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Grün gewinnt. Was nun?

Bremens Nachbargemeinde Lilienthal hat seit gestern einen grünen Bürgermeister. Willy Hollatz setzte sich gegen seinen CDU-Konkurrenten mit 2/3-Mehrheit durch. Er ist der fünfte grüne Bürgermeister in Norddeutschland. Was raten die anderen?

von Armin Simon und Benno Schirrmeister

Uwe Sternbeck, Neustadt a.R.

Neustadt am Rübenberge hat 44.704 Einwohner, 1.406 Arbeitslose und eine pro Kopf-Verschuldung von 1.319 Euro. Und einen grünen Bürgermeister: Uwe Sternbeck, 41 Jahre, Diplom-Verwaltungswirt, lag bei der Stichwahl am 27. Juni mit 29 Stimmen vor Astrid Waldt. Bemerkenswert: Die Finanzfachfrau aus Halle an der Saale war die Kandidatin von CDU, SPD und FDP. Die kamen bei der Kommunalwahl zusammen auf 85,6 Prozent. Die Grünen auf 5,3 Prozent.

taz: Wie Grün kann ein Bürgermeister sein?

Uwe Sternbeck: Er kann nicht besonders Grün sein. Man ist ja Bürgermeister für alle Bürger – und deshalb gesetzlich zur Neutralität verpflichtet. In diesem Amt parteipolitische Interessen zu verfolgen, wäre falsch.

Sie sind jetzt 100 Tage im Amt – gibt es bereits ein Projekt, auf das sie stolz sind?

Es sind schon 104 Tage. Und in der Tat, das gibt es: Die Verwaltungsmodernisierung, die wir hier zum 1. Oktober durchgeführt haben. Sie verkleinert den administrativen Apparat.

Mussten Sie als Bürgermeister bereits einen Misserfolg verdauen? Und wenn ja: Welchen?

Da gab es eigentlich noch nichts. Höchstens Kleinigkeiten.

Was war der entscheidende Punkt in der Stichwahl?

Das Ergebnis war denkbar knapp. Ich denke deshalb, dass die Persönlichkeit ausschlaggebend war – nicht die Partei.

Welchen Rat geben Sie Ihrem neuen Kollegen Willy Hollatz?

Ich brauche ihm keinen Rat zu erteilen: Er ist ja, so weit ich weiß, schon lange dort in der Kommunalpolitik tätig. Ich wünsche ihm viel Glück.

Welchen Fehler muss er unbedingt vermeiden?

Auch das wird er selbst wissen: Sehr wichtig ist es in der Kommunalpolitik, dass man mit allen Beteiligten ständig Kommunikation übt. Interview: bes

Willy Hollatz, Lilienthal

Ob es die Straßenbahn war? „Von Anfang an“, sagt Willy Hollatz, 48-jähriger Finanzbeamter aus Lilienthal, habe er sich für die Anbindung seiner Gemeinde ans Bremer Schienennetz ausgesprochen. Am Sonntag verwies der Grüne bei der Bürgermeister-Stichwahl seinen CDU-Konkurrenten Jörn Schneider erneut auf Platz zwei. Mit 61 Prozent kürten ihn die LilienthalerInnen zum dritten grünen Bürgermeister Niedersachsens, dem fünften in Norddeutschland. Hollatz: „Komfortabler kann man’s nicht haben.“

Der Landesvorsitzende der Niedersächsischen Grünen, Raimund Nowak, zeigte sich gestern optimistisch, bei den 2006 anstehenden Wahlen weitere Posten grün besetzen zu können. „Grüne Kandidaten gelten nicht mehr als chancenlose Außenseiter“, sagte er. Hollatz wird ab November die Geschäfte Lilienthals leiten – bis 2011. Dafür muss er seinen Posten im Bremer Finanzamt aufgeben. Im Gemeinderat trifft er auf eine CDU/FDP-Mehrheit. Sein Ziel: Die von der CDU gestoppten Straßenbahn-Planungen wieder aufnehmen. sim

Joachim Stein, Malchow

Sie ist die „Inselstadt“ an der Mecklenburger Seenplatte: Malchow, 7.500 Einwohner auf 45 km [2], jeder fünfte ist arbeitslos. Die Textilindustrie ist zusammengebrochen, dafür gibt es hier das Edeka-Verteilerzentrum für Nordost-Deutschland, Europas modernstes Laubholz-Sägewerk, eine Rehaklinik und einen Affenberg. Joachim Stein (Grüne), 57, selbstständiger Heizungsingenieur, ist seit 1992 und noch bis 2010 Bürgermeister.

taz: Wie grün kann ein Bürgermeister sein?

Joachim Stein: Wir machen genauso Wirtschaftspolitik wie andere auch. Wir versuchen, Gewerbe anzusiedeln. Aber es zeichnet uns aus, dass wir das sehr gut planen, wo was angesiedelt wird, dass wir einen Tick mehr überlegen als andere. Dass wir abwägen: Ist der eingefahrene Weg der richtige?

Auf welches Projekt Ihrer Amtszeit sind Sie besonders stolz?

Wir haben nach der Wende den ersten Kreisverkehr in Mecklenburg-Vorpommern gebaut – das war ein Meilenstein. Und wir machen eine sehr geordnete Stadtentwicklung.

Welchen Misserfolg mussten Sie verdauen?

Die Solaranlage für die Beheizung des Gymnasiums: Die funkioniert bis heute nicht.

Geben Sie Ihrem neuen Kollegen in Lilienthal einen Rat!

Er sollte versuchen, neue Wege zu gehen. Und er sollte den stärkeren Beobachtungsdruck, dem man als grüner Bürgermeister ausgesetzt ist, nutzen.

Welchen Fehler muss er unbedingt vermeiden?

Er darf seine Bürger nicht verlieren. Interview: sim

Ralf Abrahms, Bad Harzburg

Knallrot und Gelb? Der Eindruck der Website www.rabrahms.de täuscht: Ralf Abrahms ist Niedersachsens erster Grüner Bürgermeister. Seit zwei Jahren und bis 2011 präsidiert er Bad Harzburgs Verwaltung. Derzeit macht er allerdings Urlaub. Vielleicht in Tonga. Aber das weiß man selbst im Hauptamt der Kleinstadt (25.041 Einwohner) nicht. Bad Harzburg ist keine Grünen-Hochburg: 4,2 Prozent bei der Landtagswahl im Februar 2003 ist schwach. In der Stichwahl fünf Monate zuvor lag Abrahms allerdings gute 1.000 Stimmen vor seinem Mitbewerber Hans-Peter Dreß (CDU). bes

Hans-Jürgen Zimmermann, Ludwigslust

Sie nennt sich „Lindenstadt“, ihren Haushalten spendiert sie auf Antrag einmal im Jahr Pflanzen zur Fassadenbegrünung und auf dem Garnisonsgelände entstand ein Park: Ludwigslust. Die 13.000-Einwohnerstadt in Meck-Pomm, 49 km [2]groß, hat seit 1991 einen grünen Bürgermeister. 2002 kam er auf knapp 60 Prozent. Sein schärfster Konkurrent war ein SPDler – mit 15 Prozent. In der Stadtvertretung stellt die CDU mit 9 Sitzen die stärkste Fraktion, gefolgt von SPD (6), PDS (5), Grüne (4) und NPD (1). Nur guten Rat für den Kollegen in Lilienthal gibt es aus Ludwigslust keinen: Hans-Jörg Zimmermann macht Urlaub. sim

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