piwik no script img

Leben in der Luxusblechdose

In Gatow werden Soldaten die Haare in einem ungewöhnlichen Baudenkmal geschnitten: in einem Kupferhaus aus den 30er-Jahren. Walter Gropius arbeitete mit anderen an dem frühen Fertighausmodell, das auch ein Stück NS-Geschichte symbolisiert

von ULRIKE LINZER

„Diesen Sommer war es unerträglich heiß hier drinnen, wie in der Sauna. Selbst bei offenen Fenstern, Türen und Durchzug hatten wir während der Hitzewelle über 40 Grad.“ Petra Pusch lebt und arbeitet in einem Haus aus Kupfer. Seit 1996 schneidet die Friseurmeisterin Soldatenhaare auf dem Gelände der 3. Luftwaffendivision in Berlin-Gatow.

Aber: Das Haus ist kein neu entwickeltes militärisches Objekt der Bundeswehr, etwa für Trainingszwecke à la „Desert Storm“. Anfang der 30er-Jahre wurde das Fertigteilhaus erbaut. Es besitzt die Form eines ganz normalen kleinen Bungalows. Seine Fassade ist aus dunklen Kupferplatten zusammengesetzt und innen mit dekorativ geprägten Stahlblechen verkleidet. „Manche scherzen, wir würden in einer Blechdose leben. Aber immerhin eine 160 Quadratmeter große Luxusblechdose. Und außer beim Bilderaufhängen bemerken wir kaum Unterschiede.“ Dafür hat Reinhard Pusch mit den Jahren eine spezielle Technik entwickelt, Nägel in die Metallwände zu schlagen, oder er versucht, schwere Gegenstände in Höhe der Holzbalken anzubringen. Leben in einem Berliner Unikum?

Die „Copperhouses“ wurden von 1930 bis 1934 vom Berliner Unternehmen „Hirsch Kupfer- und Messingwerke“ produziert, insgesamt 44 Stück. Der Architekt Robert Krafft und der Ingenieur Friedrich Förster entwickelten die Modelle für vorfabrizierbare, leicht zu transportierende und zusammensetzbare Kupferhäuser. Diese konnten in verschiedenen Größen und Typen und samt Inneneinrichtung, also inklusive Heizung, Bad, Küche und Elektrik, geliefert und in nur 8 Tagen aufgestellt werden.

Auch der erste Bauhaus-Direktor Walter Gropius hatte sich schon lange mit der industriellen Vorfertigung beschäftigt und arbeitete ab 1932 in Hirschs Auftrag an der Optimierung und Weiterentwicklung der Kupferhäuser. Sein Versuch, eine Methode zur besseren Isolierung zu finden, wurde besonders wichtig für den neuen Absatzmarkt des Kupferhauses: Haifa. Als nach der Machtübernahme der Nazis immer mehr Juden aus Deutschland emigrierten, nahmen manche die vorfabrizierten Kupferhäuser mit. Insgesamt wurden 14 Häuser zwischen 1933 und 1934 nach Palästina exportiert, 11 davon stehen in Haifa.

Die Produktion der Kupferhäuser endete 1934. Auch die jüdische Familie Hirsch musste aus Deutschland fliehen. Da mit der militärischen Aufrüstung Kupfer zu einem kriegswichtigen Rohstoff wurde, verbot man seinen Export und seine anderweitige Nutzung. Die Firma ging in Konkurs. Für Berlin sind insgesamt noch neun Kupferhäuser in der Denkmalliste verzeichnet und bis dato in ursprünglicher Form erhalten. Drei davon stehen in Köpenick, weitere drei in Reinickendorf, jeweils eins in Steglitz und Zehlendorf – und jenes in Spandau, als weiteres Bauexperiment der Moderne neben der zeitgleich entstandenen Fliegersiedlung.

„Bis auf ein paar Flicken aus Kupfer, die auf die Fassade aufgenagelt sind, ist unser Kupferhaus in gutem Zustand“, sagt Reinhard Pusch. Über 70 Jahre hat es die wechselnden Nutzer des Flughafengeländes beherbergt. „Erst die Luftwaffe des Dritten Reiches, dann war es 49 Jahre lang in Händen der alliierten Engländer und nun ist es seit 1991 in Besitz der Bundeswehr.“ Wie schon die Royal Airforce nutzen auch sie die Räumlichkeiten zur Verschönerung und Pflege des Soldatenhaars. „Drei Köppe für ne Mark“, lautet ein Witz über Soldatenfriseure, Soldaten hätten sowieso alle dieselbe Frisur – nämlich keine. Dem widerspricht Petra Pusch „Die Soldaten von heute legen größten Wert auf ihre Frisur. Paradesoldaten müssen jede Woche kommen, denn akkurate Haare sind ein Muss bei Repräsentationsveranstaltungen.“ Der Renner im Kupferhaus aber ist – ebenso wie dessen glatte Oberfläche – ein amerikanisches Vorbild: der „Flat-Top“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen