piwik no script img

Tu, was du willst!

Thomas Leuners Fotografien führen zurück in die Achtzigerjahre West-Berlins. Sie zeigen Linke auf der Suche nach einem besseren, ehrlicheren Leben – Momente der Ekstase, des Glücks und Aufbegehrens

Das Erste, was auffällt: diese Ärmlichkeit! Die Wände sind siffig, die Möbel vom Sperrmüll, die Gesichter oft übermüdet – und man schaut sie an, diese Fotos, fragt sich: Ja, war das so? War man dabei? Ist dies eine Art geistige Heimkehr in die Achtzigerjahre Berlins, besser: West-Berlins? In eine Zeit, die mit Kinofilmen wie „Herr Lehmann“ oder „Liegen lernen“ plötzlich wieder präsent erscheint? Präsenter fast, als sie damals je hätte sein können.

„Im Schatten des Adlers. Photoreportage 1981–1985“ heißt ein neuer Bildband des Fotografen Thomas Leuner, dessen Fotos eine atemberaubende körperliche und geistige Nähe zu einem Milieu zeigen, das so wohl nur in der Mauerstadt eine Zeit lang zu finden war: Alternative, Autonome, Linke und Punks vereint in der Suche nach irgendetwas, wohl nach einem besseren, ehrlicheren Leben. Und das hieß eben oft: Leben in Armut und Tristesse.

Aber nicht nur! Es gab sie auch, die Stunden des Aufbegehrens gegen Polizeischikane, die Augenblicke der Ekstase bei Konzerten, die Momente des Glücks und Lachens. Zugegeben: Es ist etwas plakativ, wenn Leuner sein Buch gleich mit dem Text von „Deutschland, verrecke“ der (Hamburger) Band Slime eröffnet und mit einer Bildstrecke über spießiges Leben unter der Überschrift „Die Mehrheit“ beendet. Aber frappierend ist doch, wie offen die meist jungen Gesichter dieser Szene erscheinen, während die Bürger eben so aussehen, wie sie meist aussehen.

So ist Leuner ein Zeitdokument gelungen, das man heute staunend, auch ein wenig melancholisch betrachtet. Denn wenn man nicht dabei war, so wäre man es nach Betrachten der Schwarzweißfotos schon gern gewesen. Trotz Ärmlichkeit und Siff scheint es am Ende doch ein richtiges Leben im falschen gewesen zu sein. Zumindest ein ehrlicheres. GES

Thomas Leuner: „Im Schatten des Adlers. Photoreportage 1981 – 1985“. Verlag Bernhard Blanke, Berlin 2003. Das Buch wird am 28. Oktober um 17 Uhr im SO 36 vorgestellt, Erstverkaufstag ist der 29. Oktober

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen