: „‘N bisschen DVU war ooch bei“
Was denken sich all die Protestwähler? Ein Besuch auf einer Anti-Hartz-IV-Demo in Brandenburg zeigt: meist ziemlich wenig. Im Protest unterscheiden manche nicht zwischen links und rechts
AUS ORANIENBURG JOHANNES GERNERT
Der Mann in der schwarzen Lederjacke hat am Sonntag ein bisschen seltsam gewählt. Er muss eine Weile überlegen, wenn er seine zwei Kreuze begründen soll. Den „Mann in der schwarzen Lederjacke“ würde man auf der Anti-Hartz-IV-Demo in Oranienburg mit dieser Beschreibung schlecht finden, weil sie auf fast jeden zweiten männlichen Demo-Teilnehmer zutrifft. Die andere Hälfte wäre mit „der Mann in der Jeansjacke“ treffend beschrieben. Der große bärtige Mann in der schwarzen Lederjacke sagt: „Dit is im Prinzip, sag’ ich ma, mehr ’ne Protestwahl jewesen.“ Deshalb hat er sich für die PDS entschieden. Und für die DVU. Er ist damit eine Art lebender Beweis für eine gerade medial beliebte These: Protest ist Protest ist PDS ist DVU ist NPD ist Protest.
Der große bärtige Mann in der schwarzen Lederjacke neigt in der Analyse seines Wahlverhaltens zu verniedlichenden Formulierungen: „Ich sag’ ma, ’n bisschen DVU war ooch bei.“ Er hält eigentlich gar nicht so viel von den Rechtsextremen – sagt er. Er macht eine wegwerfende Handbewegung, wenn er von der DVU spricht. Als wären das alles rechte Schwachköpfe. Aber: „Es muss was passieren, dass die anderen Parteien Dampf kriegen, dass die aus’m Knick kommen.“
Schön, könnte man nun sagen, im Protest scheint links und rechts ja tatsächlich zu verschwimmen. Und mit „den Ausländern“ hat das alles wohl wirklich wenig zu tun. Wäre da nicht, neben dem Mann in der schwarzen Lederjacke der Mann in der Jeansjacke. Rainer Siewert hat auch DVU gewählt. Nur DVU. Aus Gründen der Vernunft. Die DVU hat beispielsweise gefordert, dass korrupte Politiker in den Knast kommen. „Korrupte Politiker gehören nun mal in den Knast“, sagt Rainer Siewert mit einem beinah kindlich-trotzigen Unterton in der Stimme.
Oder noch besser: „Deutsches Geld für deutsche Aufgaben.“ Wer würde dem denn widersprechen. „Was ist daran bitte rechts?“, fragt Rainer Siewert. „Wenn wir woandas hingehen würden, uns hilft doch ooch keena“, sagt er. Und meint „die Russen“, die bei ihm um die Ecke im Neubaugebiet wohnen dürfen, nur weil sie irgendwann mal „einen deutschen Schäferhund hatten“, in der Verwandtschaft meint er. „Denen geht’s besser als jedem anderen hier.“ Deshalb also auch: „Deutsche Arbeitsplätze zuerst für Deutsche.“
Rainer Siewert tut so, als würde er Sätze sagen wie „Gras ist grün. Tomaten sind rot.“ Er ist Rentner, erwerbsunfähig, saß in der DDR im Knast, hasst die PDS („Partei Diktatorischer Schwachköpfe, dit hab ich mir ausjedacht.“), er sagt: „Ich könnte stundenlang so reden.“
Philipp Becker hat die Demonstration angemeldet. Er ist IG-Metall-Bevollmächtigter in Oranienburg. Er ist mal durchgegangen durch die Menge, während die paar hundert Leute vom Arbeitsamt zum Landratsamt trabten. Er hat sich umgesehen, aber keine Rechtsextremen entdeckt. Dann überlegt er kurz: „Man sieht es ja auch keinem an.“ Auf zwei der vergangenen Demos hatte man es ein paar Leuten angesehen. Sie kamen vom „Märkischen Heimatschutz“, das ist eine jener freien Kameradschaften mit den harmlosen Namen, und sie sind einfach mitgelaufen und haben bei der Kundgebung ihre Transparente aufgespannt. Sie wurden ausgepfiffen. Und anschließend haben einige Antifaschisten gefordert, dass man sie hätte ausschließen müssen und von der Polizei festnehmen lassen.
Philipp Becker hat das geprüft und festgestellt, dass die Polizei nur etwas machen kann, wenn die Neonazis verfassungsfeindliche Symbole tragen oder wenn sie stören. Nun besteht deren Taktik im Augenblick gerade darin, nicht zu stören. Also konnte man wenig machen. Außer pfeifen. Rote Trillerpfeifen hat sowieso fast jeder dabei.
Alle haben nicht gepfiffen. Der Mann in der Jeansjacke, der wie so viele hier leicht nach Alkohol riecht, dessen Augen aber noch ein bisschen röter sind als die der anderen, er fand das mit dem Pfeifen nicht gut. Wenn man ständig fordere, dass mehr Jugendliche mitdemonstrieren sollten bei den Montagsdemos, dann könne man doch nicht, wenn die Jugendlichen endlich da sind, sie gleich wieder vertreiben. „Da kann nicht ‚Nazis raus‘ gerufen werden“, sagt er. „Wenn die Jugendlichen kommen, dann sollen sie kommen, egal welche Klamotten sie anhaben, egal welche Gesinnung sie haben.“ Er hat PDS gewählt, nicht DVU.
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