: Die herbeigeredete Wende
Die SPD wird neuen Optimismus verbreiten – obwohl die CDU die meisten Bürgermeisterstühle vermutlich verteidigen wird
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER
Es herrscht Tristesse im Osten des Westens: Die Einwohnerzahl Gelsenkirchens schrumpft, die Arbeitslosenrate beträgt über 18 Prozent, die Schulden wachsen. Außerdem stirbt die Stadt: Seit den Siebzigerjahren sind mehr als 100.000 Menschen fortgezogen. Und dann ist auch noch Schalke 04 schlecht in die Saison gestartet – doch dass Oberbürgermeister Oliver Wittke heute nicht seinen 38. Geburtstag feiern wird, hat einen anderen Grund: „Geschenke gibt’s erst am Sonntag“, sagt er. Dann will der Christdemokrat seinen Erfolg von 1999 wiederholen. Sein Sieg bei der damaligen Oberbürgermeisterwahl war eine Sensation. Denkbar knapp schlug der damals 33-Jährige seinen favorisierten SPD-Konkurrenten.
Viele sind unentschlossen
Am Sonntag werden in Nordrhein-Westfalen 396 Stadt- und Gemeindevertretungen, 31 Kreistage, in den 23 kreisfreien Städten sowie unzählige Oberbürgermeister und Bürgermeister neu gewählt – „nur“ eine Kommunalwahl, aber eine im bevölkerungsreichsten Bundesland, die auch als Testlauf für die bundespolitisch wichtige Landtagswahl im nächsten Mai gilt. Angesichts von 14 Millionen Wahlberechtigten wird der NRW-Kommunalwahl durchaus die Rolle eines Gradmessers für die politische Stimmung beigemessen und die spricht auch tief im Westen nicht für die großen Parteien.
Nach einer Umfrage der Universität Duisburg-Essen von dieser Woche kann die CDU damit rechnen, am Sonntag landesweit bei 45,1 Prozent und damit weit vor der SPD mit 32,6 Prozent zu landen. Auf die Grünen entfielen 11,1 Prozent und auf die FDP 4,5 Prozent. Die PDS, die nicht überall kandidiert, käme im Landesdurchschnitt auf 0,8 Prozent. Für sonstige Parteien und Wählergemeinschaften entschieden sich insgesamt 5,6 Prozent. Allerdings gaben rund 20 Prozent der Befragten an, noch unentschlossen zu sein. Entschieden sich die Wählerinnen und Wähler tatsächlich annähernd so wie prognostiziert, wäre das für die SPD eine derbe Niederlage. Denn dann blieben die Sozialdemokraten nicht nur hinter jenen für sie 1999 bereits als Schmach empfundenen 33,9 Prozent zurück. Es wäre zugleich ihr schlechtestes Abschneiden bei Kommunalwahlen seit 1946.
Start für Landtagswahlen
Trotzdem werden am Wahlabend SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück und SPD-Landeschef Harald Schartau ihr strahlendstes Lächeln aufsetzen, von einem großen Erfolg und der endlich sichtbaren „Trendwende“ sprechen. Denn ihre Strategie für den Wahlabend steht schon jetzt fest und wurde bereits von Schartau-Vorgänger Franz Müntefering bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg vorexerziert: Die Spitzen-Sozis werden darauf hinweisen, dass die SPD gegenüber den 25,7 Prozent bei den Europawahlen und vergleichbaren Prognosen im Sommer deutlich hinzugewonnen habe. Ansonsten werden sie über die großen Verluste der CDU reden und dass sich der Abstand zu den Christdemokraten verkleinert habe. Aber was sollen sie auch machen? Schließlich gibt das Wahlergebnis vom Sonntag den Startschuss für den Landtagswahlkampf.
So weiß denn auch CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers um den „Fluch“ des Erdrutsches von vor fünf Jahren und hat die Parole ausgegeben, die Kommunalwahlen seien nicht als Test für die Landtagswahl zu verstehen. Denn dass seine Partei einen solchen Sensationssieg wiederholen kann, glaubt er selbst nicht – zu einzigartig war die damalige Konstellation: eine rot-grüne Bundesregierung in ihrem bis dahin größten Stimmungstief, dazu Affären und Skandalen quer durchs Land und auch noch eine weitgehend außerparlamentarische und entsprechend schwache FDP.
CDU auf hohem Niveau
Das Dilemma der Christdemokraten: Vor den seinerzeitigen 50,3 Prozent erscheint ein Ergebnis um die 45 Prozent schnell als Niederlage – auch wenn sie es eigentlich nicht ist. Auch wenn die CDU nicht ihr „absolutes Ausnahmeergebnis“ von 1999 wiederholen könnte, solle man „doch bitte die Kirche im Dorf lassen“, fordert Gelsenkirchens OB Oliver Wittke. Schließlich bewege sich seine Partei immer noch auf einem fantastisch hohen Niveau. In der Tat: Trotz der voraussehbarer Jubelgesänge sollte es den Genossen zu denken geben, dass die CDU wahrscheinlich die Mehrzahl ihrer 1999 gewonnenen Rathäuser wird verteidigen können – auch im einst roten Ruhrgebiet, wo vor noch nicht allzu langer Zeit die Fama galt, nach der ein Besenstiel nur die Aufschrift „SPD“ tragen müsse, um gewählt zu werden.
Wittke jedenfalls ist davon überzeugt, Stadtoberhaupt bleiben zu können. Doch eine Prognose, ob ihm dieses Kunststück bereits im ersten Anlauf gelingt, will er nicht abgeben. Im Gegensatz zum Schalke-Spiel am Samstag gegen Hannover: „Wir gewinnen 2:0!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen