piwik no script img

Atom spaltet Rot-Grün

Umweltpolitiker wollen Atomvertrag mit Brasilien lösen. Außenamt Fischers dafür, Clements Ministerium dagegen

BERLIN taz ■ Im Sommer 1975 leuchtete die Zukunft der brasilianischen Atomenergie noch in hellen Farben. Zehn Meiler waren geplant, eine Urananreicherungsanlage und sogar die Wiederaufarbeitung. Die Bundesrepublik wollte das möglich machen – und daran verdienen. Und so schloss sie mit Brasilien ein „Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie“. „In Wirklichkeit“, erinnert sich der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer (SPD), „haben sie nur zwei Meiler gebaut, mit erheblichen Zusatzkosten.“ Ob der dritte, angefangene Meiler (Angra III) nun doch zu Ende gebaut wird, will Brasilien bis Jahresende entscheiden. Allerdings kündigte die Regierung inzwischen ein neues Atomprogramm an, mit vier weiteren Meilern.

Damit möchten Umwelt- und Energiepolitiker in den Fraktionen von SPD und Grünen nichts mehr zu tun haben. Gemeinsam entwarfen sie am Anfang Oktober einen Antrag, der der taz vorliegt: Er sieht vor, den Vertrag am 18. November regulär zu kündigen. Danach verlängert er sich nämlich automatisch um weitere fünf Jahre. Der Kündigungsgrund ist für Scheer klar: „Der Vertrag ist Ausdruck einer Energieprogrammatik der Siebziger – heute haben wir eine andere.“

Der Antragsentwurf wird gestützt von den Arbeitsgruppen Umwelt und Energie der SPD-Fraktion sowie von den Grünen, wie die taz aus informierten Kreisen erfuhr. Doch während auch Außenminister Joschka Fischer (Grüne) Zustimmung signalisiert, wendet sich Wolfgang Clements (SPD) Wirtschaftsministerium dagegen. Dort fürchtet man, es könnte ohne Vertrag künftig schwer werden, Exportgenehmigungen für deutsche Atomanlagen zu erhalten.

Allerdings sind Exportgenehmigungen für AKWs derzeit auch ohne Vertrag kaum zu untersagen. Andererseits nützt bei heikleren Atomanlagen wie der Hanauer Brennelemente-Fabrik, die militärischen Zwecken dienen können, auch ein Atomkooperationsvertrag nichts, wie Chinas Beispiel zeigt. Hermes-Bürgschaften sind nach den rot-grünen Leitlinien – Vertrag hin, Vertrag her – für Atomanlagen ohnehin ausgeschlossen. So geht es wohl mehr um den symbolischen Wert und die Unterstützung derjenigen in der brasilianischen Regierung, die dort gegen Atomkraft angehen. Um den wichtigen Partner Brasilien nicht zu brüskieren, wollen die Antragsteller anbieten, das Abkommen umzuwandeln, in einen „Energievertrag“ über „nichtatomare Energienutzung“.

Der Atomvertrag ist auch aus anderen Gründen heikel: Denn das Land betrieb heimlich ein Atombombenprogramm, das es erst 1990 offiziell beerdigte. Inzwischen errichtete Brasilien in eigener Regie eine Anlage zur Urananreicherung. Noch ist sie nicht in Betrieb. Es fehlt die Erlaubnis der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, weil Brasilien die Besichtigung der Zentrifuge verweigert – offiziell, um die Technik vor Spionage zu schützen. Theoretisch könnte sie damit auch Atombomben bauen – wahrscheinlicher ist, dass sie illegal erworben wurde oder selbst Ergebnis von Industriespionage ist. MATTHIAS URBACH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen