihre Aktivitäten auf die Altstadt von Nablus, die als Hochburg der Hamas, der Volksfront zur Befreiung Palästinas und zahlreicher Fatah-Splittergruppen gilt. Bulldozer zerstörten aber auch Häuser von mutmaßlichen Terroristen in Dschenin und Tulkarm.
Das drohende Scheitern des Verhandlungsprozesses hatte hektische Rettungsbemühungen von amerikanischer und ägyptischer Seite zur Folge. „Das Ende des Friedensfahrplans wäre ein Abgrund, in den beide Seiten zu stürzen drohen“, warnte US-Außenminister Colin Powell. Er brach einen einjährigen Boykott gegenüber Palästinenserpräsident Jassir Arafat, indem er ihn aufforderte, Ministerpräsident Mahmud Abbas alle nur mögliche Unterstützung bei der Kontrolle zum Terror bereiter Elemente zukommen zu lassen. Ägyptens Präsident Husni Mubarak entsandte gestern seinen politischen Berater Osama El-Bas eiligst nach Ramallah und Jerusalem, um Arafat und Israels Außenminister Silwan Schalom zur Wiederbelebung der totgesagten Hudna zu motivieren. In Washington und in der Palästinenser-Führung wird befürchtet, dass ein Ende der Waffenruhe auch das Ende von Premier Abbas bedeutet.
Tatsächlich hatte Abbas das Schicksal seiner Regierung eng an ein „Ende der militärischen Intifada“ geknüpft. Sein Plan basierte auf der These, dass eine Waffenruhe die Lebensqualität der Palästinenser verbessern würde. Solch ein Erfolg, so hoffte er, würde ihm die nötige Unterstützung bei Reformen im Sicherheitsapparat und in Regierungsinstitutionen garantieren.
Vertreter des palästinensischen Kabinetts warnten, Abu Masen müsse zurücktreten, falls die Gewalt eskaliert. Bedingung für friedlichen Fortschritt sei die Überwachung der Oppositionellen. Dazu müssten die zersplitterten Sicherheitsdienste zu einem Apparat vereint werden. Die beiden mächtigsten – der Nationale Sicherheitsdienst sowie der Nationale Geheimdienst – unterstehen jedoch weiter den Befehlen von Jassir Arafat. Der jedoch zögert eigensinnig, die Kontrolle an Abbas und Sicherheitsminister Mohammed Dahlan zu transferieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen