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Rot-Grün träumt vom Morgenrot

Gestern als Kabinett der Versager verschrien, gratulieren sich Schröders Minister heute in Bonn zu kleinen, aber feinen Erfolgen. Kippt die Stimmung?

VON ULRIKE WINKELMANN

War es der Mindestlohn? Die Bürgerversicherung? Die erstmals seit zwei Jahren gestiegene Konsumfreude der Bürger? Oder alles zusammen? Heute versammelt sich das Kabinett im Bonner Palais Schaumburg zwecks ausführlicher Beratung. Doch wird die Regierung nicht Montagsdemo-gezaust und Hartz-IV-verstört am Rhein eintreffen. Oh nein. Der Himmel, der sich zur Kabinettsklausur in Neuhardenberg im Juli noch so düster-drohend über Rot-Grün wölbte, hat sich aufgehellt – kaum merklich. Vermutlich nicht dauerhaft. Aber es lässt sich behaupten, dass Schröders Mannschaft zum Start der Herbstsaison gar nicht so schlecht aussieht.

Natürlich fährt die SPD ab Sonntag in den vier Wahlen, im Saarland, in Brandenburg, Sachsen und dann bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, wieder schreckliche Ergebnisse ein. Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV gehen weiter. Politiker, die sich in den Osten wagen, werden mit wüsten Flüchen belegt.

Doch es ist genau die Erzählung vom unverständigen Pöbel, die eine neue Allianz von sachkundigen Politikern, verständnisvollen Medien und einer informierten Gesellschaftsmitte geschmiedet hat. „Fahren Sie doch mal in die Sächsische Schweiz und schauen Sie, was da los ist“, ruft die SPD-Fraktionskassandra Michael Müller. Man grenzt sich ab von Ossis, die mit Nazis fraternisieren und nicht verstanden haben, dass der Kanzler keine Arbeitsplätze backen kann.

Im selben Maß, in dem die Aufmerksamkeit für Hartz IV nachlässt, steigen die Zustimmungswerte: Schon die Hälfte der Befragten findet laut ZDF-Politbarometer die Kürzungen bei Arbeitslosen im Prinzip richtig. Je länger die Montagsdemos dauern, desto deutlicher wird, dass sie kein gemeinsames Ziel haben. Und bloßer Protest wird ausgesessen – das hat Gerhard Schröder vom Vorgänger Helmut Kohl abgeguckt. Zwar hat der Fraktionslinke Ottmar Schreiner ein Kritikpapier zu Hartz IV erarbeitet, doch das durfte auf der SPD-Vorstandsklausur am Wochenende nicht einmal präsentiert werden. So wurde gesichert, dass es auch gestern auf der Fraktionsklausur keine Chance bekäme.

Die Gewerkschaften sind mittlerweile von dem Anti-Agenda-2010-Kurs runter. Noch im Juli erklärte Ver.di-Chef Frank Bsirske Schröder für „gescheitert“. Jetzt macht er konstruktive Vorschläge zum Mindestlohn („7,50 Euro“) und ist damit das beste Beispiel dafür, wie gut die Arbeitsteilung zwischen Gerhard Schröder und Franz Müntefering funktioniert: Während der Kanzler sich als Reformator profiliert, beschäftigt der SPD-Chef die Basis mit inaktuellen Diskussionen. Auch die renitente Parteilinke Andrea Nahles hat mit der Bürgerversicherung bis 2006 genug Stoff zum Rechnen.

Und die Opposition? Ach so, die. In die Union hat Sozialministerin Ulla Schmidt mit ihrem Zahnersatz-Vorschlag gerade eine Bombe hineingeworfen. Und der Widerspruch zwischen dem Sozialsystem-Verteidiger Horst Seehofer von der CSU und den Privatisierern von der CDU wird noch häufiger aufbrechen.

Strategisch gesehen können Kanzler und Konsorten sich heute auf die Schultern klopfen. Rein strategisch gesehen.

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