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So, liebe Polizei, geht es nicht

Weil sie am 1. Mai 2001 zu lange in einem Polizeikessel gefangen war, kriegt Claudia S. 40 Euro Schmerzensgeld

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam – erst recht, wenn das Handeln der Behörden auf dem Prüfstand steht. Bisweilen haben sogar Regierung und Polizeipräsident gewechselt, bis eine Entscheidung ergeht.

So geschehen in dem Fall, der gestern die 13. Zivilkammer des Landgerichts beschäftigte. Verhandelt wurde über die Schmerzensgeldforderung einer 30-jährigen Vermessungsingenieurin, die am 1. Mai 2001 mit 350 Leuten von der Polizei in einem Kessel auf dem Mariannenplatz festgehalten worden war, ohne eine Straftat begangen zu haben. Geschlagene achteinhalb Stunden hatte die Polizeiaktion gedauert, die unter voller Billigung des damaligen CDU-Innensenators Eckhart Werthebach und des früheren Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky geschehen war. „Es gab nichts zu essen, nichts zu trinken und es war furchbar kalt“, sagte Claudia S., die gestern vom Land Berlin 100 Euro Entschädigung verlangte. Eine symbolische Summe, die dokumentieren soll: „Das war eine Frechheit von der Polizei. So geht man nicht mit Leuten um.“

Die Verhandlung dauerte eine Viertelstunde. Das Ergebnis: ein so genannter Vergleich. Nach einigem Hin und Her hatte sich der Anwalt des Landes Berlin, Ulrich Franz, zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 40 Euro verpflichtet. Er müsse aber noch „die Zustimmung des Senators für Finanzen und des Polizeipräsidenten“ einholen, forderte Franz, ihm bis zum 19. Oktober eine Widerspruchsfrist einzuräumen. Er bekam die Frist, musste sich aber einen ironischen Kommentar des Richters anhören: „Für 40 Euro geht es bis in den höchsten Senat. Der Innensenator wird eigens aus dem Urlaub zurückgerufen.“

Am liebsten wäre es Franz gewesen, die Zivilkammer wäre noch einmal in die Beweisaufnahme eingetreten. Dann hätte die Entstehungsgeschichte des Polizeikessels auf dem Mariannenplatz noch einmal aufgerollt werden müssen. Zu der gehört etwa, dass der CDU-Innensenator die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration erstmals in der Geschichte des Kreuzberger 1. Mais verboten hatte. Dass aber trotzdem tausende Leute nach Kreuzberg gekommen waren. Dass gegen 18 Uhr – weitaus früher und heftiger als sonst – die Straßenschlacht begann. Dass die schaulustige Menge ausgerechnet in Richtung Mariannenplatz wegkomplimentiert wurde. Dorthin also, wo ab 19.55 Uhr rund 350 „Störer“ und „Nichtstörer“ stundenlang eingekesselt wurden.

Eine neue Beweisaufnahme hielt der Richter für unnötig. Immerhin hatten sich seine Kollegen vom Amtsgericht Tiergarten bereits ausgiebig mit der Materie befasst. Vor diesem hatten Claudia S. und rund 90 andere seinerzeit Eingeschlossene beantragt, festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme durch die Polizei am 1. Mai 2001 rechtswidrig war.

Im Februar 2004 – drei Jahre nach der Kesselaktion – hatte das Amtsgericht im Fall von Claudia S. festgestellt: Die Freiheitsentziehung auf dem Mariannenplatz war nur in der Zeit von 19.55 bis 22.00 Uhr rechtmäßig. Die restliche Dauer von sechseinhalb Stunden – die Freilassung erfolgte am 2. Mai um 4 Uhr morgens – sei rechtswidrig. Die Lage vor Ort habe sich längst beruhigt gehabt. Er sehe das genauso wie das Amtsgericht, so der Zivilrichter gestern. Die Klägerin sei von der Polizei einfach „etwas zu lange“ festgehalten worden.

„Etwas zu lange, aber nicht zu lang“, begehrte der Rechtsvertreter Franz auf: Auch die Nichtstörer hätten nicht früher freigelassen werden können, weil sie sonst vielleicht aus Wut über die Einkesselung „erstmals in ihrem Leben“ zum Stein gegriffen hätten. „Das ist keine Methode“, verwahrte sich der Richter gegen Franz’ Logik.

Ein Geschäft habe Claudia S. mit den 40 Euro ja nicht gemacht, wandte sich der Vorsitzende zum Schluss an die Klägerin, die 60 Prozent der Prozesskosten tragen muss. Aber nun könne sie sich wenigstens in ihr „Poesiealbum“ schreiben: So, Polizei, „geht es nicht“.PLUTONIA PLARRE

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